Seltene Komplikation einer Agenesie der Vena cava superior
Erster berichteter Fall
Peer-review

Seltene Komplikation einer Agenesie der Vena cava superior

Der besondere Fall
Ausgabe
2024/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2024.1200540117
Swiss Med Forum. 2024;24(16):218-220

Affiliations
Réseau Hospitalier Neuchâtelois (RHNe), Neuchâtel: a Service de chirurgie vasculaire
b Service de radiologie

Publiziert am 17.04.2024

Hintergrund

Gefässzugänge über die Vena jugularis interna sind ein gängiges Verfahren zum Einführen eines zentralen Venenkatheters, von Herzschrittmachern oder Defibrillatoren sowie von permanenten Dialysekathetern. Gefässanomalien sind selten, aber ihre Kenntnis ist wichtig und sie sollten in Betracht gezogen werden, wenn sich das Anlegen eines Gefässzugangs als ungewöhnlich schwierig erweist. Im Allgemeinen wird eine derartige Anomalie während des Eingriffs oder schon davor erkannt.
Wir beschreiben den ersten uns bekannten Fall einer Patientin mit einer nicht bekannten Agenesie der Vena cava superior (VCS), die zu einer Katheterisierung der Vena mammaria interna führte. Diese Komplikation wurde erst drei Tage nach dem Eingriff während der Hämodialyse entdeckt. Wir diskutieren verschiedene Anomalien der VCS und Möglichkeiten zur Verhütung ähnlicher Komplikationen.

Fallbericht

Anamnese und klinische Untersuchung

Eine 35-jährige Asylsuchende somalischer Herkunft, die seit einem Monat in der Schweiz lebt, sucht wegen einer chronischen, hämodialysepflichtigen Niereninsuffizienz das Hämodialysezentrum unseres Spitals auf. Ansonsten zeigt sie keine Symptome.
Die Patientin kam 2019 nach Europa und wurde in einem Asylzentrum im Zustand starker Dehydratation, der zur Verschlechterung der Nierenfunktion führte und Hämodialysen erforderlich machte, aufgenommen. Dokumente, die ihre Behandlung vor der Ankunft in der Schweiz beschreiben, sind nicht verfügbar, aber sie berichtet von einem rechtsseitigen, getunnelten Dialysekatheter nicht genau bekannter Lokalisation, der aufgrund von Schmerzen entfernt wurde, und von einer rechtsseitigen arteriovenösen Fistel, wahrscheinlich zwischen Arteria brachialis und Vena cephalica, die thrombosiert ist und nie benutzt wurde. Die Patientin wurde bisher über einen getunnelten Katheter dialysiert, der ihr vor sieben Monaten links subklavikulär gelegt worden war, und wird von der Dialyse wegen eines Lecks im arteriellen System dieses Katheters an uns überwiesen. Laut Familienanamnese gibt es keine einschlägigen Fälle in der Vergangenheit, insbesondere keine Herzfehler. Ausserdem ist bekannt, dass die Patientin an Hypertonie leidet, die mit Amlodipin und Candesartan behandelt wird, und vor Kurzem eine SARS-CoV-2-Infektion erlitt.
Die klinische Untersuchung ergibt eine kleine offene Wunde an der subklavikulären Punktionsstelle mit Visualisierung des Katheters und Leckage während der Dialyse. Es sind keine Anzeichen einer Infektion zu beobachten. Der übrige klinische Befund ist unauffällig.
In diesem Zusammenhang wird die Indikation zur Entfernung des links lokalisierten Dialysekatheters und zur Einlage eines neuen Katheters mittels rechtsseitiger Jugularispunktion gestellt.

Intervention

Unter Ultraschall- und fluoroskopischer Kontrolle wird von einem Gefässchirurgen durch Punktion der rechten Vena jugularis interna ein Dialysekatheter eingeführt. Bei der Platzierung des Katheters wird eine Stenose in der VCS vermutet, da sich der Katheter nur schwer einführen lässt und die Aspiration und Injektion anfangs schwierig sind. Nach einer Neupositionierung unter Fluoroskopiekontrolle erfolgt die Aspiration ohne Widerstand. Die intraoperativen Röntgenbilder und der postoperative Röntgen-Thorax sind zufriedenstellend (Abb. 1).
Abbildung 1: Die postoperative Röntgenaufnahme zeigt «eine korrekte Positionierung» des Dialysekatheters.

Verlauf

Bei der ersten Dialysesitzung klagt die Patientin über Schmerzen im rechten Thorax, die parallel zu technischen Schwierigkeiten bei der Dialyse mit hoher Rezirkulationsrate auftreten. Ein zwecks Kontrolle erneut angefertigter Röntgen-Thorax bestätigt die korrekte Positionierung des Katheters. Die Schwierigkeiten bei der Hämodialyse sowie die Brustschmerzen der Patientin bleiben bestehen und lassen eine Thrombose vermuten, weshalb eine CT-Angiographie in die Wege geleitet wird.

Befunde

Das CT-Angiogramm (Abb. 2 und 3) zeigt das zuvor nicht bekannte Fehlen der VCS mit einem gut ausgebildeten Kollateralkreislauf mit dilatierter Vena azygos und hemiazygos sowie zahlreichen abdominalen Kollateralen und dilatierten Lumbalvenen. Andere Herzanomalien oder -fehler sind nicht erkennbar. Der Hämodialysekatheter befindet sich in der rechten Vena mammaria interna .
Abbildung 2: CT-Angiogramm, Sagittalschnitt: in der Vena mammaria interna platzierter Katheter mit erkennbarem oberflächlichem Kollateralkreislauf.
Abbildung 3: CT-Angiogramm, Frontal- (A, D) und Axialschnitte (B, C). A/B) Fehlen der Vena cava superior (dicke Pfeile), der Katheter befindet sich in der rechten Vena mammaria interna (schmaler Pfeil). C/D) Kollateralkreislauf mit Dilatation von Vena azygos, hemiazygos und Lumbalvenen (Pfeile).

Weitere Versorgung

Der Katheter wird daraufhin entfernt und ohne Komplikation durch einen femoralen Hämodialysekatheter ersetzt.

Diskussion

Überblick über die Fachliteratur

Fehlplatzierungen von Venenkathetern sind häufig (rund 7% der Fälle) [1], insbesondere wenn sie ohne radiologische Kontrolle gelegt werden. Seltener sind sie auf vaskuläre Anomalien zurückzuführen. Anomalien der VCS sind selten und asymptomatisch, ausser wenn sie mit angeborenen Herzfehlern einhergehen [3, 4, 6]. Eine Anomalie sollte in allen Fällen in Betracht gezogen werden, in denen die Katheterisierung der Vene schwierig ist.
Zu den angeborenen Variationen der VCS gehört die Vena cava superior sinistra persistens (VCSSP), die häufig mit einem angeborenen Herzfehler assoziiert ist (Prävalenz 1,3–4,5%), aber auch isoliert auftreten kann (Prävalenz 0,3–0,5%) [2, 6, 7].
In 20% der Fälle fehlt die VCS und die VCSSP mündet in den Koronarvenensinus oder seltener in den linken Vorhof (8%). Dies wirkt sich bei einer Rechtsherzkatheterisierung aus, etwa beim Einsetzen von Schrittmachern, Herzdefibrillatoren und Dialysekathetern. In 80% der Fälle liegt jedoch eine doppelte VCS vor, wodurch eine Linksherzkatheterisierung beeinträchtigt werden kann, je nachdem, wo die VCSSP einmündet [2, 3, 6, 7].
Die Agenesie der VCS und das gleichzeitige Fehlen einer VCSSP sind sehr selten, es liegen nur wenige Fallberichte vor [3–6]. In diesem Fall drainieren die Venae brachiocephalicae über die Vena azygos in die Vena cava inferior, wobei sich ein ausgedehntes Kollateralnetz bildet, das unter anderem die Venae intercostales, lumbales, mammariae internae und epigastricae umfasst, was bereits bei einer Obstruktion der VCS beschrieben wurde [3, 6, 8]. Der Gefässzugang für die Hämodialyse erfordert in diesem Fall natürlich einen femoralen Zugang.

Unsere Patientin

Das CT-Angiogramm zeigt bei unserer Patientin das Fehlen der VCS mit typischem Kollateralkreislauf ohne weitere Gefässanomalien. Interessanterweise war die Patientin völlig asymptomatisch und der Kollateralkreislauf, insbesondere im Abdominalbereich, bei der klinischen Untersuchung nicht erkennbar.
Die Differentialdiagnose der VCS-Agenesie umfasst eine Thrombose oder Narbenstenose infolge früherer Dialysekatheter. CT-angiographisch sind keine Anzeichen für eine frühere Thrombose oder Fibrose feststellbar, was eher für eine Agenesie spricht, allerdings hinterlässt eine Okklusion in der Kindheit oftmals keine Spuren und kann nicht völlig ausgeschlossen werden. Ist eine Agenesie auszuschliessen, kann eine Angiographie mit dem Versuch einer Rekanalisierung vorgeschlagen werden.
Wie erwähnt wurde unsere Patientin mit einem links subklavikulär lokalisierten Dialysekatheter aufgenommen. Wir gehen davon aus, dass die Spitze des Katheters in der dilatierten Vena azygos platziert war, wodurch sich erklärt, warum der Katheter trotz der VCS-Agenesie funktionstüchtig war. Der erste, rechtsseitige Dialysekatheter, der aufgrund von Schmerzen entfernt wurde, war wahrscheinlich in der Vena mammaria interna platziert, was die Schmerzen bei der Benutzung erklären würde.
Bei unserer Patientin wurde die rechte Vena mammaria interna irrtümlicherweise katheterisiert, da sie dilatiert war, und die peroperativen Fluoroskopie-Aufnahmen sowie die beiden postoperativen Röntgen-Thorax-Untersuchungen zeigten bei anterior-posteriorem Strahlengang eine korrekte Positionierung. Als die Patientin schliesslich Brustschmerzen bekam und Schwierigkeiten bei der Durchführung der Hämodialyse auftraten, die auf eine Thrombose oder Stenose hindeuteten, ergab das CT-Angiogramm eine Agenesie der VCS mit Katheterisierung der rechten Vena mammaria interna durch den Hämodialysekatheter: eine seltene Komplikation einer noch selteneren Anomalie.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Wenn sich das Anlegen eines Gefässzugangs als ungewöhnlich schwierig erweist, ist es wichtig, Gefässanomalien in Betracht zu ziehen.
  • Eine peroperative laterale Bildgebung oder ein postoperativer lateraler Röntgen-Thorax hätten uns rascher auf die Fehlplatzierung des Katheters hingewiesen und sollten in allen schwierigen Fällen durchgeführt werden.
  • Eine Duplexsonographie kann Informationen über den Blutfluss liefern und den Verdacht auf eine Stenose oder Okklusion vor der Katheterplatzierung nahelegen. Dies kann nützlich sein, um CT-Angiographien bei Dialysepatientinnen und -patienten zu vermeiden, erlaubt aber nicht den Ausschluss jeglicher Gefässanomalie.
  • Die CT-Angiographie mit venöser Phase ist der Goldstandard und sollte veranlasst werden, wenn das Anlegen eines Gefässzugangs schwierig ist, um eine Gefässanomalie auszuschliessen.
Lisa E. Gamble, dipl. Ärztina Service de chirurgie vasculaire, Réseau Hospitalier Neuchâtelois (RHNe), Neuchâtel
Lisa E. Gamble
Département de chirurgie générale
Hôpital de Sion (CHVR)
Avenue du Grand-Champsec 80
CH-1951 Sion
lisaelizabeth.gamble[at]hopitalvs.ch
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Verdankung
Wir danken Dr. med. Guillaume Riitano, Radiologe im Réseau Hospitalier Neuchâtelois, für die Aufnahmen.
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