Weekly Briefing

Protonenpumpenhemmer

Deprescribing nach IPS-Aufenthalt

Bei kritisch Kranken wird auf der Intensivpflegestation (IPS) in 9/10 Fällen eine Protonenpumpenhemmer-(PPI-)Therapie etabliert. Wird sie auch wieder gestoppt? In einer Kohorte von rund 12 000 Hospitalisierten mit erstmaliger PPI-Gabe auf der IPS zeigt sich: in 40% der Fälle werden die PPI unreflektiert – das heisst >8 Wochen und ohne klare Indikation – fortgesetzt. In den retrospektiv erhobenen Daten fand sich zudem ein signifikant erhöhtes Risiko für Komplikationen unter fortgesetzter PPI-Therapie (z.B. Pneumonie, Rehospitalisation, erhöhte 2-Jahres-Mortalität). Die Studie zeigt einmal mehr nur Assoziationen und keine Kausalität auf. Dennoch ist sie ein wichtiger Reminder, die Indikation für PPI nach einem IPS-Aufenthalt kritisch zu überprüfen.
Crit Care Med. 2024, doi.org/10.1097/CCM.0000000000006104.
Verfasst am 4.3.2024_HU

Therapie der Depression

Körperliche Aktivität hilfreich

Diese Metaanalyse mit 218 Originalarbeiten (14 170 Teilnehmende, 495 Behandlungsarme) verglich den antidepressiven Effekt verschiedener Sportarten gegenüber herkömmlichen Behandlungsoptionen (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI], Psychotherapie). Den besten Erfolg zeigten Spazieren («walking»), Joggen, Yoga und Krafttraining, wobei die Wirksamkeit mit der Intensität der Aktivität korrelierte. Insgesamt waren die erzielten Behandlungseffekte vergleichbar mit psychotherapeutischen und pharmakologischen Ansätzen, auch schnitt die Kombination von SSRI und Aktivität besser ab als die isolierte medikamentöse Therapie. Die Studie unterstreicht damit den wichtigen Stellenwert körperlicher Aktivität in der Behandlung einer Depression.
BMJ. 2024, doi.org/10.1136/bmj-2023-075847.
Verfasst am 4.3.24_HU

Vintage Corner

Harnsäurewerte im Gichtschub

Die Harnsäure (HS) ist ein kausaler Gichtfaktor. Die Serumwerte haben allerdings eine limitierte diagnostische Aussagekraft: die meisten Patientinnen und Patienten mit einer Hyperurikämie entwickeln im Langzeitverlauf keine Gicht. Umgekehrt schliessen normale HS-Werte das Vorliegen einer Gicht nicht aus: über einen Zeitraum von 3 Jahren wurden 38 Personen (4 Frauen, 34 Männer, mittleres Alter 54 Jahre) mit insgesamt 42 Gichtattacken untersucht. Bei 43% fanden sich normale HS-Werte im akuten Gichtschub. In 30/42 Episoden fanden sich tiefere Serumwerte als im gichtfreien Intervall, in 7 waren sie unverändert, in 5 höher. Zur Bestimmung der Baseline und Etablierung einer HS-senkenden Therapie: HS ≥2 Wochen nach akutem Gichtschub bestimmen.
Ann Rheum Dis. 1997, doi.org/10.1136/ard.56.11.696a.
Verfasst am 7.2.24_HU
CME

Antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA) …

  • … können mittels indirekter Immunfluoreszenz oder durch einen enzymvermittelten Immunassay detektiert werden. Die Immunfluoreszenz teilt die Antikörper je nach Färbungsmuster in perinukleäre (p-ANCA) oder zytoplasmatische (c-ANCA) Subtypen. Der Enzymassay unterscheidet nach Zielantigenen: Proteinase-3 (PR3-ANCA) respektive Myeloperoxidase (MPO-ANCA).
  • Bei passender Klinik sind, stark vereinfacht, PR3-ANCA häufig mit einer Granulomatose mit Polyangiitis (vormals Morbus Wegener) assoziiert, MPO-ANCA mit einer mikroskopischen Polyangiitis oder einer eosinophilen Granulomatose mit Polyangiitis (Churg-Strauss-Syndrom).
  • Die Diagnose einer primären ANCA-Vaskulitis ist fraglich, wenn die Antikörper nur mittels Immunfluoreszenz – ohne Bestätigung durch einen Immunassay – nachgewiesen werden: der prädiktive Wert der Immunfluoreszenz ist im Vergleich zum Enzymassay tief.
  • Bei positivem Bestätigungstest zeigt sich bei einer primären ANCA-Vaskulitis eine hohe Konkordanz zwischen beiden Testmethoden. Will heissen: p-ANCA werden durch MPO bestätigt, c-ANCA durch PR3.
  • Diskordante Befunde hingegen oder eine duale Positivität für MPO- und PR3-ANCA sind Hinweise auf eine «drug-induced» Vaskulitis, zum Beispiel durch Carbimazol oder Propylthiouracil. 20% der mit diesen Thyreostatika Behandelten entwickeln eine ANCA-Positivität (meistens MPO), die wenigsten allerdings eine manifeste Vaskulitis. Bei mit Levamisol gestrecktem Kokain finden sich meist PR3-ANCA.
  • Falsch-positive ANCA finden sich bei anderen Autoimmunkrankheiten oder sekundär bei Malignomen und Infekten, so etwa in rund 10% bei infektiöser Endokarditis (Bartonella!) oder entzündlichen Darmkrankheiten.
  • Prognostisch: Sind die ANCA nach Induktionstherapie nicht mehr nachweisbar, spricht dies für eine längere Remissionsphase. Bei PR3-ANCA sind Rezidive im Verlauf häufiger.
Lancet. 2024. doi.org/10.1016/S0140-6736(23)01736-1.
Verfasst am 7.3.24_HU

Ernährungstherapie

Wo bleibt die Evidenz?

Es bestehen wenig Zweifel, dass eine gesunde Ernährung für die Gesundheit essentiell ist. Auch existiert die Überzeugung, dass sie bei chronischen Krankheiten therapeutisch eingesetzt werden kann. Studienbasierte Daten liefern dazu jedoch unterschiedliche Resultate.
Diese wohl sorgfältigste und längste Untersuchung von «food-as-medicine» bei Personen mit schlecht eingestelltem Typ-2-Diabetes hat den Effekt einer intensiven Ernährungs- und Diabetesbetreuung (iEDB) mit dem einer üblichen hausärztlichen Betreuung (üB) verglichen. 349 Patientinnen und Patienten (Durchschnittsalter 54,6 Jahre, 54,8% Frauen) wurden randomisiert: 170 in die Interventionsgruppe mit iEBD und 179 in die Kontrollgruppe mit üB. Den letzteren wurde versichert, später mit iEBD betreut zu werden. Alle hatten einen Diabetes mellitus Typ 2 mit HbA1c >8,0% und bekundeten Mühe, sich diätetisch richtig zu verhalten.
Die iEDB bestand aus Lieferung von 10 ausgewogenen Mahlzeiten pro Woche, die aus Vollkornprodukten, frischem Gemüse, Früchten, mageren Eiweissen und Milchprodukten mit tiefem Fettgehalt zusammengesetzt waren. Dazu erfolgten wöchentliche Diätberatungen, Beratungen für besseres Essverhalten und regelmässige telefonische Kontakte. Endpunkte waren HbA1c nach 6 und 12 Monaten sowie Cholesterin, Triglyzeride, Gewicht und Blutdruck nach 12 Monaten. Das HbA1c nach 6 Monaten reduzierte sich in der üB-Gruppe um −1,3%, in der iEDB-Gruppe um −1,5% (p = 0,86). Dieser Unterschied war auch noch nach 12 Monaten nicht signifikant. Die iEDB hatte – im Vergleich zur üB – weder auf Cholesterin noch Triglyzeride oder Blutdruck nach 12 Monaten einen Effekt. Erstaunlicherweise nahmen die Mitglieder der iEDB-Gruppe in den ersten 6 Monaten an Gewicht zu, nach 12 Monaten bestand aber kein Unterschied mehr gegenüber der Kontrollgruppe.
Der fehlende Effekt auf HbA1c und andere Parameter in dieser gross angelegten Studie war unerwartet und enttäuschend. Hinterfragt werden darf die Kontrollgruppe, deren Teilnehmende eventuell vorzeitig motiviert waren, sich diätetisch besser zu verhalten. Dennoch zeigt die Arbeit, dass ein grosser diätischer Aufwand mit vielen Beratungen für das Essverhalten zur besseren metabolischen Balance beim Typ-2-Diabetes nicht zu rechtfertigen ist.
JAMA Intern Med. 2024, doi.org/10.1001/jamainternmed.2023.6670.
Verfasst am 13.2.24_MK auf Hinweis von Prof. Dr. F. Eberli, Zürich
Aortenstenose
Implantation einer expandierbaren Aortenklappe über einen minimalinvasiven Eingriff.
© Pepermpron / Adobe Stock

Katheter oder Chirurgie?

Die Therapie der schweren Aortenstenose ist durch die TAVI revolutioniert worden. TAVI steht für «transcatheter aortic valve implantation» (auch TAVR: «transcatheter aortic valve replacement»), dabei handelt es sich um einen minimalinvasiven Eingriff, bei dem expandierbare Aortenklappen durch einen Katheter implantiert werden (Abbildung). Der chirurgische Aortenklappenersatz (cAKE) am offenen Herzen war lange die alleinige wirksame Therapie der schweren Aortenstenose. Die Aortenstenose kommt am häufigsten beim älteren Menschen vor, bei dem wegen Komorbiditäten ein kardiochirurgischer Eingriff als riskant angesehen wird. TAVI ermöglicht den betagten Patienteninnen und Patienten, rasch wieder nach Hause zurückzukehren, wo sich nach gewisser Zeit in der Regel eine verbesserte Lebensqualität einstellt. Bei jungen Menschen mit Aortenstenose ist der cAKE nach wie vor Standard, insbesondere weil die Lebensdauer der durch TAVI eingeführten Klappen noch unbekannt ist.
Soll bei älteren Personen mit niedrigem Operationsrisiko zu TAVI oder cAKE geraten werden? Die bisherigen Daten bis 5 Jahre nach Eingriff zeigten für keinen der Eingriffe einen Vorteil für Mortalität oder Stroke. Die Verantwortlichen der NOTION-Studie aus Dänemark und Schweden haben nun die Resultate einer 10-Jahres-Analyse vorgelegt. 280 Personen mit Durchschnittsalter 79 Jahre, schwerer Aortenstenose und niedrigem Operationsrisiko wurden randomisiert mit TAVI (145) oder cAKE (135) behandelt und 10 Jahre nachverfolgt. Der kombinierte Endpunkt von Tod, Stroke und Herzinfarkt war bei TAVI und cAKE identisch (65,5%). Auch bei den einzelnen Endpunkten bestand kein signifikanter Unterschied. Postinterventionell war Vorhofflimmern nach cAKE häufiger (74 vs. 52%), atrioventrikuläre (AV-)Blockierungen mit notwendigen Pacer-Implantation nach TAVI häufiger (45 vs. 14%). Eine Endokarditis entwickelte sich nach beiden Interventionen gleich häufig (TAVI 7,2 vs. cAKE 7,4%). Die Funktionstüchtigkeit der neuen Aortenklappe nahm über die Jahre nach TAVI und cAKE gleich langsam ab.
Die Limitationen dieser Studie betrifft die Materialien und Techniken, die sich seit Studienbeginn sowohl chirurgisch als auch kathetertechnisch verbessert haben und möglichweise heute andere Resultate liefern würden. Dennoch darf diese 10-Jahres-Studie dazu verwendet werden, bei schwerer Aortenstenose bei Alter >75 Jahre und niedrigem Operationsrisiko den Betroffenen zu versichern, dass TAVI eine solide Alternative zur Chirurgie bietet.
Euro Heart J. 2024, doi.org/10.1093/eurheartj/ehae043.
Verfasst am 12.2.24_MK