Weekly Briefing

Asymptomatische Bakteriurie

Hämatogene Streuung selten

Eine asymptomatische Bakteriurie (ASB) soll nicht behandelt werden. Dennoch werden hospitalisierte Patienteninnen und Patienten mit ASB oft antibiotisch therapiert, vor allem wenn sie zerebral verändert oder somnolent sind. Wie häufig ist ASB die Quelle für eine Bakteriämie? Von 11 590 Hospitalisierten mit ASB hatten lediglich 161 (1,4%) eine Bakteriämie, die von der Blase stammte. 8364 (72,2%) erhielten empirische Antibiotika wegen ihrer Bakteriurie (!). 2126 ASB-Betroffene waren ohne Infektzeichen zerebral verändert. Nur 17 (0,7%) davon hatten eine Bakteriämie aus der Blase. Die Daten bekräftigen die Richtlinie, eine ASB nicht zu behandeln, da eine hämatogene Streuung aus einer ASB selten ist, sogar wenn eine zerebrale Veränderung vorliegt.
JAMA Netw Open. 2024, doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2024.2283.
Verfasst am 14.3.2024_MK

Subklinische Hypothyreose

Hohe spontane Reversibilitätsrate

Eine subklinische Hypothyreose (sH) ist definiert durch eine erhöhtes Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH) bei normalem Thyroxin (T4). Sie ist die Vorstufe einer klinischen Hypothyreose, doch oft normalisiert sie sich spontan. Eine Studie mit Schweizer Beteiligung untersuchte Häufigkeit und begünstigende Faktoren der Normalisierung einer sH. Von 2335 Personen >65 Jahre mit sH normalisierte sich das TSH bei 60,8% innerhalb eines Jahres, nach einem zusätzlichen Jahr bei weiteren 39,9%. Mit Normalisierung assoziiert waren jüngeres Alter, weibliches Geschlecht, tiefere TSH- und höhere T4-Konzentrationen sowie die Absenz von Peroxidase-Antikörpern. Es ist ratsam, eine sH vorerst zu beobachten, da eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Reversibilität besteht.
J Clin Endocrinol Metab. 2023, doi.org/10.1210/clinem/dgad623.
Verfasst am 14.3.24_MK

Verschreibungskaskade

Kalziumkanalblocker-Diuretika

Eine lästige Nebenwirkung der Kalziumkanalblocker (CKB) sind Beinödeme. Diese entstehen durch eine arterioläre Vasodilatation, weshalb Diuretika wenig wirksam sind. Dennoch wird die «CKB-Diuretika-Kaskade» oft verschrieben. In einer Beobachtungsstudie wurden bei 39 347 >65-Jährigen mit Hypertonie ohne Herzinsuffizienz CKB verordnet. Bei 1866 (4,8%) erfolgte innerhalb von drei Monaten die Verschreibung eines neuen Diuretikums. Diese Gruppe verglich man mit gepaarten Kontrollen ohne Diuretikum. Der Endpunkt Notfallbesuch + Hospitalisation + Tod wurde in den drei Folgemonaten 1,2× signifikant häufiger in der Diuretika-Gruppe registriert. Diese Assoziation erinnert, dass Verschreibungskaskaden die Polypharmazie und damit neue Nebenwirkungen begünstigen.
J Am Geriat Soc. 2024, doi.org/10.1111/jgs.18683.
Verfasst am 16.3.24_MK
CME

DOAK: wann ja, wann nein?

  • Die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) haben gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zwei Vorteile: einfache orale Dosierung mit Fixdosis, keine routinemässigen Gerinnungskontrollen.
  • Obwohl DOAK die VKA für wichtige Indikationen abgelöst haben, ist die DOAK-Wirksamkeit für verschiedene Situationen (noch) nicht etabliert. Nur randomisiert kontrollierte Studien mit Nachweis von «non-inferiority» liefern die Basis, DOAK den VKA vorzuziehen.
  • Die in der Schweiz verwendeten DOAK sind die Faktor-Xa-Hemmer Apixaban (Eliquis®), Rivaroxaban (Xarelto®) und Edoxaban (Lixiana®) sowie der Thrombinhemmer Dabigatran (Pradaxa®, Dabigatran Sandoz®).
  • DOAK ja: Unbestrittene Indikationen für den Einsatz von DOAK anstelle von VKA sind Vorhofflimmern zur Verhinderung embolischer Events sowie venöse Thombosen / Lungenembolien.
  • DOAK reduzieren: Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die DOAK-Dosis reduziert werden. Bei einer Kreatinin-Clearance <15 ml/l sollen DOAK nicht eingesetzt werden.
  • DOAK Vorsicht: Die Metabolisierung über Cytochrom P450 3A4 und das P-Glykoprotein führt zu zahlreichen Interaktionen, die stets im Voraus zu überprüfen sind. Beispiele für relevante Interaktionen: Clarithromycin, Azol-Antimykotika, Phenytoin, Carbamazepin, Johanniskraut.
  • DOAK nein: Keine DOAK, sondern VKA bei mechanischen Herzklappen, Vorhofflimmern wegen Mitralstenose sowie Antiphospholipidsyndrom.
  • DOAK nein: In der Schwangerschaft und beim Stillen sind DOAK kontraindiziert.
  • DOAK unklar: Die Wirksamkeit/Sicherheit der DOAK wurde noch nicht überzeugend gezeigt bei linksventrikluären Thromben, katheterinduzierten tiefen Venenthrombosen, Darm- und Zerebralvenenthrombosen.
J Am Coll Cardiol. 2024, doi.org/10.1016/j.jacc.2023.10.038.
Verfasst am 17.3.24_MK

Medizingeschichte

Sir Anthony Epstein (1921–2024)

Viren sind schätzungsweise für 15–20% aller Krebserkrankungen verantwortlich. Die Evidenz zu diesem Zusammenhang ist aber verhältnismässig jung: sie verdankt ihre Anfänge den Arbeiten von Prof. Anthony Epstein in den frühen 1960er Jahren. Epstein hat in Cambridge Medizin studiert, danach leistete er Militärdienst in Indien bei den Sanitätstruppen der Royal Army. Zurück in England arbeitete er als Pathologe und Virologe am Middlesex Hospital in London, schliesslich an der Universität in Bristol, wo er von 1969–1985 die Pathologie leitete. Seine wissenschaftlichen Studien begann Epstein mit Untersuchungen am «Rous Sarcoma Virus» – dessen tumorinduzierende Wirkung war im Tiermodell damals bereits bekannt.
Die Erfolgsgeschichte von Epstein beginnt mit einer Vorlesung von Denis Burkitt, einem irischen Chirurgen, der in Uganda tätig war und über seine Beobachtungen zur Häufung von sonderbaren zervikalen Tumoren bei Kindern in Zentralafrika berichtete («Burkitt-Lymphome»). Epstein war überzeugt, dass bei der Entstehung dieser Tumoren Viren beteiligt sind – seine Experimente dazu verliefen aber zwei Jahre lang frustran. Der Durchbruch gelang per Zufall: Der Flug mit einer weiteren Gewebeprobe aus Uganda musste wegen Nebel von London nach Manchester umgeleitet werden und die Probe kam erst mit einiger Verzögerung im Labor an. Makroskopisch wirkte sie verunreinigt – Epstein erkannte die Trübung aber als überschiessend proliferierende Tumorzellen. Eine elektronenmikroskopische Untersuchung – die entsprechende Technik hatte sich Epstein bei einem Forschungsaufenthalt am Rockefeller Institute in New York einige Jahre zuvor angeeignet – brachte die Entdeckung: den Nachweis von Virusstrukturen aus der Herpesfamilie. Die Resultate wurden 1964 im Lancet publiziert – und das Virus nach Epstein und seiner Doktorandin, Yvonne Barr, als Epstein-Barr-Virus (EBV) benannt. 1977 wurde EBV offiziell als Karzinogen anerkannt. Seine Rolle bei der Entstehung von Non-Hodgkin-Lymphomen – zum Beispiel im Zusammenhang mit AIDS oder als «posttransplant lymphoproliferative disorder» ist inzwischen unbestritten. Im vergangenen Februar ist Anthony Epstein in London im Alter von 102 Jahren verstorben.
www.nytimes.com/2024/03/06/science/anthony-epstein-dead.html
BMJ. 2024, doi.org/10.1136/bmj.q515.
Verfasst am 13.3.24_HU, auf Hinweis von Dr. med. Sabine Dinges, Zürich
Immunologie
Rauchen beeinträchtigt die Immunantwort längerfristig.
Illustration by Bertsy Goic (DrawInScience) © Institut Pasteur

Rauchen: Langzeiteffekte auf Immunantwort

Alter, Geschlecht und genetischer Hintergrund sind wesentliche Determinanten der Immunantwort. Welche anderen Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle? Dieser Frage geht das «Milieu Intérieur Projekt» nach – mit den Daten einer Kohorte von 1000 gesunden Probandinnen und Probanden im Alter von 20–69 Jahren, je 100 Frauen und Männer aus jeder Dekade.
Forschende am Institut Pasteur in Paris haben dazu Blutproben mit verschiedenen Pathogenen («Immunagonisten») versetzt: unter anderem mit Escherichia coli, Influenza, Candida – die vor allem die angeborene Immunität («innate immunity») stimulieren – und mit B-/T-Zell-Aktivatoren (z.B. mit Staphylokokken-Superantigenen), die auf die erworbene Immunantwort («adaptive immunity») und Memory-Zellen wirken. Nach rund 24 Stunden wurden die Konzentrationen von inflammatorischen Zytokinen und Chemokinen gemessen und die Resultate anschliessend mit 136 verschiedenen Variablen korreliert: unter anderem Body Mass Index (BMI), Schlafdauer, körperliche Aktivität, Impfstatus. Drei Faktoren stachen am Ende heraus: Rauchstatus, BMI und eine latente Infektion mit Zytomegalieviren.
Bei aktiv Rauchenden zeigte sich überdies: beide Formen der Immunantwort – «innate» und «adaptive» – sind beeinträchtigt. Nach Rauchstopp normalisiert sich die Antwort der «innate immunity» und damit die überschiessende Inflammation prompt – die Effekte auf die B- und T-Zell-Gedächtniszellen persistieren aber auch bis 15 Jahre danach. Die Unterschiede zwischen rauchenden und nicht rauchenden Personen scheinen epigenetisch bedingt zu sein: konkret durch Hypomethylierungen der DNA in den entsprechenden Genabschnitten, was zu einer vermehrten Transkription führt. Als Beispiel: Anzahl Jahre und Menge an konsumierten Zigaretten («packyears») korrelieren negativ mit der DNA-Methylierung des Interleukin-2-Gens – es finden sich nach Stimulation der adaptiven Immunantwort dann entsprechend hohe Zytokinwerte.
Es liegen damit erste Daten vor, dass Rauchen immunologische Langzeiteffekte auf B- und T-Lymphozyten hat – und diese auch Jahre nach Rauchstopp noch persistieren. Diese Resultate haben Implikationen nicht nur für die Prädisposition gegenüber Infekten, sondern auch für Karzinogenese und die Entwicklung von Autoimmunität.
Nature. 2024, doi.org/10.1038/s41586-023-06968-8.
Verfasst am 15.3.24_HU