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Ausgabe
2021/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08774
Swiss Med Forum. 2021;21(1314):203-206

Publiziert am 31.03.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... COVID-19-Impfungen

– Israel (600 000 Geimpfte, mit Pfizer/BioNTech), mit folgenden Wirkungen: Schutz vor asymptomatischen Infekten (90%), symptomatischen Infekten (94%), Hospitalisationen (87%), schweren Verläufen (92%).
– Der hohe Schutz vor asymptomatischen Infekten ist entscheidend zur ­Unterbrechung der Übertragungen (bestätigt auch in England).
– Auf Distanzierung und Maskentragen kann noch nicht verzichtet werden (Viruszirkulation muss bei nicht 100%igem Schutz erst abnehmen).
– Anaphylaktische Reaktionen treten in 2–5 Fällen pro Million Dosen innerhalb von 15–30 Minuten auf, günstige Prognose.
– In 0,8% kann eine Woche nach Impfung eine nicht mit einem Erysipel zu verwechselnde Rötung auftreten (mit Schwellung, Papeln und Juckreiz).
– Hautrötung ist keine Kontraindikation für die Zweitimpfung.
https://www.infovac.ch/, verfasst am 03.03.2021.

Praxisrelevant

Hypertoniebehandlung: Welches ist der ­optimale diastolische Druck?

Seit der Framingham-Studie vor mehr als 40 Jahren ist bekannt, dass ein erhöhter systolischer Blutdruckwert ein stärkerer kardiovaskulärer Risikofaktor als der diastolische ist [1]. Die Auswirkungen des letzteren sind aber immer noch Inhalt diverser Diskussionen.
Die Daten von mehr als 7500 Hypertoniepatientinnen und -patienten (60% davon Männer, knapp 66 Jahre alt, mit und ohne Diabetes), die eine ehrgeizige systolische Blutdruckkontrolle von <130 mm Hg erreichten, wurden im Rahmen von Post-hoc-Analysen von zwei gros­sen Studien ausgewertet (ACCORD-BP, SPRINT; [2, 3]). ­Dabei gab es Hinweise, dass kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzinfarkte, Schlaganfälle) in diesen Populationen eine U-förmige (in der englischsprachigen Literatur: «J-shaped curve») Beziehung zu den diastolischen Blutdruckwerten aufweisen. Bei Werten von 60–70 mm Hg waren signifikant mehr Ereignisse als bei Werten zwischen 70 und 80 mm Hg aufgetreten [4].
Dies sind wichtige Daten, die zu einer Neuformulierung des diastolischen Blutdruckziels führen könnten. Allerdings ist die Kausalität nicht bewiesen, wie auch die Frage noch nicht beantwortet ist, ob es einen nachteiligen diastolischen Schwellenwert (im Gegensatz zu einer kontinuierlichen Assoziation) gibt.
1 Circulation. 1980, doi.org/10.1161/01.CIR.61.6.1179.
2 N Engl J Med. 2010, doi.org/10.1056/NEJMoa1001286.
3 N Engl J Med. 2015, doi.org/10.1056/NEJMoa1511939.
Verfasst am 27.02.2021.

Neues aus der Biologie

Oral applizierte bakterielle Mikrosysteme zur Behandlung der Urämie?

Hibernierende Bären sind während mehrerer Monate anurisch. Sie entwickeln aber nicht nur keine Urämie, die Harnstoffwerte in ihrem Blut fallen gar auf etwa die Hälfte ab. Der Grund hierfür sind harnstoffspaltende (Urease-positive) Darmbakterien und die Fähigkeit – im Gegensatz zum Menschen –, Harnstoff zu rezyklieren und in Stickstoff (genauer: Ammoniak und Bikarbonat) abzubauen. Der Stickstoff wird zum Erhalt der Muskel- und Knochenmasse verwendet, die beide deshalb während des Winterschlafes nicht abnehmen.
Könnte die Zufuhr Urease enthaltender Bakterien die Urämie auch beim Menschen korrigieren? Vielleicht, denn in niereninsuffizienten Mäusen war ein mikro­bieller Cocktail erfolgreich, die Ansammlung von stickstoffhaltigem Abfall wie Harnstoff und Kreatinin zu ­reduzieren. Technisch wurden zwei Bakterien­stämme, die Harnstoff spalten, mit einem Bakterienstamm ­gemischt, der das von den anderen Stämmen pro­duzierte Ammoniak wieder in Aminosäuren aufbauen kann. Die genetisch nicht manipulierten Bakterien stammten aus einer natürlichen Quelle, dem fäkalen Mikrobiom. Die bakterielle Mischung wurde in eine für die relevanten Metabolite selektiv permeable Mem­bran verpackt, enkapsuliert und oral verabreicht.
Das Ganze klingt elegant und fast einfach. Wird es beim Menschen auch funktionieren?
Verfasst am 25.02.2021.

Ja, vielleicht als Intervention beim Menschen mit rezidivierenden Clostridioides-difficile-Schüben …

Denn mit einer analogen Methode wurde jüngst in ­einer kleinen Phase-I-Studie gezeigt, dass sich dadurch weitere Schübe bei vorbestehend mindestens zwei Episoden einer rezidivierenden, milden bis mittelstarken Clostridioides-difficile-Enterokolitis verhindern lassen.
Ausgangspunkt war die Stuhlprobe eines gesunden ­Patienten mit nachfolgender Selektion von 40 gereinigten, lyophilisierten und dann enkapsulierten Bakte­rienspezies. Die Applikation erfolgte mittels mehrerer Kapseln über einige Tage oral. Somit ist das Produkt («microbial ecosystem treatment 2» [MET-2]) von weiteren fäkalen Mikrobiom-Transplantationen (FMT) ­unabhängig und eliminiert potentiell gefährliche ­Erreger.
Eine elegante Methode, der das Überleben der nächsten klinischen Testphasen zu wünschen ist.
Lancet Gastroenterol Hepatol. 2021, doi.org/10.1016/S2468-1253(21)00007-8.
Verfasst am 01.03.2021.
Können Mikrobiom-Transplantationen rezidivierende Schübe von Clostridioides-difficile verhindern? (Digital kolorierte Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme von Clostridioides difficile; © CDC/ Lois S. Wiggs; Janice Carr, 2004).

Für Ärztinnen und Ärzte im Spital

«Choosing Wisely»: 5 Weisheiten in der ­Intensivmedizin sind nicht genug

Anscheinend nehmen aktuell 70 verschiedene medizinische Gesellschaften an der «Choosing Wisely»-Initiative teil, die vor allem einem ressourcenschonenden Vorgehen verpflichtet ist. Warum es gerade fünf Empfehlungen sein müssen, war nie klar. So publiziert die «Critical Care Society» sieben Jahre nach Publikation der ersten fünf Anweisungen folgerichtig die Anweisungen 6–10, die immer mit «Do not» respektive «Kein/e» beginnen und daher etwas an eine Verbotskultur anstelle einer positiven Verstärkung tugendvollen Handelns erinnern. Die untersagten Handlungen sind:
– Keine Katheter oder Drainagen länger als nötig in situ belassen.
– Kein Aufschub der Beendigung künstlicher Be­atmung.
– Keine Antibiose ohne klare Indikation.
– Kein Aufschub in der Mobilisierung von intensivmedizinischen Patientinnen/Patienten.
– Kein Aufschub in der Implementierung des Patientenwillens.
Ausser der letzten Anweisung, die in komplexen Situationen auch die genaue Abklärung und Lagebeurteilung durch und für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erfordert, scheinen die Anweisungen eher banal. Umso erstaunlicher, dass sich die Gesellschaft genötigt fühlte, sie zu publizieren und behauptet, die ersten fünf Anweisungen seien ungenügend umgesetzt (siehe «Immer noch oder wieder lesenswert»).
Crit Care Med. 2021, doi.org/10.1097/CCM.0000000000004876.
Verfasst am 01.03.2021.

Immer noch oder wieder lesenswert

Die ersten 5 «Choosing Wisely»-Regeln der ­Intensivmedizin

– Keine diagnostischen Tests in fixen Intervallen verordnen.
– Keine Erythrozytenkonzentrate bei einem Hämoglobin >7 g/dl ohne aktive Blutung verabreichen.
– Keine parenterale Ernährung bei vormals normal ernährten Patientinnen/Patienten in den ersten sieben Tagen auf der Intensivstation verabreichen.
– Keine tiefe Sedation bei Intubierten vornehmen ohne regelmäs­sige Versuche, die Intensität der ­Sedation zu mindern.
– Keine umfassende, intensivmedizinische Therapie bei zu erwartenden bleibenden, grossen funktionellen Defiziten einleiten, ohne eine Komforttherapie mit Patientinnen/Patienten oder Angehörigen besprochen zu haben.
Verfasst am 01.03.2021.

Auch noch aufgefallen

Die magische Zahl 5

Die Zahl 5 scheint nicht nur das weise klinische Vorgehen zu leiten, sondern ist auch diätetisch wichtig. Die Einnahme von fünf frugalen Nahrungsmitteln, idealerweise dreimal Gemüse und zweimal Früchte pro Tag, ist gemäss einer 30-jährigen Nachbeobachtungszeit bei etwa 110 000 Individuen (davon fast ⅔ Frauen), die Diät-Tagebücher führten, mit einer reduzierten Mortalität assoziiert. Die sogenannte Hazard-Ratio im Vergleich zu zweimal Frucht oder Gemüse betrug 0,88 für die Gesamtmortalität. Gemäss dieser Studie genügt es nicht, Fruchtsäfte als Ersatz für intakte Früchte zu benützen, und Kartoffeln hatten anscheinend keinen Einfluss auf die Prognose. Unterstützung für die Nahrungsmittelpyramide, also.
Verfasst am 02.03.2021.
Der Konsum von fünf Portionen frugaler Nahrungsmittel pro Tag ist mit einer reduzierten Mortalität assoziiert (© Markos Media | Dreamstime.com).

Gehen Ihnen Gespräche zu lange?

Wenn man ein Gespräch beginnt, zum Beispiel im Rahmen einer Konsultation, muss man es auch einmal ­beenden. Nicht zu spät, damit keine Langeweile aufkommt, nicht zu früh, um den Gesprächspartner nicht als unwichtig erscheinend oder gar verletzt zurückzulassen, und auch ohne Notlügen zu bemühen.
Wie zufrieden sind wir mit der effektiven Gesprächsdauer und wie gut können wir die Bedürfnisse der ­Gesprächspartner einschätzen? Ganz schlecht: In ­weniger als 2% der Fälle endete das Gespräch selbst bei nahestehenden Personen (inkl. «romantic partners») für beide Teile zum richtigen Zeitpunkt. In etwa 70% der Fälle war das Gespräch als zu lang empfunden ­worden – offensichtlich wurde aber keine akzeptable Art der ­Beendigung gefunden. Im Allgemeinen waren die Gesprächsteilnehmenden sehr schlecht im Wahrnehmen der von den eigenen unterschiedlichen ­Bedürfnissen (hinsichtlich Gesprächsdauer) ihrer ­Gesprächspartner.
Kommen Ihnen diese Resultate in Bezug auf Ihre ­Praxistätigkeit bekannt vor?
Proc Natl Acad Sci U S A. 2021, doi.org/10.1073/pnas.2011809118.
Verfasst am 03.03.2021.

Aus Schweizer Feder

Wirksamkeit von Zoledronat nach Absetzen von Denosumab

Leider fällt nach Absetzen des Denosumab wegen ­Restimulierung («rebound») der Knochenresorption die Knochendichte oft auf Ausgangswerte zurück und die Patientinnen und Patienten sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, zum Teil sogar multipel auftretende Wirbelkörperfrakturen zu erleiden.
Wir hatten schon die Beobachtung erwähnt [1], dass eine Einzeldosis Zoledronat (5 mg i.v. 6 Monate nach Absetzen von Denosumab) die Reaktivierung der ­Knochenresorption über zwei Jahre anscheinend ­verhinderte [2]. Diese Daten, inklusive der effektiven Verhinderung vermehrter Wirbelfrakturen, werden nun bestätigt [3]. Die beschriebene sequentielle Therapie dürfte zur Regel werden oder hat sich bereits zum Standard entwickelt.
Die Autoren weisen wohl zurecht darauf hin, dass trotz dieser ermutigenden Resultate Kontrollen (Knochenumbauparameter, Densitometrie) auch nach Zoledronat empfehlenswert sind, denn: Jüngeres Alter, tieferer Body-Mass-Index, längere Denosumabtherapie sind auch nach Zoledronat mit einem stärkeren Knochendichteverlust assoziiert.
1 Swiss Med Forum. 2020, doi.org/10.4414/smf.2020.08463.
2 J Bone Miner Res. 2019, doi.org/10.1002/jbmr.3853.
­Verfasst am 25.02.2021.

Wie könnte das funktionieren? Die kurz und bündige Hypothesenrubrik

Rebound nach Absetzen von Denosumab

Die gängige Meinung war, dass Osteoklasten unter anderem unter der Kontrolle von M-CSF (Makrophagenkolonien stimulierender Faktor) und RANK («receptor activator of nuclear factor kappa B») aus hämatopoetischen Stammzellen entstehen und nach getaner Arbeit mit einer durch Bisphosphonate beschleunigten ­Apo­ptose eliminiert werden. Osteoklasten können aber (siehe Abbildung) nach Knochenresorption dank einer eindrücklichen genetischen Umprogrammierung in einkernige Zellen (genannt Osteomorphe) ­zurückgeführt werden. Diese nicht resorbierenden ­Zellen können später am gleichen oder einem anderen Ort wieder zu mehrkernigen, knochenresorbierenden Riesenzellen fusionieren. Die erneute Fusion wird durch das sogenannte Osteoprotegerin gehemmt, dessen Wirkung das Medikament Denosumab imitiert. Nach Absetzen von Denosumab könnte also die Fusion und damit Neuproduktion von Osteoklasten schnell zunehmen und den zu möglichen Refrakturierungen führenden Resorptionsschub auslösen.
Verfasst am 02.03. 2021.
Lebenszyklus der Osteoklasten: Biogenese, Apoptose und die neu entdeckte Möglichkeit, als einkernige Osteomorphe zu überleben und wieder zu Osteoklasten zu fusionieren. HSC: hämatopoietische Stammzelle; M-CSF: Makrophagenkolonien stimulierender Faktor; RANK: «receptor activator of nuclear factor kappa B».

Wussten Sie?

Was bedeutet eine 95%ig wirksame COVID-19-Impfung (mehrere richtige Antworten möglich)?
A Von 100 000 Geimpften werden etwa 5000 erkranken.
B Die Wirksamkeit errechnet sich wie folgt: 100 × (1 minus Erkrankungsrate mit Impfstoff, dividiert durch die Erkrankungsrate unter Plazebo).
C In den publizierten mRNA-Impfstudien betrug die Erkrankungsrate im Plazebo-Arm ca. 1%.
D Bei gleicher Erkrankungsrate in Zukunft werden bei 100 000 Geimpften also 50 Erkrankungsfälle* auftreten, ohne Impfung 1000.
*Für die den Studiendauern in etwa vergleichbare 3-Monats­periode.

Antwort:


Antwort A ist falsch, weil die absolute Zahl der Erkrankungsfälle von der Erkrankungsrate ohne Impfung (in den Studienpopulationen waren dies 1%) abhängt, also sind Antworten C und D richtig wie auch Antwort B (Berechnungsformel).
Erinnert sei, dass auch die geimpften Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer Masken trugen und soziale Distanzierungen beachteten. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Wirksamkeits­resultate schlechter aussehen, falls auf diese beiden Massnahmen in Zukunft bei Geimpften verzichtet werden sollte.
Lancet Infect Dis. 2021, doi.org/10.1016/S1473-3099(21)00075-X.
Verfasst am 26.02.2021.
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