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Publiziert am 25.09.2019
Erhält ein Patient seine Medikamente über eine Ernährungssonde, so ergeben sich grundlegende pharmazeutische Fragestellungen. Theoretische Überlegungen dazu lesen Sie in Teil 1 dieser Übersicht.
Tabelle 1: Beispiele von Wirkstoffen mit Problemen in der Resorption bei Verabreichung via Sonde. | |
Antazida (diverse) | Entfalten nur lokale Wirkung im Magen, Verabreichung bei jejunaler Sonde sinnlos. |
Atazanavir | Infolge erhöhter pH-Werte können bei einer jejunaler Sondenanlage reduzierte Plasmakonzentrationen von Atazanavir resultieren. |
Buprenorphin | Wirkt nur bei Resorption über die Mundschleimhaut, sofern diese intakt ist. Bei der Leberpassage wird Buprenorphin substantiell zu einem inaktiven Glukuronidkonjugat metabolisiert, das einen enterohepatischen Zyklus durchläuft. Die Schmerzreduktion kann daher unter Umständen unzureichend ausfallen, da die Resorption im Magen-Darm-Trakt nur unzuverlässig abgeschätzt werden kann. |
Chinolon-Antibiotika | Chinolone weisen infolge möglicher Chelat-Bildung mit polyvalenten Kationen wie z.B. Ca2+, Fe2+, Mg2+ ein erhebliches Interaktionspotenzial mit Sondennahrung auf. Eine zeitliche Trennung der Verabreichung für eine volle Wirkung der Antibiose ist entscheidend. |
Dexamethason | Hauptresorptionsort ist der Magen und das obere Duodenum, problematisch bei jejunaler Sondenlage. |
Kaliumcitrat | Wenngleich die Kaliumsubstitution mit citrathaltigen Brausetabletten grundsätzlich möglich ist, so wird insbesondere bei Patienten unter Diuretika-Therapie die Verwendung der verdünnten Kaliumchlorid-Ampullen empfohlen. So verabreichtes Kaliumchlorid ist für die Magen-Darm-Passage besser verträglich und wird intestinal schneller aufgenommen bzw. nicht gleich wieder renal ausgewaschen, wie dies bei Kaliumcitrat der Fall ist. |
Levodopa | Da Levodopa sich kompetitiv zu gewissen Aminosäuren verhält, kann die Resorption von Levodopa bei Patienten, die eine proteinreiche Ernährung erhalten, gestört sein (z.B. bei enteraler Ernährung). |
Nifedipin | Wirkungsverlust von 10% pro Minute (!) durch Lichteinfluss ab Moment des Mörserns. |
Nitroglycerin | Wirkt nur bei Resorption über die Mundschleimhaut, sofern diese intakt ist. Wird der Wirkstoff gastral verabreicht, resultiert ein hoher First-Pass-Effekt bei der Leberpassage und eine ausreichende Wirkung ist kaum zu erwarten. |
Phenytoin | Die gleichzeitige enterale Ernährung bewirkt eine Abnahme der Plasmakonzentration von Phenytoin. Die Sondenkost ist 1 Stunde vor bzw. bis nach der Verabreichung zu stoppen. Eine engmaschige Plasmakonzentrationsbestimmung ist in diesen Fällen indiziert. |
Posaconazol | Ein Austausch der Tabletten gegen die orale Suspension oder umgekehrt ohne Dosisanpassung kann zu unbeabsichtigter Über- bzw. Unterdosierung und damit zu einem Risiko für schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder zu mangelnder Wirksamkeit führen. |
Tacrolimus | Tacrolimus ist nicht mit PVC kompatibel. Der Wirkstoff wird von PVC absorbiert, was zu einer unklaren Dosierung führt. So dürfen in der Verabreichung von Tacrolimus keine PVC-haltigen Sondenmaterialien verwendet werden. Diese werden grundsätzlich als obsolet betrachtet, kommen aber in seltenen Fällen nach wie vor zum Einsatz. |
Tabelle 2: Checkliste zur Arzneimittelauswahl bei Patienten mit Ernährungssonden (nach [7]). | |
Kontext | Fragestellung |
Patient und Sonde | Ist beim Patienten noch eine orale Gabe möglich, so ist dieser Weg vorzuziehen (PEG-Sonden erlauben teils Schluckvorgänge). Um welche Art und Grösse der Sonde handelt es sich? Wo liegt das Sondenende? |
Arzneiform | Steht für das Medikament eine flüssige Arzneiform zur Verfügung? Kann auf die Rezeptur einer flüssigen Form zurückgegriffen werden? Welche Osmolalität und pH-Wert hat die Flüssigkeit? Kann eine parenterale Form oral verabreicht werden? Bietet eine rektale oder transdermale Gabe eine Alternative zur enteralen Verabreichung? Ist das Zerkleinern einer festen Arzneiform bedenklich? |
Arzneistoff | Ist der Arzneistoff stabil gegenüber Licht, Magensäure, Enzymen des Magens? Ist die Resorption des Arzneistoffs bei der vorliegenden Position der Sonde gewährleistet? Gibt es Wechselwirkungen zwischen der Sondennahrung und den Arzneimitteln? Ist eine Inkompatibilität zwischen Sondennahrung und Arzneimittel zu erwarten? Haben die Arznei- oder Hilfsstoffe einen Einfluss auf die Magen-Darm-Motilität, Speichelbildung oder Geschmacksempfindung? |
Therapie | Ist die Einzeldosis und/oder das Dosisintervall anzupassen? Sollten besondere Parameter während der Therapie überwacht werden («Therapeutic Drug Monitoring»)? Bietet sich für einen Arzneistoff mit problematischer Applikation ein anderer, therapeutisch gleichwertiger an? Sind alle zu verabreichenden Arzneimittel unbedingt notwendig? |
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