News aus der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Jubiläumsschlaglicht: ORL, Hals- und Gesichtschirurgie

News aus der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2022/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09002
Swiss Med Forum. 2022;22(1516):245-247

Affiliations
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsspital Zürich, Zürich; Universität Zürich, Zürich

Publiziert am 12.04.2022

Die computerassistierte Chirurgie optimiert die Versorgung komplexer Defekte des Gesichtsschädels durch 3-D-Modelle, intraoperative Navigation und die Herstellung patientenspezifischer Implantate.

Hintergrund

Die dreidimensionale Anatomie des Gesichtsschädels in Kombination mit der engen Nachbarschaft zu äusserst verletzlichen Strukturen stellt Behandelnde vor grosse Herausforderungen. Komplexe Rekonstruktionen im Kopf-Hals-Bereich verlangen, nebst klinischer Erfahrung und chirurgischen Fertigkeiten, nach speziellen technischen Hilfsmitteln. In den letzten Jahren konnten in der computerassistierten Chirurgie grosse Fortschritte erzielt werden. Grundlage bilden die «digital imaging and communications in medicine»-(DICOM-)Daten der dreidimensionalen Röntgendiagnostik. Diese können mittels kommerziell erhältlicher Software zur digitalen Wiederherstellung knöcherner Strukturen eingesetzt werden. Bei einseitigen Verletzungen oder Defekten dient die nicht betroffene ­Gegenseite als digitale Schablone für die betroffene Körperhälfte. Dabei wird die nicht betroffene Seite auf die betroffene Seite gespiegelt. Handelt es sich um zentrale oder beidseitige Defekte, dann wird der fehlende Bereich mittels Vormodellen errechnet, wobei diese Technik noch in den Kinderschuhen steckt. Die Planung der digital wiederhergestellten Form bildet den Grundstein für die computerassistierte Chirurgie wie die intraoperative Navigation oder auch für die Herstellung von patientenindividuellen Implantaten. Durch den Einsatz digitaler Techniken können heutzutage auch komplexe Defekte oder Frakturen zuverlässig und reproduzierbar versorgt werden.

Intraoperative Navigation

Das auf Infrarotlicht basierende Navigationssystem ­ermöglicht eine röntgenstrahlenfreie «real-time»- ­Positionskontrolle. In der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie kommt die intraoperative Navigation bei verschiedenen Fragestellungen zum Einsatz. Dazu ­gehören die Positionskontrolle von reponierten ­Gesichtsschädelknochen bei Verletzungen, die Resektionskontrolle schädelbasisnaher Tumoren oder auch die digitale Markierung von onkologischen Resektionsrändern. Letzteres erleichtert die interdisziplinäre Besprechung mit den Kolleginnen und Kollegen der Pathologie und der Radioonkologie.
Vorbereitend für den Einsatz der intraoperativen Navigation werden die DICOM-Daten der Computertomographie in die Software eingelesen. Defektzonen, traumatisch oder durch eine Resektion bedingt, können dann digital rekonstruiert werden. Voraussetzung für die Verwendung der Navigation ist die Eichung des Systems. Diese erfolgt mittels einer von einer Zahntechnikerin oder einem Zahntechniker erstellten Navigationsschiene oder alternativ über definierte Punkte der eigenen Dentition (Abb. 1a). Zusätzlich wird ein Navigationsstern auf der Schädelkalotte positioniert. Sowohl der Navigationsstern als auch der sogenannte Pointer sind mit reflektorischen Kugeln versehen, die zur Infrarotdetektion dienen. So erkennt das System zu jedem Zeitpunkt die genaue Position des Kopfes im Raum sowie die Position der Pointerspitze während des Abtastens der knöchernen Oberfläche. Die Position wird in Echtzeit auf dem Monitor dargestellt (Abb. 1b). Kommt die Navigation zur Markierung der Tumorränder zum Einsatz, muss der Tumor digital segmentiert werden, damit die digitale Markierung der Resektionsränder erfolgen kann (Abb. 1c).
Abbildung 1: A) Navigationsschiene mit einpolymerisierten Schrauben zur Eichung des Navigationssystems. B) Echtzeitdarstellung der Pointerposition am Echtzeitmonitor des Navigationssystems. C) Primäre Tumormasse (pink) mit Sicherheitsabstand (gelb) und Pointer (grün).
Die Navigation weist eine systembedingte Ungenauigkeit von 0,3–0,5 mm auf. Zudem werden abgetastete, knöcherne Oberflächen lediglich punktuell erfasst, was bei der komplexen dreidimensionalen Struktur des Gesichtsschädels zu Ungenauigkeit führt. Eine dreidimensionale Röntgenkontrolle kann durch die ­intraoperative Navigation somit nicht ersetzt werden.

Intraoperative dreidimensionale ­Bildgebung

Die dreidimensionale Bildgebung mittels Computertomographie (CT) oder Digitaler Volumentomographie (DVT) stellt den Goldstandard nicht nur in der Diagnostik und Planung von Gesichtsschädelverletzungen, sondern auch in der postoperativen Qualitätskontrolle dar. Bis vor wenigen Jahren war deren Einsatz erst nach durchgeführter Operation möglich. Durch den intraoperativen Einsatz der dreidimensionalen Bildgebung können Folgeeingriffe mit einer nochmaligen Narkose sowie verlängerter Hospitalisationsdauer vermieden werden. Wurde die Reposition digital geplant, kann das intraoperative Ergebnis – im Sinne der Qualitätskontrolle – mit dem Bild der präoperativen Planung über­lagert und abgeglichen werden.
Die dreidimensionale intraoperative Bildgebung ermöglicht zudem eine zielgerichtete Versorgung von Orbitafrakturen, die im Zusammenhang mit Frakturen des Mittelgesichts entstanden sind. Die Reposition des Mittelgesichts führt im Idealfall zur anatomischen Reposition der Fraktur im Bereich der Augenhöhle. ­Geschieht dies nicht, können sowohl ästhetische als auch funktionelle Beeinträchtigungen wie das Sehen von Doppelbildern die Folge sein. Eine operative Versorgung der Orbita muss dann in einem Zweiteingriff erfolgen. Dies bedeutet eine Zweitnarkose mit verlängerter Hospitalisationsdauer. Eine routinemässige Mitversorgung der Orbita bei jeder Mittelgesichtsfraktur würde jedoch eine Übertherapie bedeuten mit den ­damit verbundenen Operationsrisiken. Durch den intraoperativen Einsatz der dreidimensionalen Bildgebung nach Reposition des Mittelgesichts kann unmittelbar im Anschluss die Verletzung der knöchernen Augenhöhlen beurteilt werden. Nur bei Persistenz ­eines therapiewürdigen Defektes erfolgt die Versorgung der Orbita. Unnötige Eingriffe oder Zweiteingriffe werden so vermieden.

Patientenindividuelle Implantate

Vorteil patientenspezifischer Implantate gegenüber konventionellen Implantaten ist die sehr hohe Passgenauigkeit und die Möglichkeit, wichtige dreidimensionale Informationen integrieren zu können. Sie dienen nicht nur der Verankerung, sondern wirken selbst als Repositionshilfe. Grundlage für die Herstellung von patientenspezifischen Implantaten bildet die digitale Rekonstruktion oder Reposition der fehlenden ­respektive resezierten Knochensegmente.
Für die indirekte Herstellung von patientenspezifischen Implantaten werden diese digitalen Modelle als sogenanntes STL-File an den 3-D-Drucker gesendet. Auf die gedruckten 3-D-Modelle können dann konventionelle Implantate angeformt und für die Operation vorbereitet werden (Abb. 2a).
Abbildung 2: A) Indirekt über ein patientenspezifisches 3-D-Modell angepasstes Titan-Mesh zur Rekonstruktion des linken Orbitabodens. B) Im Lasersintern-Verfahren hergestelltes patientenspezifisches Implantat für den linken Supraorbitalrand.
Bei den direkt hergestellten patientenspezifischen Implantaten erfolgt die digitale Planung bis zum finalen Implantat, welches als STL-File exportiert und im ­Lasersintern-Verfahren oder mittels Frästechnik hergestellt wird (Abb. 2b). Während bei der Frästechnik nicht alle Formen hergestellt werden können, erlaubt das Lasersintern-Verfahren die Herstellung von Implantaten jeglicher Form.
Durch die Verwendung verschiedener Materialien können patientenspezifische Implantate praktisch in allen Bereichen der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie eingesetzt werden.

Diskussion

Digitale Techniken bieten eine wichtige Stütze in der Rekonstruktion von Defekten und bei Verletzungen des Gesichtsschädels. Insbesondere in der Wiederherstellung der Knochenstruktur haben sich die intraoperative Navigation, patientenspezifische Implantate ­sowie die intraoperative Bildgebung bewährt und etabliert. Komplexe Situationen können mittels dieser Techniken sicher und reproduzierbar bewältigt werden. Als Nachteile sind der erhöhte technische Aufwand, die intensive präoperative Planungsphase sowie die hohen Kosten zu nennen. Insbesondere der letzte Punkt schränkt die Verfügbarkeit aktuell noch ein.

Künftige Entwicklungen

Während die knöchernen Strukturen der digitalen Technik frei zugänglich sind, bestehen bei der Weichgeweberekonstruktion noch Ungenauigkeiten, die den Einsatz digitaler Techniken einschränken. Neue Entwicklungen zielen auf die Prädiktabilität von Weichgeweberekonstruktionen. Ebenso sind Bestrebungen im Gange, statistische Vormodelle zu entwickeln, welche den zuverlässigen Einsatz der digitalen Techniken auch bei beidseitigen und zentralen Defekten ermöglichen. Nicht nur in der Planung rekonstruktiver Eingriffe sind weitere Fortschritte zu erwarten, sondern auch in der Materialisierung der Implantate. So könnte die Eigenschaft des Formgedächtnisses genutzt werden, um minimalinvasive Zugänge in komplexe Regionen zu ermöglichen.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen ­Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
PD Dr. med. Dr. med. dent. Thomas Gander
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universitätsspital Zürich
Frauenklinikstrasse 24
CH-8091 Zürich
thomas.gander[at]usz.ch
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