Invasive pulmonale Aspergillose bei kritisch krankem Patienten
Seltene Ursache einer Pneumonie

Invasive pulmonale Aspergillose bei kritisch krankem Patienten

Der besondere Fall
Ausgabe
2022/2324
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09111
Swiss Med Forum. 2022;22(2324):392-395

Affiliations
Spital Thun, Thun: a Interdisziplinäre Intensivstation; b Infektiologie; c Gefässchirurgie

Publiziert am 07.06.2022

Ein 58-jähriger Mann stellte sich mit seit einer Woche bestehenden grippeähnlichen Symptomen, Husten, zunehmender Dyspnoe und progredienten linksseitigen Beinschmerzen auf der Notfallstation vor.

Hintergrund

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählen Pneumonien zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Die meisten Pneumonien werden durch ­Viren oder Bakterien hervorgerufen, seltener durch Pilze, Parasiten oder Würmer. Letztere treten vor allem bei Patientinnen und Patienten mit Abwehrschwäche auf.
Im vorliegenden Fall berichten wir von einem kritisch kranken Patienten mit wiederholten arteriellen Gefässverschlüssen und protrahiertem Verlauf einer Pneumonie mit letztlich unerwartetem Erregernachweis.

Fallbericht

Anamnese

Ein 58-jähriger Mann stellte sich mit seit einer Woche bestehenden grippeähnlichen Symptomen, Husten, zunehmender Dyspnoe und progredienten linksseitigen Beinschmerzen auf der Notfallstation vor. Seit Jahren war keine hausärztliche Kontrolle erfolgt, Vorerkrankungen oder regelmässige Medikamenteneinnahmen wurden verneint. Neben einem aktiven Nikotinkonsum (40 Packyears) rauchte der Patient täglich Cannabis.

Status

Bei Eintritt war der kachektische Patient subfebril (38 °C otal), hypoxäm (Sauerstoffsättigung 79% unter Raumluft) und tachydyspnoisch (Atemfrequenz 44/min). Der Blutdruck betrug 113/78 mm Hg, der unregelmässige Puls 163/min. Über beiden Lungenflügeln waren grobblasige Rasselgeräusche auskultierbar, die Leisten- und Fusspulse links nicht tastbar. Das linke Bein war deutlich kühler mit blassem, marmoriertem Hautkolorit und verlängerter Rekapillarisationszeit.

Befunde und Diagnostik

Neben erhöhten Entzündungswerten (C-reaktives Protein 74,9 mg/l, Procalcitonin 4,1 ng/ml) bestanden eine Thrombozytopenie von 47 G/l und ein erhöhtes Laktat von 4,2 mmol/l. In der Blutgasanalyse imponierte eine schwere Hypoxämie von 41 mm Hg unter Raumluft.
Das Elektrokardiogramm zeigte ein Vorhofflimmern.
In der Computertomographie (CT) fanden sich ausgedehnte Konsolidationen in beiden Lungenflügeln mit Betonung der Unterlappen (Abb. 1) sowie ein Verschluss der Arteria iliaca communis links.
Abbildung 1: Computertomogramm Thorax (Lungenfenster; A : koronare Rekonstruktion, B : axiale Rekonstruktion) mit Darstellung der bilateralen Lungenkonsolidationen (Pfeile).
Duplex­sonographisch und oszillographisch zeigte sich ein kompletter Verschluss der linken Beinstrombahn.

Behandlung und Verlauf

Eine bilaterale Pneumonie und ein Verschluss der linken Beinstrombahn ab Arteria iliaca communis wurden diagnostiziert, und der Patient wurde wegen nicht bessernder Hypoxämie und Dyspnoe auf die Intensivstation verlegt.
Die Pneumonie wurde antibiotisch mit Ceftriaxon und Clarithromycin behandelt. Zudem wurden passager Steroide (40 mg Methylprednison) bei radiologischem Verdacht auf eine chronisch obstruktive Pneumopathie (COPD) mit Emphysem in beiden Oberlappen verabreicht.
Einer offenen Embolektomie stimmte der Patient wegen zunehmender Schmerzen erst verzögert am Tag 2 zu. Intraoperativ zeigte sich viel frisches und teils älteres embolisches Material. Eine postoperative Extubation war wegen anhaltender respiratorischer Insuffizienz nicht möglich. Die Respiratorunterstützung wurde nach Besserung der Hypoxämie ab dem Folgetag reduziert.
Trotz Vollheparinisierung musste wegen Rezidivverschlüssen erneut embolektomiert und ein femoro-poplitealer Bypass angelegt werden. Hiernach traten keine weiteren Gefässverschlüsse mehr auf. Die Zehen links demarkierten sich trocken nekrotisch.
Ein bakterieller oder viraler Erregernachweis gelang trotz wiederholter Kultivierung von Sputum, Tracheobronchialsekret (TBS) und den an Tag 10 und 12 durchgeführten Bronchoskopien mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) nicht. Zu den untersuchten Erregern zählten Influenza A, B und Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) (Tag 1), Legionellen (Antigen: Tag 1, PCR: Tag 10), Mykoplasmen (PCR: Tag 2, 10), Mykobakterien (Kultur: Tag 10) sowie die allgemeine Bakteriologie (Kultur) aus Blut (Tag 1, 5, 8, 9, 11), Sputum (Tag 2), TBS (Tag 5, 9) und BAL (Tag 10, 12).
Ab Tag 5 fieberte der Patient auf mit parallelem Anstieg der Entzündungswerte und erneut zunehmender Hypoxämie, sodass die antibiotische Therapie schrittweise eskaliert wurde (Tag 5: Piperacillin/Tazobactam, ab Tag 10: Cefepim und Doxycyclin).
Ab Tag 5 wurde wiederholt Aspergillus fumigatus nachgewiesen, zunächst im TBS, dann auch in der BAL (Tag 10 und 12). Die Resultate der Galactomannan-(GM-)Bestimmung waren in Serum (1,6 Index) und BAL (5,9 Index) deutlich erhöht (Abb. 2).
Abbildung 2: A) Bronchoskopie Tag 10: Pseudomembranen (schwarze Pfeile). B) Röntgen-Thorax, liegende Aufnahme, Tag 10: Dichtezunahme der Infiltrate.
Aufgrund des klinischen Verlaufs, des wiederholten ­Erregernachweises und der repetitiv positiven GM-Werte postulierten wir eine relevante pulmonale Aspergillose und ergänzten die antimikrobielle Therapie ab Tag 10 um Voriconazol.
Ab Tag 14 entfieberte der Patient. Die Respiratorunterstützung wurde schrittweise reduziert und der adäquate Patient an Tag 15, auf seinen Wunsch hin, frühzeitig extubiert. Anschliessend erschöpfte er sich respiratorisch rasch. In seinem Sinne wurde eine palliative Therapie eingeleitet. Der Patient verstarb am selben Tag. Eine Autopsie wurde von den Angehörigen abgelehnt.

Diskussion

Schimmelpilze der Gattung Aspergillus kommen in über 200 Arten als Saprophyten in der Umwelt vor, was zu einem ständigen Kontakt von Haut und Schleimhaut mit den Sporen führt. Gelangen sie in grösserer Zahl in die Atemwege, können sie allergische Reaktionen auslösen. Bei geschwächter Abwehrlage kann es zu einer manifesten Infektion mit Disseminierung in andere Organe kommen. Für Infektionen beim Menschen spielt Aspergillus fumigatus eine wichtige Rolle.
Traditionelle Risikofaktoren einer Infektion sind eine prolongierte Neutropenie, hämatologische Malignome, eine Dauer-Steroidtherapie und eine angeborene oder erworbene Immundefizienz [1]. Auch bei kritisch Kranken auf Intensivstationen mit zugrunde liegenden Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder viralen Atemwegsinfekten (Influenza, COVID-19) wird eine invasive Aspergillose vermehrt beobachtet [2, 3, 6, 7, 9].
Das Spektrum der Aspergilleninfektion reicht von allergischen und chronischen Formen bis hin zur atemwegs- und angioinvasiven Erkrankung. Der Verlauf wird durch den Immunstatus und insbesondere die Neutrophilenzahl bestimmt. Eine akute Erkrankung manifestiert sich mit Fieber, Husten, Hämoptysen, pleuritischen Brustschmerzen oder Atemnot. Die chronische Form ist oft symptomarm und indolent.
Für die Diagnose einer bewiesenen («proven») invasiven pulmonalen Aspergillose (IPA) ist ein histologischer Pilznachweis aus einer Biopsie nötig [1, 2]. Dies gelingt, vor allem bei Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation, nur selten.
Alternativ können die Bestimmung des GM-Wertes im Serum (Cut-off >0,5 Index) oder in der BAL (Cut-off >1,0 Index), eine kulturelle Anzucht aus Blut, Sputum, TBS oder BAL oder ein zytologischer Nachweis der Hyphen aus der BAL bei der Diagnosestellung helfen [2, 3, 6, 7].
Zur Unterscheidung zwischen Kolonisation und relevanter Erkrankung müssen die Resultate im klinischen Kontext interpretiert werden. Auch können manche Medikamente (Amoxicillin-Clavulansäure, Cefepim, Piperacillin-Tazobactam) zu falsch positiven GM-Werten in Serum und BAL führen [4].
Typische radiologische Veränderungen, wie das Halo-Zeichen («Halo sign») oder das Luftsichelzeichen («air-crescent sign») treten oft nur bei neutropenen Patientinnen und Patienten auf. Häufiger sind atypische Infiltrate und Konsolidationen [2, 3].
Als Medikament der Wahl zur Behandlung der IPA gilt Voriconazol. Alternativ können liposomales Amphothericin B oder Isavuconazol [8] eingesetzt werden. Bei ungenügendem Ansprechen ist eine Kombination von Voriconazol und Echinocandinen möglich. Aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität sollte bereits bei Verdacht therapiert werden. Die Behandlungsdauer beträgt abhängig vom klinischen, laborchemischen und radiologischen Therapieansprechen mindestens 6–12 Wochen [1].
Unser Patient erfüllte bei fehlendem histologischem Nachweis die Kriterien für eine nachgewiesene («proven») IPA nicht. Die Kriterien für eine wahrscheinliche («probable») IPA waren bei GM-Werten in Serum und BAL über dem verlangten Cut-off, radiologischen Lungenveränderungen, wiederholter kultureller Anzüchtung von Aspergillen aus Sputum, TBS und BAL sowie typischen Veränderungen des Bronchialsy­stems in der Bronchoskopie (Plaques, Pseudomem­branen) erfüllt Abb. 2A).
Wir postulieren eine sekundäre IPA auf dem Boden ­eines Atemwegsinfekts mit akutem respiratorischem Atemnotsyndrom (ARDS) bei vorgeschädigter Lunge (COPD, Emphysem), längerdauernder Breitspektrum-Antibiotikatherapie und Steroiden. Dafür spricht das erst verzögert ab Tag 5 aufgetretene hohe Fieber mit gleichzeitig erstmaligem Nachweis von Aspergillen in der Sputum-Kultur.
Eine primäre IPA aufgrund des regelmässigen Cannabiskonsums, wie sie in einzelnen Fallstudien beschrieben wird [5], ist eher unwahrscheinlich. Eine vorbestehende Aspergillenbesiedlung des starken Cannabisrauchers bleibt offen.
Rückblickend ist nicht ausgeschlossen, dass es sich hierbei um eine der ersten (nicht diagnostizierten) ­COVID-19-Pneumonien der Schweiz handelte, die – wie ­Influenza – bei Patientinnen und Patienten der Intensivstation mit einer invasiven Aspergillose assoziiert werden [9].
Die arteriellen Gefässverschlüsse sahen wir bei unauffälliger histologischer Aufarbeitung des thrombotischen Materials und transösophagealer Echokardiographie am ehesten als multifaktoriell bedingt infolge des Infekts, der reduzierten Mobilität, einer Sepsis-assoziierten Gerinnungsstörung und des Vorhofflimmerns. Die Claudicatio-Beschwerden weisen auf eine vorbestehende peripher-arterielle Verschlusskrankheit hin.

Das Wichtigste für die Praxis

• Pilzinfektionen gehören zu den seltenen aber wichtigen Differentialdiagnosen einer Pneumonie. Ein protrahierter Erkrankungsverlauf, therapierefraktäres Fieber oder Risikofaktoren wie eine Immunsuppression, prolongierte Neutropenie oder vorbestehende Schädigungen des Lungengerüsts können darauf hinweisen.
• Der Erreger kann histopathologisch und kulturell nachgewiesen werden. Unterstützend sind ein Galactomannan-Test und eine Computertomographie.
• Zur Probengewinnung wird eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage empfohlen.
• Eine sichere Diagnosestellung mit histologischem Erregernachweis ist oft nicht möglich. Bei hochgradigem Verdacht wird aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität eine frühzeitige empirische Therapie empfohlen.
• Als Medikament der Wahl gilt Voriconazol. Die Therapiedauer beträgt 6–12 Wochen und orientiert sich am klinischen, laborchemischen und ­radiologischen Verlauf.
Wir bedanken uns bei Dr. André Wyss, Radiologie, Spital Thun, Spital STS AG, und Dr. Patricia Demont, Pneumologie, Spital Thun, STS AG, für die Zurverfügungstellung der Bilder sowie bei PD Dr. Meike Körner und Dr. Christiane Brugnolaro, Pathologie Länggasse, Bern, für die Unterstützung bei der Labordiagnostik.
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Magdalena M. Tanner
Universitäres Notfall­zentrum
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 16C
CH-3010 Bern
magdalena.tanner[at]
insel.ch
1 Patterson TF, Thompson GR 3rd, Denning DW, Fishman JA, Hadley S, et al. Practice Guidelines for the Diagnosis and Management of Aspergillosis: 2016 Update by the Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis. 2016;63(4):e1–e60.
2 Blot SI, Taccone FS, Van den Abeele AM, Bulpa P, Meersseman W, et al.; AspICU Study Investigators. A clinical algorithm to diagnose invasive pulmonary aspergillosis in critically ill patients. Am J Respir Crit Care Med. 2012;186(1):56–64. Erratum in: Am J Respir Crit Care Med. 2012;186(8):808.
3 Schauwvlieghe AFAD, Rijnders BJA, Philips N, Verwijs R, Vanderbeke L, et al.; Dutch-Belgian Mycosis study group. Invasive aspergillosis in patients admitted to the intensive care unit with severe influenza: a retrospective cohort study. Lancet Respir Med. 2018;6(10):782–92.
4 Boonsarngsuk V, Niyompattama A, Teosirimongkol C, Sriwanichrak K. False-positive serum and bronchoalveolar lavage Aspergillus galactomannan assays caused by different antibiotics. Scand J Infect Dis. 2010;42(6–7):461–8.
5 Benedict K, Thompson GR 3rd, Jackson BR. Cannabis Use and Fungal Infections in a Commercially Insured Population, United States, 2016. Emerg Infect Dis. 2020;26(6):1308–10.
6 Jenks JD, Nam HH, Hoenigl M. Invasive aspergillosis in critically ill patients: Review of definitions and diagnostic approaches. Mycoses. 2021;64(9):1002–14.
7 Verweij PE, Rijnders BJA, Brüggemann RJM, Azoulay E, Bassetti M, et al. Review of influenza-associated pulmonary aspergillosis in ICU patients and proposal for a case definition: an expert opinion. Intensive Care Med. 2020;46(8):1524–35.
8 Bassetti M, Peghin M, Vena A. Challenges and Solution of Invasive Aspergillosis in Non-neutropenic Patients: A Review. Infect Dis Ther. 2018;7(1):17–27.
9 Bartoletti M, Pascale R, Cricca M, Rinaldi M, Maccaro A, et al. PREDICO Study Group. Epidemiology of Invasive Pulmonary Aspergillosis Among Intubated Patients With COVID-19: A Prospective Study. Clin Infect Dis. 2021;73(11):e3606–e3614.