Licht und Schatten
20 Jahre Swiss Medical Forum

Licht und Schatten

Editorial
Ausgabe
2022/1112
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09055
Swiss Med Forum. 2022;22(1112):179

Affiliations
Redaktor Swiss Medical Forum

Publiziert am 15.03.2022

«Schlaglicht» ist ein der Malerei entlehnter Begriff. In der aktuellen Ausgabe des Swiss Medical Forum spannt sich der Lichtbogen von der Notfallmedizin über die Physiologie, Angiologie und Pneumologie bis zur Psychiatrie.

«Schlaglicht» ist ein der Malerei entlehnter Begriff: er bezeichnet einen besonders hell gemalten Bereich, der damit aus seiner dunkel kontrastierenden Umgebung – dem Schlagschatten – hervortritt. In der Kunst des Frühbarocks war es vor allem der Italiener Caravaggio (Michelangelo Merisi da Caravaggio, 1571–1610), der diese Technik perfektionierte [1]. Auf seinen ­Bildern tritt uns das Schlaglicht als metaphysische Erleuchtung entgegen. Hier und im übertragenen Sinne ist es der Lichtstrahl, den ausgewiesene Exponentinnen und Exponenten ihres Fachs auf die besonderen Entwicklungen aus Medizin und Physiologie über die letzten zwei Jahrzehnte richten. In der aktuellen Ausgabe des Swiss Medical Forum spannt sich der Lichtbogen von der Notfallmedizin über die Physiologie, Angiologie und Pneumologie bis zur Psychiatrie.
Stellvertretend für die Digitalisierung in der Medizinwelt beschreiben Thomas C. Sauter, Aristomenis K. Exadaktylos und Wolf E. Hautz für die Notfallmedizin, was im Gesundheitswesen generell im Gange ist: konkret wird unter der Alliteration «persönlich – partizipativ – prädiktiv» der Einsatzraum der künst­lichen Intelligenz ausgelotet. Die entsprechenden Spielformen zeichnen sich seit dem Millennium ab, allerdings bleiben sie immer noch weitgehend Zukunftsmusik. Sie sind damit Hilfsmittel, deren Platz im klinischen ­Alltag noch gefunden werden muss. 
Gemäss Bernhard Rossier für die Physiologie haben die vergangenen 20 Jahre die These bestätigt, dass die ­arterielle Hypertonie in erster Linie eine Nieren­erkrankung ist. Dazu entwirft er ein spannendes Panoptikum aus Epidemiologie (immerhin finden sich ­global rund 1,2 Milliarden Betroffene), Elektrolyt­physiologie ­(Stichwort: «Aldosteron-Paradox» und «Kalium-Switch») und Evolutionsgeschichte (der phylogenetische Weg des Homo sapiens «out of Africa» bis zur Pandemie der Gegenwart).
Im Fokusartikel zur Angiologie beleuchtet Iris Baumgartner das Zusammenspiel von Umwelt- und Lebensstilfaktoren mit unzähligen Einzelnukleotid-Polymorphismen in der Pathogenese der Arteriosklerose. Der Aufbau von riesigen Datenbanken und der Fortschritt in der Bioinformatik haben die Erkenntnisse in dem Bereich extrem befördert. Auch diese Daten bestätigen aber vor allem eines: die Behandlung von Risikofaktoren und damit die Prävention der Entstehung der Arteriosklerose bleiben die zentralen Ansatzpunkte.
Im konzis-scharfen Lichtkegel der Pneumologie von Erich W. Russi steht die Entwicklung von Biologika (schweres Asthma), von spezifischen Vasodilatatoren (pulmonale Hypertonie) und der breite Einsatz von ­Beatmungsmodalitäten (schlafassoziierte Atemstörungen). Als erfolgreich dürfen auch die interventionellen Ansätze für ausgewählte Indikationen vermerkt werden: die Lungenvolumenreduktion – sei es thorakoskopisch oder zunehmend auch bronchoskopisch – beim schweren Emphysem und die Thrombendarteriektomie bei der chronisch-thromboembolischen Form der pulmonalen Hypertonie. Auf der anderen Seite hat sich in der medikamentösen Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenkrankheit trotz eines immer unübersichtlicheren Arsenals an Inhalativa nicht viel bewegt; die Antifibrotika, die bei der Lungenfibrose zum Einsatz kommen, beeinflussen Symptomatik und Lebensqualität der Betroffenen kaum; der Lungenkrebs bleibt die häufigste malignom-assoziierte Todesursache. Wie sich letzteres durch das computertomographische Screening von Risikopersonen ändern wird, und ob dieser Ansatz dem Primat einer auch ökonomisch sinnvollen Medizin gerecht wird, bleibt ­gegenwärtig offen.
Im Schlaglicht zu Psychiatrie und Psychotherapie schliesslich zeigt Daniel Hell neben den in der Dekade des Gehirns stattgehabten Entwicklungen – wie etwa der Entmystifizierung von Depressionskrankheiten als rein biochemischer Entität – konkrete Probleme auf. Die Zahlen, nach denen die Prävalenz für schwere depressive Symptome in der Schweiz bei fast einem Fünftel der Bevölkerung liegt (Stand November 2020), ver­weisen auf den langen Schatten der Corona-Pandemie. Immerhin haben dank COVID-19 telepsychiatrische Behandlungsmodalitäten zunehmend an Akzeptanz gewonnen. Auch wenn diese Instrumente die multiprofessionalen Therapiebeziehungen nicht ersetzen können, lässt dies zum Ende dieser Schlaglicht-Nummer auch hoffen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine erhellende Lektüre!
1 Mechthild Zimmermann: Forschen mit Licht (Highlights aus den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft). Available from: www.forschen-mit-licht.mpg.de/68311/zwischen-schlaglicht-und-schlagschatten [accessed: Feb 04 2022].