Entzündungsreaktion durch einen Entzündungshemmer?
Pulmonale Obstruktion und Sinusitiden
Peer-review

Entzündungsreaktion durch einen Entzündungshemmer?

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2024/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2024.1175444177
Swiss Med Forum. 2024;24(12):172-174

Affiliations
Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Münsterlingen, Spital Thurgau AG, Münsterlingen

Publiziert am 20.03.2024

Fallbeschreibung

Eine 36-jährige Patientin stellte sich mit Husten, Schnupfen, Brustschmerzen und Kraftverlust auf dem Notfall vor. Bei tiefer Einatmung klagte sie über starke Thoraxschmerzen. Seit etwa sechs Wochen leide sie zudem an anhaltenden Kopfschmerzen, gegen die sie regelmässig Acetylsalicylsäure (ASS) oder Ibuprofen eingenommen habe. In den vergangenen zwei Wochen war ihr ausserdem wegen eines leicht produktiven Hustens eine empirische antibiotische Therapie mit Azithromycin für drei Tage verschrieben worden. Die Patientin präsentierte sich bei Eintritt in reduziertem Allgemeinzustand, afebril und hämodynamisch stabil. Die Lungenauskultation ergab ein verlängertes Exspirium mit exspiratorischem Giemen und Brummen. Die übrige klinische Untersuchung, die arterielle Blutgasanalyse und das Thorax-Röntgenbild waren unauffällig.
In den vorausgegangenen vier Jahren hatte die Patientin an wiederholten Sinusitiden gelitten. In den Monaten vor der Notfallkonsultation war aufgrund einer persistierenden Rhinosinusitis trotz nasaler topischer und systemischer Steroidtherapie eine Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Überweisung erfolgt, die den Befund einer Polyposis nasi, einer Bluteosinophilie von 1,7 G/l und eines C-reaktiven Proteins (CRP) von 27 mg/l ergeben hatte. Bioptisch hatte sich eine akute ulzerative Entzündung mit erhöhtem Anteil an eosinophilen Granulozyten gefunden.
Frage 1
Welche Differentialdiagnose erscheint zum jetzigen Zeitpunkt am wahrscheinlichsten?
a) Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA)
b) «Aspirin-exacerbated respiratory disease» (AERD)
c) Chronische Rhinosinusitis mit Polyposis nasi (CRSwNP)
d) Granulomatose mit Polyangiitis (GPA)
e) Allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA)
Aufgrund des obstruktiven Lungenauskultationsbefundes, der Anamnese einer Nasenpolypose mit progredienter Rhinosinusitis mit Beteiligung der unteren Atemwege und dazu der vermuteten ASS-Intoleranz hielten wir eine durch ASS / nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) exazerbierte Atemwegserkrankung (AERD) für die wahrscheinlichste Diagnose. Der Symptomenkomplex aus chronischer Rhinosinusitis mit Nasenpolypen (CRSwNP), Asthma bronchiale und Unverträglichkeitsreaktionen, die durch NSAR ausgelöst werden, wird als Analgetika-Asthma, Aspirin-exazerbierte Atemwegserkrankung (AERD) oder früher Morbus Widal (Samter-Trias) bezeichnet [1].
Die Verschlechterung des Allgemeinzustandes, das Asthma und die Eosinophilie liessen auch an eine Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) als mögliche Differentialdiagnose (DD) denken. Aufgrund fehlender weiterer neurologischer, kutaner, kardialer und renaler Merkmale einer EGPA trat diese DD eher in den Hintergrund. Dasselbe galt für die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), bei der Veränderungen des Lungenparenchyms und weitere Organbeteiligungen, meist der Nieren, auftreten können, wozu aber das Asthma nicht gepasst hätte. Das Asthma und die Bluteosinophilie stellen auch bei der allergischen bronchopulmonalen Aspergillose (ABPA) ein wichtiges Kriterium dar. Bei dieser Erkrankung werden jedoch Infiltrate und radiologische Veränderungen aufgrund von zentralen Bronchiektasen und «mucus plugs» erwartet, zudem wären die nasalen Symptome nicht passend gewesen. Die chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen (CRSwNP) kann mit und ohne Asthma vorkommen, im vorliegenden Fall waren alle drei Elemente der AERD, auch als Morbus Widal (Samter-Trias) bezeichnet, gegeben. AERD, NERD («NSAR-exacerbated respiratory disease») und Samter-Trias respektive Morbus Widal bezeichnen dieselbe Erkrankung.
Frage 2
Welcher dieser Mechanismen ist nicht Teil der AERD?
a) Dysregulation des Arachidonsäure-Stoffwechsels
b) Überproduktion von Leukotrienen
c) Immunglobulin-A-vermittelte mukosale Reaktion
d) Blut- und Gewebseosinophilie
e) Aktivierung von Mastzellen
Die Pathophysiologie des ASS-Intoleranz-Syndroms basiert auf einer erworbenen Störung des Arachidonsäure-Stoffwechsels und einem daraus resultierenden gestörten Verhältnis zwischen entzündungsfördernden und entzündungshemmenden Mediatoren, was zu einer chronischen Entzündung der Atemwege führt [2]. Die pharmakologische Wirkung von NSAR, die die Cyclooxygenase 1 (COX-1) hemmen, verschlimmert dieses Ungleichgewicht akut und führt auch zu einer Aktivierung der Mastzellen [3]. Immunglobulin (Ig) A hat eine Bedeutung für die lokale mukosale Erregerabwehr und spielt keine Rolle bei der ASS-Intoleranz. Die Tryptase spielt eine Rolle bei der Mastzellenaktivierung und ist bei ASS-induzierten Atemwegsreaktionen oft erhöht.
Frage 3
Welche der folgenden Massnahmen ist nicht angezeigt?
a) Inhalationstherapie bei Asthma (z.B. langwirksames Betamimetikum [LABA] plus inhalatives Kortikosteroid [ICS])
b) Topische Steroidbehandlung der chronischen Rhinosinusitis mit nasaler Polyposis
c) Monoklonale Anti-IgE-Therapie
d) Infusionsbehandlung mit Tumornekrosefaktor-(TNF-)α-Antagonisten
e) Acetylsalicylsäure-Desensibilisierung
Während des Aufenthaltes wurden eine systemische Steroidtherapie eingeleitet und die topische nasale Steroidtherapie weitergeführt. Alle analgetischen Therapeutika vom NSAR-Typ wurden abgesetzt. Ausserdem wurde eine Inhalationstherapie mit einem langwirksamen Betamimetikum und einem inhalativen Steroid (LABA-ICS) eingeführt, unterstützt durch eine Atemphysiotherapie. Eine Therapie mit Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten schien ebenfalls sinnvoll [4], wobei man angesichts der prompten Besserung durch die Kortikoidtherapie auf diese Option verzichtete. Eine Anti-IgE-Behandlung kann bei erfüllten Voraussetzungen sowohl gegen das Asthma als auch die CRSwNP indiziert sein. TNF-α-Antagonisten haben hier keinen Stellenwert.
Frage 4
Welcher der folgenden monoklonalen Antikörper wird als Therapie bei CRSwNP und Analgetika-Asthma eingesetzt?
a) Dupilumab
b) Bevacizumab
c) Infliximab
d) Natalizumab
e) Tocilizumab
Für Menschen mit ASS-exazerbierter Atemwegserkrankung (AERD) oder chronischer Rhinosinusitis mit Nasenpolypen, deren Symptome trotz der oben erwähnten Therapien fortbestehen, ist entweder die Gabe eines Biologikums oder die Durchführung einer ASS-Desensibilisierung zu empfehlen. Bei Asthma, verbunden mit nasaler Polyposis, ist eine Therapie mit Dupilumab (monoklonaler Antikörper) besonders geeignet, die Interleukin-(IL-)4- und IL-13-Rezeptoren zu blockieren und dadurch die Entzündung zu reduzieren [4] (Abb. 1).
Abbildung 1: Wirkungsweise von Dupilumab. Dupilumab ist ein monoklonaler Antikörper, der die Rezeptoren für Interleukin-(IL-)4 und IL-13 blockieren soll und so die Entzündungsreaktion lindert.
Ebenfalls in der Schweiz für Asthma und CRSwNP zugelassene Biologika sind der IL-5-Antikörper Mepolizumab und der monoklonale Anti-IgE-Antikörper Omalizumab.
Im Verlauf trat eine erneute klinische Verschlechterung mit Zunahme von Dyspnoe auf, im Labor imponierten eine anhaltend erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit, eine Eosinophilie sowie eine Leukozytose. Computertomographisch liessen sich mehrere mosaikartig angelegte milchglasdichte Opazitäten, vereinbar mit einer atypischen Pneumonie, DD einem eosinophilen Lungeninfiltrat, nachweisen (Abb. 2).
Abbildung 2: Thorax-Computertomogramm (Lungenfenster, Axialschnitt): Beidseitig mehrere mosaikartig angeordnete Milchglas-Opazitäten, vereinbar mit pneumonischen oder eosinophilen Infiltraten.
Eine empirische Therapie mit intravenösem Levofloxacin und Prednison 50 mg für fünf Tage wurde eingesetzt. Nach der Kostenübernahme durch die Krankenkasse liess sich letztlich eine Antikörper-Therapie mit Dupilumab verordnen. Im Verlauf wurde ein Lungenfunktionstest durchgeführt, der eine obstruktive Atemwegserkrankung mit signifikanter Teilreversibilität zeigte.
Frage 5
Welche Aussage für die AERD trifft am besten zu?
a) Häufig kommt es innerhalb weniger Jahre unbehandelt zur Spontanremission.
b) Mit dem selektiven IL-4- und -13-Rezeptor-Blocker Dupilumab lässt sich eine AERD in der Mehrzahl der Fälle heilen.
c) ASS und NSAR sollten dauerhaft vermieden werden, ausser nach entsprechender Desensibilisierung.
d) Unter Therapie mit Dupilumab können die inhalativen Behandlungen des Asthmas (z.B. LABA-ICS) in der Regel gestoppt werden.
e) Nebenwirkungen von Dupilumab sind in bis zu 20% der Fälle therapielimitierend.
Bei dem ASS-Intoleranz-Syndrom handelt es sich um einen anhaltenden Zustand, der in der Regel nicht spontan ausheilt. Auch Biologika führen nicht zu einer Abheilung der Erkrankung. Wenn eine wirksame Therapie gefunden und vertragen wird, soll die Behandlung auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden. Nach ASS-Desensibilisierung kann durch fortführenden Einsatz von ASS die Bildung von Nasenpolypen reduziert werden. Grundsätzlich sind bei allen Biologika im Einsatz gegen Asthma bronchiale die inhalativen Therapien weiterhin indiziert. Sie sind teuer, werden aber in der Regel gut vertragen.

Diskussion

Die Diagnose einer ASS- oder NSAR-induzierten respiratorischen Erkrankung (AERD, NERD oder Samter-Trias / Morbus Widal) wird bei Menschen mit Asthma, chronischer Rhinosinusitis mit nasaler Polyposis und Unverträglichkeit gegenüber ASS oder anderen NSAR gestellt [5, 6]. Diese äussert sich mit akuten Symptomen der oberen und/oder unteren Atemwege nach der Einnahme dieser COX-1-Hemmer. Die Reaktionen auf NSAR werden als «pseudoallergisch» eingestuft, da sie nicht durch Immunglobulin E (IgE) vermittelt werden [6]. Die hauptsächlichen Beschwerden, die bei AERD auftreten, entwickeln sich in der Regel schrittweise über einen Zeitraum von Jahren [7].
Die Prävalenz von Analgetika-Asthma liegt bei Erwachsenen mit Asthma bei etwa 7%, bei schwerem Asthma bei etwa 14% und bei Menschen mit chronischer Rhinosinusitis mit nasaler Polyposis bei etwa 16% [8]. Asthma und chronische Sinusitis können aggravieren, selbst wenn COX-1-Hemmer vermieden werden [5]. Die Pathophysiologie der AERD beinhaltet eine erworbene Störung des Arachidonsäure-Stoffwechsels und ein daraus resultierendes gestörtes Verhältnis zwischen proinflammatorischen und antiinflammatorischen Mediatoren, was zu einer chronischen Entzündung der oberen und unteren Atemwege führt. Die pharmakologische Wirkung von COX-1-Hemmern verschlimmert dieses Ungleichgewicht akut und führt ausserdem zu einer Aktivierung der Mastzellen [3]. Die Diagnose wird anhand des Vorliegens der drei oben beschriebenen klinischen Komponenten gestellt und kann durch einen oralen Provokationstest bestätigt werden. Personen mit AERD sollten zunächst die COX-1-Hemmer stoppen und eine entsprechende leitliniengerechte Therapie des Asthmas sowie topische und gegebenenfalls chirurgische Behandlung der chronischen Rhinosinusitis mit Nasenpolyposis (CRSwNP) erhalten [8]. Systemische Steroide sind wirksam, sollten aufgrund des Nebenwirkungsprofils aber möglichst vermieden werden. Für Patientinnen und Patienten, die trotz der oben genannten Therapien symptomatisch bleiben, werden die zusätzliche Gabe eines Asthma-Biologikums oder eine ASS-Desensibilisierung mit anschliessender täglicher ASS-Therapie empfohlen. Die ASS-Desensibilisierung und die tägliche Einnahme von ASS verbessern die Symptome von Asthma und chronischer Rhinosinusitis bei 80–90% der Behandelten [9]. Eine Desensibilisierung wird insbesondere denjenigen empfohlen, die ASS oder ein anderes NSAR entweder täglich oder intermittierend aus anderen Gründen einnehmen wollen oder müssen (z.B. bei rheumatischen Erkrankungen, koronarer Herzkrankheit) [8]. Dupilumab wird vor allem für Personen mit schwerem oder instabilem Asthma, für diejenigen, die ASS nicht vertragen oder potentielle Kontraindikationen haben, und/oder für Menschen, bei denen eine inhalative Asthmatherapie zuvor erfolglos war, empfohlen [4]. Die Dosis ist je nach Indikation und Gewicht anzupassen, ebenso sind unterschiedliche Start- und Erhaltungsdosen zu beachten.
Bei Analgetika-Asthma mit CRSwNP handelt es sich um eine anhaltende Erkrankung, die sich nicht spontan zurückbildet. Eine wirksame und verträgliche Behandlung wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt. Als Schmerzmittel können jedoch andere Medikamente, wie Paracetamol, Metamizol oder COX-2-Hemmer, gefahrlos eingesetzt werden [10].
Antworten
Frage 1: b. Frage 2: c. Frage 3: d. Frage 4: a. Frage 5: c.
Rafael Pereira Marques, dipl. Arzt Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Münsterlingen,
Spital Thurgau AG, Münsterlingen
Prof. Dr. med. Robert Thurnheer
Kantonsspital Münsterlingen
Spitalcampus 1
CH-8596 Münsterlingen
robert.thurnheer[at]stgag.ch
1 Widal F, Abrami P, Lermoyez J. First complete description of the aspirin idiosyncrasy-asthma-nasal polyposis syndrome (plus urticaria)--1922 (with a note on aspirin desensitization). J Asthma. 1987;24(5):297–300.
2 Ferreri NR, Howland WC, Stevenson DD, Spiegelberg HL. Release of leukotrienes, prostaglandins, and histamine into nasal secretions of aspirin-sensitive asthmatics during reaction to aspirin. Am Rev Respir Dis. 1988;137(4):847–54.
3 Fischer AR, Rosenberg MA, Lilly CM, Callery JC, Rubin P, Cohn J, et al. Direct evidence for a role of the mast cell in the nasal response to aspirin in aspirin-sensitive asthma. J Allergy Clin Immunol. 1994;94(6Pt1):1046–56.
4 Castro M, Corren J, Pavord ID, Maspero J, Wenzel S, Rabe KF, et al. Dupilumab efficacy and safety in moderate-to-severe uncontrolled asthma. N Engl J Med. 2018;378(26):2486–96.
5 Szczeklik A, Stevenson DD. Aspirin-induced asthma: advances in pathogenesis, diag-nosis, and management. J Allergy Clin Immunol. 2003;111(5):913–21.
6 Simon RA. NSAIDs (including aspirin): allergic and pseudoallergic reactions [Internet]. Teheran, Iran: UpToDate; 2022 (Abruf am 31.10.2022). Verfügbar unter: https://medilib.ir/uptodate/show/2082
7 Szczeklik A, Nizankowska E, Duplaga M. Natural history of aspirin-induced asthma. AI-ANE Investigators. European Network on Aspirin-Induced Asthma. Eur Respir J. 2000;16(3):432–6.
8 Laidlaw TM, Israel E. Aspirin-exacerbated respiratory disease [Internet]. Alphen aan den Rijn, Niederlande: UpToDate; 2023 (Abruf am 31.10.2022). Verfügbar unter: https://www.uptodate.com/contents/aspirin-exacerbated-respiratory-disease
9 Berges-Gimeno MP, Simon RA, Stevenson DD. Long-term treatment with aspirin de-sensitization in asthmatic patients with aspirin-exacerbated respiratory disease. J Al-lergy Clin Immunol. 2003;111(1):180–6.
10 West PM, Fernández C. Safety of COX-2 inhibitors in asthma patients with aspirin hypersensitivity. Ann Pharmacother. 2003;37(10):1497–501.
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