Chronische Diarrhoe und Ulzera duodeni – was steckt dahinter?
Herausfordernde Diagnosestellung
Peer-review

Chronische Diarrhoe und Ulzera duodeni – was steckt dahinter?

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2024/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2024.1164772540
Swiss Med Forum. 2024;24(11):149-151

Affiliations
Clarunis – Universitäres Bauchzentrum Basel, Standort St. Claraspital, Basel: a Gastroenterologie/Hepatologie
b Viszeralchirurgie
c Klinik für Radiologie, St. Claraspital, Basel

Publiziert am 13.03.2024

Fallbeschreibung

Ein 59-jähriger Patient berichtete, seit über fünf Jahren an Episoden postprandialer wässriger Diarrhoe zu leiden. Es habe keinen Gewichtsverlust und keine Begleitbeschwerden gegeben. Sowohl in der persönlichen als auch in der Familienanamnese waren keine relevanten Vorerkrankungen eruierbar.
Frage 1
Was gehört nicht zu den primären Abklärungen bei chronischer Diarrhoe?
a) Bestimmung von Calprotectin im Stuhl
b) Mikrobiologische Stuhluntersuchungen inklusive Untersuchungen auf Parasiten und Wurmeier
c) Ausschluss einer Zöliakie, serologisch und histologisch
d) Bestimmung von Gastrin, vasoaktivem intestinalem Peptid (VIP) und Serotonin
e) Koloskopie mit Stufenbiopsien
Die Differentialdiagnosen sind zahlreich, weshalb Abklärungen einer chronischen Diarrhoe stufenweise und abhängig von der Klinik erfolgen sollten [1]. Bei älteren Patientinnen und Patienten sind funktionelle Ursachen seltener als bei jüngeren. Die Suche nach hormonproduzierenden Tumoren sollte erst nach Ausschluss anderer Ursachen erfolgen.
Bei unserem Patienten ergab sich in den initialen Untersuchungen kein Hinweis auf eine infektiöse oder chronisch entzündliche Darmerkrankung. Bei einem erniedrigten Pankreas-Elastase-Wert brachte eine probatorische Therapie mit Creon® (Pankreasenzympräparat mit Lipase, Amylase und Proteasen) keine Beschwerdebesserung. Der Patient stellte sich im Verlauf mehrmals aufgrund von exazerbierten Durchfällen, Emesis sowie Oberbauchschmerzen auf der Notfallstation vor. Im Verlauf wurde eine Ösophagogastroduodenoskopie durchgeführt. Auffallend waren hier multiple flache fibrinbelegte Ulzera in der Pars II und III des Duodenums. Im Ösophagus zeigte sich das Bild einer schweren ulzerierenden Ösophagitis. Eine Protonenpumpeninhibitoren-(PPI-)Therapie wurde initiiert, worunter die Diarrhoe rasch sistierte.
Frage 2
Was ist die wahrscheinlichste Diagnose?
a) Helicobacter-pylori-(HP-)Infektion
b) Atrophe Gastritis
c) Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES)
d) Zytomegalievirus-(CMV-)Infektion
e) Morbus Crohn
Histologisch ergab sich kein Hinweis auf eine HP-Infektion, einen CMV-Befall, Morbus Crohn oder auf eine Zöliakie. Klassischerweise befinden sich HP-induzierte Ulzera singulär und im proximalen Duodenum. Bei Nachweis von multiplen Ulzera an atypischer Lokalisation (vor allem weit distal im Duodenum) bei Oberbauchschmerzen und chronischer Diarrhoe, welche unter PPI-Therapie verschwand, wurde bei unserem Patienten die Verdachtsdiagnose ZES gestellt.
Frage 3
Welche Aussage zum Zollinger-Ellison-Syndrom trifft zu?
a) Das ZES ist definiert als Symptomkonstellation, welche durch eine Übersekretion von Gastrin durch ein Gastrinom entsteht.
b) Die Mehrheit der Gastrinome finden sich im Pankreas.
c) Gastrinome sind exklusiv sporadisch auftretende Tumoren.
d) Das Syndrom ist erblich.
e) Alle Aussagen treffen zu.
Gastrinome sind häufiger im Duodenum als im Pankreas zu finden. Eine Assoziation mit dem MEN1- («multiple endocrine neoplasy type 1»-)Syndrom ist bekannt, jedoch treten etwa 80% der Gastrinome nur sporadisch auf [2]. MEN1 ist ein autosomal-dominant vererbtes Syndrom, charakterisiert durch das Auftreten von neuroendokrinen Tumoren (NET) der Nebenschilddrüse, der Hypophyse, des endokrinen Pankreas und des Duodenums. Gastroduodenale Ulzera und Refluxläsionen entstehen aufgrund einer Säureüberproduktion. Die Diarrhoe erklärt sich hauptsächlich durch den Überfluss an Magensäure, was duodenal einen niedrigen pH-Wert zur Folge hat; dadurch werden die Pankreasenzyme deaktiviert [3].
Frage 4
Welche diagnostische Abklärung hilft nicht zur Diagnosestellung bei Verdacht auf Zollinger-Ellison-Syndrom?
a) Bestimmung des Gastrinspiegels (nüchtern)
b) Bestimmung des Magen-pH-Werts
c) 68Gallium-DOTATATE-PET/CT- und 111In-DTPA-Octreotid-SPECT-Untersuchung
d) Bestimmung des Carbohydrate-Antigen-19-9-(CA 19-9-)Werts
e) Bestimmung des Chromogranin-A-Werts
CT: Computertomographie
PET: Positronen-Emissions-Tomographie
SPECT: Single-Photon-Emissionscomputertomographie
Die Diagnosestellung eines ZES ist eine Herausforderung. Bei Nachweis einer Hypergastrinämie zusammen mit einem erniedrigtem Magen-pH-Wert (<2) kann die Diagnose ZES gestellt werden. Die Magen-pH-Wert-Bestimmung bedingt allerdings das Absetzen von PPI zur Vermeidung falsch negativer Resultate. Eine gastrale pH-Wert-Bestimmung ist schnell und preisgünstig mittels Teststreifen durchführbar.
Ein Nüchtern-Gastrinspiegel grösser als 100 pg/ml gilt als erhöht, ein Spiegel von über 1000 pg/ml ist sehr verdächtig für ein ZES. Andere Ursachen einer Hypergastrinämie – insbesondere eine Achlorhydrie bei atropher autoimmuner Gastritis oder bei HP-assoziierter Gastritis – sollten ausgeschlossen werden. Auch unter PPI-Therapie kann ein erhöhter Gastrinspiegel beobachtet werden. In unserem Fall war der Spiegel mit 490 pg/ml leicht erhöht. Ein solcher Wert im Graubereich ist schwierig zu interpretieren.
Weitere Tests können helfen, die Diagnose ZES zu stellen. Chromogranin A kann bei der Detektion eines Tumors mit neuroendokrinem Phänotyp helfen [4]. Die Sensitivität für die Diagnose von neuroendokrinen Tumoren (NET) liegt bei etwa 60–80%. Bei Gastrinomen gilt: je grösser der Tumor, desto höher der Wert. Chromogranin A ist allerdings nicht spezifisch für Gastrinome. Eine Erhöhung dieses Werts kann sowohl bei anderen NET als auch bei nicht malignen Krankheiten gesehen werden, ausserdem zum Beispiel praktisch immer unter PPI-Therapie [5].
Die Bestimmung des CA-19-9-Werts ist nicht etabliert in der Diagnostik von NET [4].
Radiologisch wird der hormonsezernierende Tumor lokalisiert und das Tumorstadium festgelegt. In der initialen Computertomographie mit Kontrastmittel fand sich bei unserem Patienten ein 3 × 2 cm grosses, leicht hypervaskularisiertes Areal im Pankreaskopf. Die Magnetresonanztomographie (MRT) bestätigte eine 3 cm grosse Raumforderung ventral am Pankreaskopf (Abb. 1). Aufgrund des Signal- und Kontrastmittelverhaltens war die Läsion sehr gut vereinbar mit einem Gastrinom.
Abbildung 1: MRT-T1-Sequenz nach Gabe von Kontrastmittel (Gadobutrol) in früher arterieller Phase. Die Raumforderung (weisser Pfeil) zeigt im Vergleich zum «normalen» Pankreasgewebe (roter Pfeil) eine arteriell verstärkte Kontrastmittelanreicherung, was ein typisches Merkmal der neuroendokrinen Tumore darstellt. MRT: Magnetresonanztomographie.
Kleinere Tumore (<1 cm), extrapankreatische Gastrinome und metastatische Läsionen können computertomographisch übersehen werden. Das MRT hat eine höhere Spezifität für den Nachweis kleinerer Pankreasläsionen sowie eine bessere Spezifität und Sensitivität für die Detektion von Lebermetastasen. Aufgrund der Expression von Somatostatinrezeptoren bei NET spielt die Nukleardiagnostik eine zentrale Rolle beim Tumorstaging, für die präoperative Diagnostik und für das Re-Staging. Die 68Gallium-DOTATATE-PET/CT-Untersuchung erlaubt mit hoher Sensitivität die Detektion von kleinen Primärläsionen und von Metastasen [4, 6].
Bei unserem Patienten fanden sich bei der 68Gallium-DOTATATE-PET/CT (Abb. 2) keine Fern- oder Lymphknotenmetastasen und keine Anhaltspunkte für einen anderen NET. Im MRT des Schädels konnte ein Hypophysenadenom ausgeschlossen werden.
Abbildung 2: Kontrastmittelverstärkte 68 Gallium-DOTATATE-PET/CT. Intensiv Somatostatinrezeptor exprimierende, etwa 2,8 cm messende Raumforderung am ventralen Pankreaskopf, vereinbar mit einem neuroendokrinen Tumor. CT: Computertomographie; PET: Positronen-Emissions-Tomographie.
Frage 5
Was ist bezüglich Gastrinomtherapie und Metastasierungswegen korrekt?
a) Eine chirurgische Therapie kann bei MEN1-Syndrom grundsätzlich nicht durchgeführt werden.
b) Eine genetische Testung sollte nur bei MEN1 erfolgen.
c) Das Ziel der Tumorresektion ist die primäre Suppression der Gastrinsekretion.
d) Unter hochdosierter PPI-Therapie ist eine ausreichende symptomatische Kontrolle erreicht, sodass keine weitere Therapie notwendig ist.
e) Am häufigsten sind Lebermetastasen.
Eine genetische Testung auf MEN1 sollte bei klinischem Verdacht erfolgen (Hyperkalzämie, ≥2 MEN1-assoziierte NETs, positive Familienanamnese) [3]. Bei jungen Patientinnen und Patienten (<40 Jahre) mit Gastrinom ist eine genetische Testung ebenfalls empfohlen [4].
Die Behandlung ist abhängig vom Tumorstaging. Grundsätzlich ist das Therapieziel sowohl die Kontrolle des Tumorwachstums als auch die Behandlung der Komplikationen durch die Hypergastrinämie. Eine chirurgische Resektion ist die Therapie der Wahl bei lokaler und lokoregionaler Erkrankung, dies sowohl bei sporadischen Gastrinomen als auch beim MEN1-Syndrom. Die Chirurgie ist nicht nur kurativ, sondern dient auch der Symptomkontrolle. Früher war die totale Gastrektomie im Sinne der Entfernung der Zielzellen des Gastrins die einzige Möglichkeit, die erhöhte Produktion der Magensäure zu kontrollieren. Die Operationen hatten aber, insbesondere aufgrund der Säure-assoziierten Komplikationen, eine sehr hohe Mortalität zur Folge. Erst mit der Einführung der PPI in den 1980er-Jahren konnte die Magensäuresekretion kontrolliert werden und das Gastrinom selbst, mit seinem malignen Potential, rückte in den Fokus der chirurgischen Therapie [3]. Bei allen Patientinnen und Patienten sollte also eine PPI-Therapie zur Symptomkontrolle etabliert werden.
Im fortgeschrittenen Stadium sind Lebermetastasen am häufigsten zu sehen. Sofern technisch durchführbar, wird bei hormonell aktiven NET des Pankreas eine chirurgische Resektion des Primarius (mit Lymphadenektomie) unabhängig von der Tumorgrösse empfohlen, auch im metastasierten Stadium [4]. Als Therapieoption bei Lebermetastasen gilt die chirurgische Resektion. Falls nicht machbar, stehen andere lokoregionäre Modalitäten zur Verfügung (beispielsweise die transarterielle Chemoembolisation). Die Lebertransplantation ist eine Behandlungsoption bei sehr selektiv ausgewählten Betroffenen, insbesondere nach Ausschluss extrahepatischer Manifestationen und bereits erfolgter Resektion des Primarius.
Bei unserem Patienten wurde aufgrund der Lokalisation des Tumors im Pankreaskopf eine pyloruserhaltende Duodenopankreatektomie durchgeführt. Die Histologie des Tumorresektats ergab einen mässig differenzierten NET des Pankreas (PanNET) mit immunhistochemischer Expression von Gastrin (Abb. 3). Der Tumor konnte in toto reseziert werden. Die definitive Diagnose wird histopathologisch gestellt: Die typischen Merkmale eines NET zeigen sich in der Hämatoxylin-Eosin-(HE-)Färbung (Abb. 3). Die ergänzende Immunhistochemie erlaubt eine Differenzierung verschiedener NET [4].
Abbildung 3: Histologische Darstellungen des Gastrinoms. A, B : HE-Färbung, 10-fache Vergrösserung; in der Aufnahme B ist zusätzlich (auf der rechten Seite des Bildes) eine Perineuralscheideninfiltration zu erkennen. C, D : immunhistochemische Färbung für ChromograninA(braune Färbung), 10-fache (C) respektive 20-fache Vergrösserung (D). HE: Hämatoxylin-Eosin.

Diskussion

Epidemiologie

Nach Insulinomen sind Gastrinome die häufigsten NET des Pankreas. Im Durchschnitt wird die Diagnose im Alter von 48–55 Jahren gestellt, mit einer Latenzzeit bis zur Diagnosestellung von fünf Jahren. Die Inzidenz liegt bei 0,5–2 Fällen pro eine Million Einwohner pro Jahr; Männer sind häufiger betroffen als Frauen [2]. Nach Ausschluss anderer häufigerer Ursachen für eine chronischen Diarrhoe ist an NET zu denken. Eine verzögerte Diagnosestellung ist aufgrund der unspezifischen gastrointestinalen Symptome häufig, jedoch ist der Verdacht auf ein ZES bei Kombination von chronischer Diarrhoe, Refluxerkrankung und atypischen peptischen Ulzera hoch. In unserem Fall wurde die Diagnose eines Gastrinoms im Pankreaskopf auch erst gestellt, nachdem rund fünf Jahre die Symptome bestanden hatten.

Klinik und Pathophysiologie

Gastrin wird physiologisch von den G-Zellen im Magenantrum produziert und stimuliert die Säuresekretion in den Parietalzellen. Duodenale und pankreatische Gastrinome präsentieren sich klinisch gleich. Die massive Gastrinsekretion durch die Tumorzellen führt zur Hyperplasie der Parietalzellen im Magenfundus und zu stark erhöhter Magensäuresekretion. In der Folge entstehen Schleimhautulzerationen, welche sich vom Ösophagus bis ins distale Duodenum ausbreiten können. Da Patientinnen und Patienten häufig bei Verdacht auf langjährige gastroösophageale Refluxerkrankung mit PPI anbehandelt werden, sind distal gelegene Duodenalulzera seltener zu sehen [7].

Prognose

Der wichtigste prognostische Faktor ist die Präsenz von Lebermetastasen. Bei hepatischer Metastasierung liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei 20–30%. Bei lokalisierter Erkrankung oder Lymphknotenmetastasierung ohne Lebermetastasen besteht eine 5-Jahres-Überlebensrate von etwa 90% [7].
Antworten
Frage 1: d. Frage 2: c. Frage 3: a. Frage 4: d. Frage 5: e.
Claudia Rebell,dipl. Ärztin Gastroenterologie/Hepatologie, Clarunis – Universitäres Bauchzentrum Basel, Basel
Claudia Rebell
Clarunis – Universitäres Bauchzentrum Basel
Gastroenterologie/Hepatologie
Kleinriehenstrasse 30
CH-4058 Basel
claudia.rebell[at]gmail.com
1 Arasaradnam RP, Brown S, Forbes A, Fox MR, Hungin P, Kelman L, et al. Guidelines for the investigation of chronic diarrhoea in adults: British Society of Gastroenterology, 3rd edition. Gut. 2018;67:1380–99.
2 Jensen RT, Cadiot G, Brandi ML, de Herder WW, Kaltsas G, Komminoth P, et al. ENETS Consensus Guidelines for the management of patients with digestive neuroendocrine neoplasms: functional pancreatic endocrine tumor syndromes. Neuroendocrinology. 2012;95(2):98–119.
3 Rossi RE, Elvevi A, Citterio D, Coppa J, Invernizzi P, Mazzaferro V, Massironi S. Gastrinoma and Zollinger Ellison syndrome: a roadmap for the management between new and old therapies. World J Gastroenterol. 2021;27(35):5890–907.
4 Pavel M, Öberg K, Falconi M, Krenning E, Sundin A, Perren A, Berruti A. Gastroenteropancreatic neuroendocrine neoplasms: ESMO Clinical Practice Guidelines for Diagnosis, Treatment and Follow-up. Ann Oncol. 2020; 31(5).
5 Gkolfinopoulos S, Tsapakidis K, Papadimitriou K, Papamichael D, Kountourakis P. Chromogranin A as a valid marker in oncology: clinical application or false hopes? World J Methodol. 2017;7(1):9–15.
6 Sadowski SM, Neychev V, Millo C, Shih J, Nilubol N, Herscovitch P, et al. Prospective study of 68Ga-DOTATATE positron emission tomography/computed tomography for detecting gastro-entero-pancreatic neuroendocrine tumors and unknown primary sites. J Clin Oncol. 2016;34(6):588–96.
7 Bonheur JL [Internet]. New York: Gastrinoma. c2021 (cited 2022 Oct). Available from: https://emedicine.medscape.com/article/184332-overview.
Verdankung
Wir danken Frau Dr. Barbara Hummer (Pathologie der Viollier AG, Allschwil) für die histologische Aufarbeitung und die Überlassung der Abbildung 3.
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