RETRACTED: Akute Methotrexat-Toxizität bei niedrig dosierter Therapie
Chronische rheumatische Erkrankungen
Peer-review

RETRACTED: Akute Methotrexat-Toxizität bei niedrig dosierter Therapie

Aktuell
Ausgabe
2024/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2024.1370636905
Swiss Med Forum. 2024;24(11):144-148

Affiliations
a Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Zürich, Universität Zürich, Zürich
b Abteilung für Biomedizinische Wissenschaften, Universität Nottingham, Nottingham, England, UK

Publiziert am 13.03.2024

Dieser Artikel wurde auf Ersuchen des Autors und der Autorin zurückgezogen. Die entsprechende «Retraction Notice» dazu lesen Sie unter: https://smf.swisshealthweb.ch/de/article/doi/smf.2024.1466769568.
Medikament: Metoject® (Methotrexat)
Folgen der UAW: Verlängerte Hospitalisation
Verlauf: Ohne Schaden vollständig erholt
Kausalitätsbewertung: Wahrscheinlich

Der klinische Fall

Eine 71-jährige Frau stellte sich in der Notaufnahme mit starken bewegungsabhängigen Schmerzen im linken Schambein, die akut eingesetzt hatten, vor. Nach der Diagnose einer Beckenringfraktur wurde sie zur konservativen Behandlung stationär aufgenommen. Die Hauptdiagnose der Patientin war eine chronische systemische idiopathische erosive Arthritis, die vorberichtlich mit Methotrexat (MTX; 15 mg/w), Hydroxychloroquin (200 mg/d) und Prednison (7,5 mg/d) behandelt wurde. Sie hatte zum Zeitpunkt der Spitaleinweisung keine bekannte(n) hämatologische(n) und/oder onkologische(n) Grunderkrankung(en).
Sie erhielt eine analgetische Therapie mit Metamizol (4000 mg/d), Paracetamol (2000 mg/d) und Oxycodon/Naloxon (30/15 mg/d). Die Analgesie wurde je nach Bedarf mit Oxycodon (5 mg) augmentiert. Abgesehen von Acetylsalicylsäure, die sie aufgrund der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit eingenommen hatte und die am Tag des Spitaleintritts abgesetzt wurde, nahm sie alle vorherigen Medikamente weiter ein (Tab. 1).
Zwei Tage nach der Aufnahme erhielt die Patientin wie geplant MTX (15 mg 1×). Am Tag vor und nach der Verabreichung von MTX erhielt sie Folsäure (5 mg). Ausser einer vorbestehenden leichten normozytären normochromen Anämie mit einem Hämoglobinwert zwischen 106 und 87 g/l hatten ihre Laborwerte vor dem Spitaleintritt normale Leukozyten- und Thrombozytenzahlen gezeigt. Bei der am nächsten Tag, nach der Verabreichung von MTX, durchgeführten Laborkontrolle wurden eine Panzytopenie sowie erhöhte Leberparameter festgestellt. Dieser Befund hielt an und verschlimmerte sich in den folgenden Tagen, wie anhand der Entwicklung der Leberparameter und Blutbildwerte in den Abbildungen 1 respektive 2 ersichtlich ist. Parallel zur Panzytopenie war eine weitere Erhöhung der Leberparameter zu beobachten. Ausser Messungen einer subfebrilen Körpertemperatur und einer Verschlimmerung bereits bestehender Mundgeschwüre waren die klinischen Folgeuntersuchungen unauffällig. Nach Entnahme von Blut-, Urin- und Stuhlproben sowie Gewebeproben aus dem Mund für mikrobiologische Untersuchungen wurde keine pathogene Ursache festgestellt. Daraufhin, am achten Tag nach Eintritt, wurde eine empirische antivirale Therapie mit Valaciclovir (1000 mg 2×/d) eingeleitet. Anschliessend wurden ihr insgesamt drei Einheiten Erythrozytenkonzentrat transfundiert. Weitere Untersuchungen durch die Abteilungen für Hämatologie, Rheumatologie, Onkologie und Infektionskrankheiten konnten keine eindeutige Ätiologie belegen. Aufgrund des starken Verdachts auf MTX-induzierte Panzytopenie und Hepatitis wurde eine antagonisierende Therapie mit Calciumfolinat 7,5 mg 4×/d für drei Tage verabreicht, und es wurde ein pharmakologisches Konsilium angefordert. Im weiteren stationären Verlauf kam es zu einer signifikanten Erholung der Laborparameter, und der Allgemeinzustand der Patientin besserte sich.
Abbildung 1: Entwicklung der Leberwerte der Patientin. In Klammern angegeben sind die Normalwerte. ALP: alkalische Phosphatase; ALT: Alanin-Aminotransferase; MTX: Methotrexat.
Abbildung 2: Entwicklung der Vollblutwerte der Patientin: Hämoglobin, Thrombozyten und Leukozyten. In Klammern angegeben sind die Normalwerte. MTX: Methotrexat.

Klinisch-pharmakologische Beurteilung

MTX ist ein Antimetabolit des Enzyms Dihydrofolatreduktase (DHF-Reduktase) [1, 2]. MTX wird durch einen aktiven Transportmechanismus in die Zellen aufgenommen. Intrazellulär entfaltet es seine Wirkung hauptsächlich während der «S-Phase» der Zellteilung durch kompetitive Hemmung der DHF-Reduktase [3]. Dihydrofolate werden in der Regel durch DHF-Reduktasen zu Tetrahydrofolaten reduziert, die für die Übertragung von Methylgruppen benötigt werden [1–3]. MTX hemmt somit die DNA-(«deoxyribonucleic acid»-)/RNA-(«ribonucleic acid»-)Synthese und deren Reparatur sowie die Zellproliferation. Die Affinität der DHF-Reduktase zu MTX ist viel grösser als zu Folsäure oder Dihydrofolsäure [3]. Aktiv proliferierende Gewebe wie bösartige Zellen, aber auch Knochenmark, fötale Zellen, Mund- und Darmschleimhaut, Haarmatrix und die Zellen der Harnblase reagieren im Allgemeinen empfindlich auf die Wirkung von MTX [3]. Aufgrund des unspezifischen Wirkmechanismus von MTX sind in der Regel also auch sich schnell teilende gesunde Zellen betroffen. Aus diesem Grund wird das spezifische Gegenmittel Folinsäure häufig nach einer MTX-Hochdosistherapie verabreicht. Ausserdem wird Folsäure 24 Stunden nach der Anwendung der einmal wöchentlich stattfindenden MTX-Niedrigdosistherapie eingesetzt [3].
Intrazellulär wird MTX in MTX-Polyglutamat umgewandelt. Dieses reichert sich dort an, weil es eingeschlossen wird und nicht passiv in das extrazelluläre Kompartiment diffundieren kann [4–6]. MTX kann jedoch durch den Arzneimittel-Efflux-Transporter P-Glykoprotein (P-gp) aus der Zelle transportiert werden. P-gp ist ein Transportermolekül aus der Superfamilie der ABC-Transporter (ATP-bindenden Kassetten-Transporter). Es wird von dem menschlichen Multidrug-Resistance-Gen 1 (MDR1) codiert [7, 8]. Etwa 10% des MTX werden in der Leber metabolisiert [3]. Es wurde nicht nachgewiesen, dass das Cytochrom-P450-(CYP-)System an dessen Metabolismus beteiligt ist. Die Ausscheidung von MTX erfolgt hauptsächlich in unveränderter Form über die Nieren durch glomeruläre Filtration und aktive tubuläre Sekretion [4, 5]. Im Gegensatz dazu werden 5–20% von MTX und 1–5% des Hauptmetaboliten 7-Hydroxymethotrexat (7-OH-MTX) über die Galle ausgeschieden [3, 4]. Die terminale Halbwertszeit von MTX beträgt durchschnittlich sechs bis sieben Stunden und weist erhebliche interindividuelle Schwankungen auf (etwa 3–17 Stunden) [3]. Gemäss Schweizer Arzneimittelinformation (https://www.swissmedicinfo.ch) zu MTX wird Hämatotoxizität (Leukozytopenie, Anämie und Thrombozytopenie) als häufige unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) mit einer Prävalenz von etwa 1–10% und eine Leberfunktionsstörung als sehr häufige UAW mit einer Prävalenz von bis zu 70% beschrieben.
Die arzneimittelinduzierte Panzytopenie ist in der Regel idiosynkratisch, also unabhängig von der Dosis des verursachenden Wirkstoffs. Es gibt jedoch auch dosisabhängige Formen, wie sie bei Patientinnen und Patienten beobachtet werden, die Medikamente wie Azathioprin, MTX oder andere chemotherapeutische Substanzen erhalten. Grundsätzlich ist die medikamenteninduzierte Panzytopenie eine Ausschlussdiagnose. Bei der Differentialdiagnose sollten vor allem immunologische, hämatologische und infektiöse Ursachen in Betracht gezogen werden. Die arzneimittelinduzierte Leberschädigung («drug-induced liver injury» [DILI]) ist ebenfalls eine Ausschlussdiagnose, da bisher keine spezifischen Biomarker klinisch verfügbar sind [10]. Je nach Schädigungsmuster kann die DILI in drei Kategorien eingeteilt werden: die hepatozelluläre, die cholestatische und die mit gemischtem Muster. Sie ist in erster Linie unabhängig von der Dosis der verabreichten Arzneimittel [9, 10]. Seltener ist die Hepatotoxizität dosisabhängig, wie beispielsweise bei Paracetamol. Intrinsische (zeitlicher Zusammenhang) und extrinsische Faktoren sind auch bei der Kausalitätsklassifizierung der DILI entscheidend. Anhand der dokumentierten Alanin-Aminotransferase(ALT)- und ALP(alkalische Phosphatase)-Werte der Patientin drei Tage nach der Verabreichung von MTX wurde ein R-Wert von 3,3 errechnet, was auf eine Leberschädigung mit gemischtem Muster hinweist [9]. Obwohl eines der Kriterien für die Diagnose einer DILI gemäss Aithal et al. bei einem ALT-Wert von 4,7-mal über der oberen Normgrenze knapp erfüllt war, lag der ALP-Wert hingegen 1,4-mal über der oberen Normgrenze [11].
Protonenpumpeninhibitoren (PPI), wie im vorliegenden Fall Esomeprazol, können in höherer Dosierung die MTX-Elimination reduzieren und die Toxizität erhöhen. Diese pharmakokinetische Interaktion ist auf die Konkurrenz um die Bindungsstellen an organischen Anionentransportproteinen (OAT) in der Niere zurückzuführen [3]. Unter der Rubrik «Vorsichtsmassnahmen und Warnhinweise» der Schweizerischen Arzneimittelinformation wird auf eine durch Metamizol hervorgerufene Agranulozytose respektive Neutropenie hingewiesen. Die Agranulozytose, die meistens eine Woche lang anhält, wird als eine allergische Immunreaktion beschrieben. Aufgrund der additiven Hämatotoxizität vor allem bei älteren Betroffenen sollte die gleichzeitige Anwendung von MTX und Metamizol vermieden und auf alternative Analgetika ausgewichen werden.

Zusammenfassung

Zusammenfassend wurde wegen des zeitlichen Zusammenhangs sowie aufgrund der Angaben in der Arzneimittelinformation, in der Fachliteratur und in der Datenbank der WHO («Word Health Organization») und bei fehlenden Hinweisen auf nicht medikamentöse Ursachen die Kausalität zwischen der gleichzeitigen Anwendung von MTX, Metamizol und Esomeprazol und dem Auftreten der Panzytopenie und der akuten Leberschädigung gemäss WHO und «Council for International Organizations of Medical Sciences»-(CIOMS-)Kriterien formal als wahrscheinlich bewertet.
Die Patientin wies einen Tag nach der letzten Verabreichung von MTX eine Leukopenie von 2,34 G/l, eine Thrombozytopenie von 46 G/l und deutlich erhöhte Leberparameter bei erhaltener geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) auf. Eine leichte Anämie war bereits vor dem Spitaleintritt festgestellt worden. Wahrscheinlich war zu dem Zeitpunkt eine MTX-induzierte Knochenmarksuppression bereits im Gange. Aufgrund der Verabreichung von hochdosiertem Metamizol unmittelbar vor der Verabreichung des niedrig dosierten MTX wurde die bereits bestehende hämatotoxische pharmakodynamische Nebenwirkung von MTX möglicherweise durch die von Metamizol akut verstärkt, obwohl am Tag vor und nach der Verabreichung von MTX präventiv Folsäure verabreicht wurde. Die gleichzeitige Verabreichung von hochdosiertem Esomeprazol verringerte die renale Elimination von MTX noch weiter, wodurch die hämatotoxischen und hepatotoxischen UAW von MTX noch verstärkt wurden.

Schlussfolgerungen

Der relativ hohe Bedarf an Analgetika bei Patientinnen und Patienten mit chronischen rheumatischen Erkrankungen, die mit Methotrexat, Protonenpumpenhemmern und Schleifendiuretika behandelt werden, macht es erforderlich, dass Klinikerinnen und Kliniker Interaktionen zwischen Arzneimitteln als potentielle Ursache einer akuten Hämatotoxizität und Hepatotoxizität nach der Verabreichung von Metamizol oder nicht steroidalen Antirheumatika in Betracht ziehen. Bei dieser Patientenkategorie wird dringend empfohlen, auf andere Analgetikaklassen auszuweichen, eine Dosisanpassung relevanter Begleitmedikamente in Betracht zu ziehen und die Laborparameter genau zu überwachen, um rechtzeitig gegen UAW vorgehen zu können.
Dr. med. Seth Duwor Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Zürich, Universität Zürich, Zürich
Dr. med. Seth Duwor
Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
seth.duwor[at]usz.ch
1 Genestier L, Paillot R, Fournel S, Ferraro C, Miossec P, Revillard JP. Immunosuppressive properties of methotrexate: apoptosis and clonal deletion of activated peripheral T cells. J Clin Invest. 1998;102(2):322–8.
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