Kurz und bündig
Journal Club

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2021/0506
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08720
Swiss Med Forum. 2021;21(0506):75-77

Publiziert am 02.02.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Das erste Jahr mit SARS-CoV-2 in der Schweiz

In atemberaubendem Tempo haben uns seit der Erstbeschreibung eines an COVID-19 erkrankten Patienten im Tessin (25. Februar 2020) neue medizinische Informationen – mal bahnbrechend, mal auch total falsch – als zusätzliche Welle, sozusagen, überschwemmt. Wir wollen hier die kurz und bündig wichtigsten Ereignisse mit den relevanten Literaturzitaten zusammenfassen, damit wir uns fit für das zweite Jahr machen können.
Die Texte wurden alle in der Altjahrwoche 2020 redigiert.
© CDC/ Hannah A Bullock, Azaibi Tamin; 2020

Virologie

Von den sieben bekannten Coronaviren (CoV) verursachen vier «nur» einen «common cold» (HKU1, OC43, NL63 und 229E), während drei (SARS-CoV[-1], MERS-CoV und SARS-CoV-2) den unteren Respirationstrakt mit schweren Pneumonien befallen [1]. SARS-CoV-2 gehört zu den Beta-Coronaviren (RNA).
Die SARS-CoV-2-Ausscheidung beginnt in den letzten 2–3 Tagen der Inkubationszeit, weshalb die asymptomatische Übertragung mit etwa 40% der Fälle hoch ist. Die Infektiosität fällt sieben Tage nach Symptombeginn schnell ab [2], obwohl der RNA-Nachweis (mittels nasopharyngealer RT-PCR) im Mittel noch etwa drei Wochen nach Auftreten der Symptome positiv bleibt [3]. Es ist möglich, aber nicht bewiesen, dass mit den neuen Antigen-Schnelltests vorwiegend die Patientinnen und Patienten mit hoher Viruslast, die am konta­giösesten sein dürften, erfasst werden.
Seit dem Ausbruch in Wuhan ist eine Mutante im Spike-Protein (G614) in der Schweiz spätestens seit Mai 2020 für praktisch 100% der Infektionen verantwortlich [4]. Die Ausbreitung der «britischen Mutationen» [5] ist im Moment nicht abschätzbar, diese sind aber bereits auch auf dem europäischen Festland, Schweiz inklusive, nachgewiesen worden.
1 Nat Microbiol. 2020, doi.org/10.1038/s41564-020-0695-z.

Epidemiologie

Per Ende Dezember 2020 gibt es weltweit wahrscheinlich gegen 100 Millionen bestätigte COVID-19-Fälle mit einer geschätzten Mortalität über alle Altersgruppen und global von etwa 3% [1]). Hygienische Massnahmen, physische Distanz und Masken schützen nicht zu 100%, aber weitgehend vor der Infektion mit SARS-CoV-2 [2, 3]. Vor solchen Massnahmen betrug die basale Infektionsrate (Ro) 2,2–6,4. Die mediane Inkubationsperiode beträgt fünf Tage, mit einer Streubreite von 2–14 Tagen [4]. Die Übertragungsrate scheint bei Adoleszenten am effektivsten [5], im Gesundheitswesen Tätige haben global ein doppelt so hohes Risiko, an COVID-19 zu erkranken, als andere Bevölkerungsteile [6].
4 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/nejmoa2001316.
5 Emerg Infect Dis. 2020, doi.org/10.3201/eid2610.201315.
6 Lancet Public Health. 2020, doi.org/10.1016/S2468-2667(20)30164-X.

Pathophysiologie

SARS-CoV-2 bindet mit seinem S-(Spike-)1-Protein an das «angiotensin-converting-enzyme»-(ACE-)2-Protein, wobei das Neuropilin 1 (nach Spaltung einer proteolytischen Stelle am und somit Dekonvoluierung des S-Proteins) als ein die zelluläre Invasion fördernder Ko­rezeptor wirkt [1, 2]. Wichtig für die Auslösung einer Entzündungskaskade ist eine Complement-(C5a-)Aktivierung (Chemoattraktion von Leukozyten mit sekundärem «Zytokinsturm»), mittelbar auch eine Endothelialitis/Vaskulitis auslösend [3].
SARS-CoV-2-Infekte induzieren eine langlebige T-Zell-Immunität [4] und eine anti-SARS humorale, neutralisierende Immunantwort. Dauer und Ausmass der Protektion vor einem Reinfekt sind noch nicht klar zu beziffern, gemäss den ersten Impfstudien (siehe unten) aber wahrscheinlich doch hoch und mehrere Monate andauernd.
Wahrscheinlich genetisch bedingte Autoantikörper gegen Interferone der Gruppe 1 sind ein wichtiger Grund für schwerere Verläufe von COVID-19-Infekten [5]. Obwohl Kinder in der Regel nur leicht erkranken, können vor allem Kinder >5 Jahre ein «multisystem ­inflammatory syndrome» (MIS-C) mit Myokarditis/­Perikarditis, Lymphopenie, Thrombopenie und Hyperferritinämie (zum Glück mit niedriger Mortalität) ­entwickeln [6]. Die pathognomische Dysosmie ist wahrscheinlich Folge einer SARS-CoV-2-Invasion der Sustentakularzellen (ACE-2-positiv), in denen die sich sekundär entzündenden, olfaktorischen Rezeptorneurone im Nasendach eingebettet sind [7].
3D-Druck eines Spike-Proteins auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 (Courtesy: National Institute of Allergy and Infectious Diseases).
1 Nat Commun. 2020, doi.org/10.1038/s41467-020-18319-6.
6 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2021680.
7 ACS Chem Neurosci. 2020, doi.org/10.1021/acschemneuro.0c00406.

Klinik

Die mittlere Dauer ab Symptombeginn für die zur Hospitalisation Anlass gebende Pneumonitis/ARDS («acute respiratory distress sydrome») beträgt 7–10 Tage, wobei die Mortalität in Funktion von Alter und Anzahl Komorbiditäten (Hypertonie, Adipositas, Diabetes, Herzinsuffizienz) exponentiell ansteigt [1]. Radiologisch ist eine bilaterale Milchglastrübung typisch, mit möglichem Auftreten bei Beginn der Symptome bis mehr als drei Wochen nach Symptombeginn [2]. «Typisch» für das im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 «atypisch» genannte ARDS sind initial relativ erhaltene dynamische und statische Lungenparameter, bei schon ausgeprägter Hypoxämie.
Aus Platzgründen müssen wir hier auf die Besprechung kardialer, renaler und neuropsychiatrischer ­Folgen verzichten. Sie können die Besprechung der weiteren Folgen allerdings in unserem Podcast «EMH Journal Club» unter emh.ch/podcast hören. Weiterführende Informationen finden Sie zudem im «Hinweis» am Schluss des «Kurz und bündig».
1 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMcp2009575.
2 Am J Respir Crit Care Med. 2020, doi.org/10.1164/rccm.202003-0817LE.

Therapien

Therapieübersicht

Die Lage der therapeutischen Wirksamkeiten und ­Nebenwirkungen und des klinischen Verlaufes ganz allgemein ist Ende 2020 unübersichtlich. Für viele Therapeutika bestehen methodologisch bedingte Unsicherheiten, zum Teil eher marginale Effekte und auch kontradiktorische Evidenz. Sicher kann nur gelten, dass Glukokortikoide die Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe und die damit assoziierte Mortalität senken [1]. Ebenso etabliert ist, dass weder (Hydroxy-)Chloroquin noch Lopinavir/Ritonavir prophylaktisch oder therapeutisch wirksam sind [2].
Tabelle 1: Therapieübersicht.
AntiviralRemdesivir
(Hydroxy-)Chloroquin
Lopinavir/Ritonavir
ImmunmodulationGlukokortikoide
Interferon Beta-1a
Baricitinib
Monoklonale Antikörper gegen Zytokine und deren ­Rezeptoren
Passive ImmunisierungRekonvaleszentenplasma
2 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2023184.

Impfungen

Es gibt verschiedene experimentelle Methoden, eine Anti-SARS-CoV-2-Immunität zu induzieren (die unten angegebenen URLs, Referenzen 1 und 2, erlauben Ihnen eine regelmässige Aktualisierung):
1. inaktivierte oder abgeschwächte SARS-CoV-2;
2. nicht replizierende Trägerviren (z.B. Adenoviren) mit DNA, die den Code für SARS-CoV-2-Eiweisse enthalten (Astra-Zeneca) und sogenannte Sputnik V (Gamaleya);
3. Nukleinsäuren mit viraler mRNA im Hauptfokus (Biontech/Pfizer und Moderna);
4. SARS-CoV-2-Eiweissuntereinheiten.
Die Impfstoffe gemäss Punkten 2 und 3 sind in verschiedenen Ländern zugelassen, die Impfungen mit mRNA-Impfstoffen haben am 28. Dezember 2020 in der Schweiz begonnen. Die beiden mRNA-Impfstoffe sowie der Astra-Zeneca- und der Sputnik-V-Impfstoff scheinen eine hohe Wirksamkeit zu haben [3–6].
Die seltenen (1 auf 1 Million Dosen), aber zum Teil schweren allergischen Reaktionen auf den Biontech/Pfizer-Impfstoff scheinen gegen die als Trägerpartikel für die mRNA verwendeten liposomenähnlichen ­Nanopartikel gerichtet [7].
Die Titer der neutralisierenden Antikörper variieren zwischen den Impfstoffen, die Werte sind aber wegen unterschiedlicher Assays nicht vergleichbar. Nachweisbar sollen sie angeblich fünf Monate und länger sein, wie lange und wie gut ein Infektionsschutz andauert, ist aber offen.
Wie lange und wie gut ein Infektionsschutz nach der Impfung andauert, ist noch offen (© Dmytro Zinkevych | Dreamstime.com ).
3 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2027906.
4 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2022483.

Medizinische Publizistik

Nicht zuletzt hat COVID-19 die medizinische Publizistik enorm verändert: 4% aller Publikationen (wahrscheinlich etwa 200 000) widmeten sich in irgendeiner Form COVID-19. Bis zu 30% der Manuskripte wurden als «Preprint» vor einer Peer-Review publiziert. Gewisse Verlage sahen auch einen massiven ­Anstieg von Nicht-COVID-19-Einreichungen von bis zu 60%. Wahrscheinlich war das Home-Office Anlass, noch nicht publizierte Daten aufzuräumen.
Die Peer-Review von COVID-19-Artikeln war schneller (im Februar 2020 nur etwa 10 Tage), während Nicht-­COVID-19-Artikel langsamer beurteilt wurden (über 100 Tage Dauer).
Natürlich gab es auch Fehlmeldungen und entsprechend Rücknahmen von – auch sehr prominent publizierten – COVID-19-Artikeln (laut «retraction watch» 39 im Jahre 2020).
Nature 2020, doi.org/10.1038/d41586-020-03564-y.

Hinweis

Eine Fülle von kritischen, unaufgeregten und regelmäs­sig aktualisierten Informationen findet sich beispielsweise bei https://reacting.inserm.fr/literature-review.
Kurz und bündiger Dank geht an Prof. Jürg-Hans Beer, Departement Innere Medizin, Kantonsspital ­Baden, für seinen Hinweis auf diese Ressource.
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