Candidämie unter SGLT2-Hemmern
Ungewöhnliche Nebenwirkung
Peer-review

Candidämie unter SGLT2-Hemmern

Der besondere Fall
Ausgabe
2024/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2024.1198732836
Swiss Med Forum. 2024;24(16):215-217

Affiliations
a Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene, Hirslanden Zentralschweiz, Luzern
b Klinik für Innere Medizin, Hirslanden Klinik St. Anna, Luzern
c Klinik für Transplantationsimmunologie und Nephrologie, Universitätsspital Basel, Basel
d Fakultät für Medizin und Gesundheitswissenschaften, Universität Luzern, Luzern
e Universitätsklinik für Infektiologie, Universitätsspital Bern, Bern

Publiziert am 17.04.2024

Hintergrund

Die Wirkung der zunehmend verwendeten Klasse neuer Antidiabetika, der Inhibitoren des «sodium-glucose co-transporter 2» (SGLT2), beruht auf einer Hemmung der natriumabhängigen Rückresorption von Glukose im proximalen Nierentubulus. Dies führt zu einer verstärkten Ausscheidung von Glukose über den Urin. Der reno- und kardioprotektiven Wirkung stehen auch unerwünschte Effekte als Folge der erhöhten Glukosurie gegenüber. So erhöhen SGLT2-Hemmer das Risiko von Genitalmykosen, die zuweilen auch kompliziert ausfallen können.

Fallbericht

Anamnese

Ein 72-jähriger Patient stellte sich aufgrund einer Präsynkope nach Miktion mit blutigem Urin auf der Notfallstation vor. Wegen eines Brennens bei der Miktion mit abgeschwächtem Harnstrahl war er elf Tage zuvor in urologischer Abklärung gewesen. Dort hatte sich sonographisch ein vergrössertes Prostatavolumen von 60 ml mit einer Restharnmenge von 215 ml bei nicht ektatischen Harnwegen gezeigt. Nach Diagnosestellung einer Prostatahyperplasie war ihm Tamsulosin verschrieben worden, worauf sich die Miktion gebessert hatte. Der Patient berichtete bei uns zudem über einen Appetitverlust mit einer Gewichtsabnahme um 10 kg respektive 15% seines Körpergewichts in den letzten sechs Monaten.
Als relevante Vorerkrankungen sind ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2 (DM2), eine koronare Herzerkrankung und eine Tabakabhängigkeit (50 «pack years») zu nennen. Die Eintrittsmedikation bestand aus langwirksamem Insulin, Metformin, acht Monate zuvor initiiertem Empagliflozin (SGLT2-Inhibitor), Acetylsalicylsäure und Tamsulosin.

Status und Befunde

Klinisch präsentierte sich ein febriler Patient (Temperatur 38,1 °C, Blutdruck 104/66 mm Hg, Herzfrequenz 91/min, Sauerstoffsättigung [SO2] 92%) mit körperlich unauffälliger Untersuchung. Die genitale Inspektion zeigte einen Status nach Zirkumzision, die digitale rektale Untersuchung war indolent. Der COVID-Test war negativ, das Röntgenbild des Thorax unauffällig. In der Blutuntersuchung fielen eine Leukozytose von 16,2 G/l, ein C-reaktives Protein (CRP) von 19,6 mg/l und ein erhöhtes Prostata-spezifisches Antigen (PSA) von 7,01 µg/l (Normwert <4 µg/l) auf.
Aufgrund einer relevanten Restharnmenge von 400 ml mit möglichen Blutkoageln in der Harnblase erfolgte die Einlage eines transurethralen Dauerkatheters (Abb. 1).
Abbildung 1: Sonographie-Aufnahme der Harnblase, Unterbauchquerschnitt: Relevanter Restharn (400 ml) mit Nachweis eines echoreichen Areals im Lumen, vereinbar mit Blutkoageln.
Im Urinsediment liessen sich eine Leukozyturie (66 Leukozyten/Gesichtsfeld), eine Hämaturie (12 Erythrozyten/Gesichtsfeld), eine Glukosurie (+++) und Sprosspilze nachweisen. Die Urinkultur zeigte das Wachstum von Candida glabrata mit 106 KBE/ml (Kolonie-bildende Einheiten pro ml) (Abb. 2).
Abbildung 2: Pilzkultur; Petrischale mit chromogenem Medium (durchsichtig) und Columbia-CNA-Agar mit 5% Schafblut (rot). Nachweis von Candida glabrata (Material von einem anderen Patienten; Bildquelle: Bioanalytica AG Luzern).
In den zwei Blutkultur-Pärchen liess sich ebenfalls Candida glabrata nachweisen (jeweils aerob und anaerob, «time-to-positivity» 25–56 Stunden). Die Resistenzprüfung zeigte eine minimale Hemmkonzentration von 0,03 µg/ml für Anidulafungin. Serologisch zeigte sich ein Beta-D-Glucan mit 4,0 pg/ml im Graubereich (Normwert: <2,5 pg/ml), das Screening auf Humanes Immundefizienz-Virus 1/2 fiel negativ aus.

Diagnose

Somit stellten wir die Diagnose einer ambulant erworbenen Candidämie mit Candida glabrata. Bei gleichzeitiger Candidurie diskutierten wir einen aufsteigenden urogenitalen Infekt als mögliche Quelle der Candidämie. Differentialdiagnostisch wurde eine Prostatitis diskutiert. Unklar war jedoch, weshalb es zu einer invasiven Pilzinfektion gekommen war, was bei Immunkompetenten selten auftritt. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der Patient eine Selbstmanipulation der Harnröhre verneinte.

Therapie und Verlauf

Wir initiierten eine antimykotische Therapie mittels Anidulafungin 200 mg intravenös einmalig als Ladedosis, gefolgt von 100 mg intravenös einmal täglich. Das Empagliflozin wurde gestoppt. Darunter kam es zu einem klinisch und laborchemisch günstigen Verlauf mit raschem Sistieren des Fiebers und Regredienz der Entzündungswerte. Die im Verlauf abgenommenen Blut- und Urinkulturen blieben negativ.
Wir suchten einerseits nach weiteren möglichen Eintrittspforten der Pilzinfektion, andererseits nach immunkompromittierenden Grunderkrankungen, gerade in Anbetracht des Appetit- und Gewichtverlusts. Klinische Hinweise für eine Endophthalmitis als Komplikation der Candidämie ergaben sich keine. Eine chronische disseminierte Candidose bei einem nicht neutropenischen Patienten war nicht zu erwarten.
Anhand der Abdomensonographie und der Computertomographie (CT) von Thorax und Abdomen wurden eine vergrösserte Prostata ohne weitere Befunde, unauffällige Nieren und schlanke Harnwege ohne Konkremente oder sonstige Pathologien beschrieben, Leber und Milz waren unauffällig. Eine transthorakale Echokardiographie mit guter Beurteilbarkeit erbrachte keinen Nachweis einer Klappenvegetation. Das Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Konsil blieb ohne nennenswerte Befunde. Eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie zeigte eine leichte Refluxösophagitis, in der Ileo-Koloskopie wurde eine sigmabetonte Pandivertikulose bei ansonsten unauffälliger Koloskopie beschrieben. Abschliessend erfolgte eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata, die das Bild einer benignen Prostatahyperplasie ohne suspekte Läsionen oder nekrotische Anteile ergab (Abb. 3).
Abbildung 3: Magnetresonanztomogramm der Prostata, Sagittalebene: Nachweis einer benignen Prostatahyperplasie ohne suspekte Läsionen oder Nekrosen.
Die intravenöse Therapie mit Anidulafungin wurde nach 14 Tagen gestoppt, und der Patient konnte in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden. Im Rahmen einer ambulanten infektiologischen Sprechstunde berichtete er auch Wochen nach Absetzen der antimykotischen Therapie über eine Appetit- und Gewichtszunahme. Letzteres kann auch auf das Absetzen der Therapie mit Empagliflozin zurückzuführen sein, da SGLT2-Hemmer durch die Glukosurie einen Gewichtsverlust begünstigen. Es zeigten sich eine normalisierte Leukozytenzahl und ein normwertiges CRP. In einer urologischen Verlaufskontrolle berichtete der Patient zudem über eine gänzlich zufriedenstellende Miktion.

Diskussion

Wir behandelten einen Patienten mit einer ambulant erworbenen Candidurie und Candidämie mit dem Nachweis von Candida glabrata. Zusammenfassend sehen wir als Ursache für die Candidämie einen aufsteigenden urogenitalen Infekt bei einer Risikokonstellation aus DM2, obstruktiver Miktionsstörung und Glukosurie unter SGLT2-Hemmung. Die Abklärungen zeigten weder andere Eintrittspforten noch sekundäre Absiedelungen noch Hinweise für eine Immundefizienz. Ein Blick in die Literatur lässt unseren Fall aussergewöhnlich erscheinen.
Menschen mit DM2 tragen ein erhöhtes Risiko für eine Genitalmykose. In einer Kohortenstudie wurde ein relatives Risiko von 1,81 (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 1,64–2,00) für eine Vaginitis bei Frauen und von 2,85 (95%-KI 2,39–3,39) für eine Balanitis bei Männern mit DM2 beschrieben [1]. Das Risiko akzentuiert sich unter einer Therapie mit SGLT2-Hemmern zusätzlich. Eine Reihe von Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zeigte bei Personen mit DM2 ein bis zu 6-fach erhöhtes Risiko für Pilzinfektionen des Genitaltrakts unter SGLT2-Hemmern gegenüber Placebo [2–4]. Dass die beschnittenen Männer zu der Gruppe mit dem tiefsten Risiko gehören, spricht für die Wirksamkeit vorbeugender Hygienemassnahmen bei der Miktion (Retraktion der Vorhaut und Reinigung sowie Abtrocknen der Glans bei Männern, Reinigung von vaginal nach anal bei Frauen) [5].
Eine Candidurie ist häufig Ausdruck asymptomatischer Kolonisierung beziehungsweise Kontamination [6]. Die Prävalenz ambulant erworbener Candidurien variiert je nach Patientencharakteristika. Eine Querschnittstudie, in der 100 000 Urinproben der Allgemeinbevölkerung untersucht wurden, zeigte eine Besiedelung von 0,1% der ambulant eingegangenen Urinproben mit Candida spp. [7]. In einer kleinen Querschnittsstudie wurde der Urin von 400 Personen mit DM2 untersucht. Dabei konnte in 10% aller Urinkulturen Wachstum von Candida spp. nachgewiesen werden. Von diesen Personen wiesen 55% eine Glukosurie auf [8]. Ein Fallbericht über einen Patienten mit DM2 bringt die Einnahme von Empagliflozin mit dem Auftreten einer hämorrhagischen Zystitis mit Nachweis von Candida glabrata in Verbindung [9]. Bei nicht signifikanter Ausscheidung von Echinocandinen in den Urin ist es bemerkenswert, dass sich in unserem Fall unter der Therapie mit Anidulafungin eine Negativierung der Urinkultur mit regredienten urogenitalen Beschwerden gezeigt hatte. Die Urinkonzentration von Anidulafungin liegt bei <0,1% der Konzentration von Anidulafungin im Plasma [10].
Tritt zur Candidurie auch eine Candidämie auf, muss differentialdiagnostisch an zwei Mechanismen gedacht werden. Erstens an eine extrarenale Quelle von Candida spp. mit einer sekundären Streuung in das Nierensystem. Zweitens an einen aufsteigenden urogenitalen Infekt [6, 11]. Zu Letzterem gibt es relativ wenige epidemiologische Daten. In einer Kohortenstudie waren 20,8% der Candidämien von hospitalisierten Personen urogenitalen Ursprungs. Candida glabrata war dabei die häufigste kultivierte Spezies. Diese Patientinnen und Patienten wiesen interessanterweise nicht die generellen Risikofaktoren für Candidämien auf (wie Breitspektrum-Antibiotika-Therapie, zentralvenöser Katheter, Neutropenie), sondern zeigten einen Harnverhalt, einen vesikoureteralen Reflux und/oder hatten einen transurethralen Blasenkatheter [12].
Noch spärlicher ist die Datenlage zu ambulant erworbenen Candidämien urogenitalen Ursprungs. In der gleichen Studie zeigte sich, dass sämtliche Fälle mit Nachweis von Candida glabrata pathologische Vorbefunde des ableitenden Harntrakts (wie Konkremente, Abszesse oder nekrotische Anteile der Prostata) aufwiesen. Ähnlich sieht es in einem Fallbericht über zwei Fälle ambulant erworbener Candidämien bei an DM2 Erkrankten unter Empagliflozin aus. Auch hier wiesen beide Patienten zugrunde liegende Anomalien des Urogenitaltrakts auf: einen obstruktiven Nierenstein und einen Prostataabszess einerseits, ein Blasendivertikel und eine Balanitis xerotica obliterans mit dilatationsbedürftiger Ureterstriktur andererseits [13].
Vor diesem Hintergrund erscheint unser Fall einer ambulant erworbenen Candidämie mit urogenitaler Quelle ohne Hinweise auf relevante anatomisch-pathologische Befunde des Urogenitaltrakts aussergewöhnlich. So ist aktuell anzunehmen, dass eine Kombination aus DM2, obstruktiver Harnabflussstörung bei Prostatahyperplasie und einer Glukosurie unter dem SGLT2-Hemmer zur Entwicklung einer Candidämie mit Candida glabrata geführt hatte. Es gilt abzuwarten, ob mit zunehmendem Einsatz von SGLT2-Hemmern auch die Inzidenz solcher Fälle steigen wird.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Inhibitoren des «sodium-glucose co-transporter 2» (SGLT2) erhöhen das Risiko für Genitalmykosen, denen mit einfachen Hygienemassnahmen vorgebeugt werden kann.
  • Bei vorbestehenden urogenitalen Anomalien können sie aufsteigende Harnwegsinfekte bis hin zur Candidämie begünstigen.
  • Unser Fall zeigt, dass unter SGLT2-Hemmern bereits eine obstruktive Harnabflussstörung mit einer Candidämie assoziiert sein kann.
Christian Bischof, dipl. Arzt Klinik für Innere Medizin, Hirslanden Klinik St. Anna, Luzern
Christian Bischof
Allgemeine Innere Medizin
Spital Nidwalden
Ennetmooserstrasse 19
CH-6370 Stans
christian.bischof[at]spital-nidwalden.ch
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Verdankung
Wir danken der Bioanalytica AG, Luzern, für das mikrobiologische Bildmaterial, dem Institut für Radiologie und Nuklearmedizin der Hirslandenklinik St. Anna, Luzern, für das radiologische Bildmaterial und dem Patienten für die Möglichkeit, den Fall zu publizieren.
Ethics Statement
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