Asymptomatische Erhöhung der Kreatinkinase
Ab wann beunruhigend?

Asymptomatische Erhöhung der Kreatinkinase

Wie deuten Sie diesen Befund?
Ausgabe
2021/1718
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08693
Swiss Med Forum. 2021;21(1718):297-299

Affiliations
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV): a Service de médecine interne; b Service de chimie clinique

Publiziert am 27.04.2021

Dieser Artikel befasst sich mit der Problematik des Referenzintervalls des Kreatinkinasewertes und erarbeitet einen Vorschlag zum Vorgehen im Falle einer isolierten und asymptomatischen Erhöhung.

Fallbeschreibung

Sie sind die behandelnde Ärztin / der behandelnde Arzt eines 56-jährigen, ivorischen Patienten mit vorbekannter Hypercholesterinämie und früherem Nikotinabusus, Status nach Myokardinfarkt und nachfolgender Stentimplantation im Jahre 2016. Er ist mit Aspirin® cardio, Atorvastatin 40 mg und Lisinopril 5 mg täglich medikamentös eingestellt. Die Ratschläge von «bougez plus» («Mehr Bewegung») motivieren Ihren Patienten zur Teilnahme an einem von seinem Wohnort organisierten Halbmarathon. Drei Tage später erreicht Sie ein Faxmed (elektronisch generierter Kurzaustrittsbericht) der Notfallstation. Der Patient hat während des Laufes eine vasovagale Synkope erlitten. Die Laborwerte zeigen eine akute Niereninsuffizienz und eine Erhöhung der Kreatinkinase (CK) auf 7000 U/l (Referenzbereich: 25–190 U/l) ohne Myoglo­binurie. Der Patient wird eine Nacht lang auf dem Notfall hydriert und die Messungen am Folgetag zeigen eine leichte Senkung der CK-Werte und eine Erholung der Nierenfunktion. Zehn Tage später kommt der Patient zur Kontrolle in ihre Sprechstunde. Er hat keine Beschwerden und seit seiner Entlassung körperliche Belastung vermieden. Seine Nierenfunktion ist normal und die CK-Werte liegen in Ihrer Kontrolle bei 500 U/l.

Frage: Wofür entscheiden Sie sich?


a) Sie wiederholen die CK-Kontrolle in zwei Wochen.
b) Sie vermuten eine statinbedingte CK-Erhöhung und setzen die Statintherapie ab.
c) Bei einem asymptomatischen Patienten bedarf es keiner weiteren Abklärungen.
d) Sie vermuten eine zugrunde liegende muskuläre Erkrankung und planen eine Elektromyographie.

Antwort:


Antwort c ist korrekt.

Diskussion

Die CK spielt als Enzym eine wichtige Rolle im Energiemetabolismus und ermöglicht die Produktion von Adenosintriphosphat (ATP), das der Zelle dann zum ­raschen Gebrauch zur Verfügung steht. Es gibt mehrere Isoenzyme, davon drei zytosolisch vorkommend: die CK-MM in der gestreiften Skelettmuskulatur, die CK-MB im Herzmuskel und die CK-BB in der glatten Muskulatur und in nicht muskulärem Gewebe, insbesondere im Zentralnervensystem.
In der täglichen Praxis kommt es häufig vor, dass der CK-Wert die obere Grenze des Referenzbereiches, der übrigens von Spital zu Spital variiert, übersteigt. Bei asymptomatischen Patienten ist die klinische Bedeutung einer solchen Erhöhung manchmal schwer zu interpretieren. In diesem Artikel befassen wir uns mit der Problematik des Referenzintervalls des CK-Wertes und erarbeiten einen Vorschlag zum Vorgehen im Falle einer isolierten und asymptomatischen CK-Erhöhung.

Definition der Normwerte

Im Labor katalysiert die im Patientenserum enthaltene CK eine Dephosphorylierungsreaktion von Kreatinphosphat und erzeugt so ATP, das gebunden an weitere Reaktionen schliesslich Nicotinamid-Adenin-Dinukleo­tid-Phosphat (NADPH). Die Produktion von NADPH pro Minute wird spektrometrisch gemessen und ermöglicht letztlich die Bestimmung des Aktivitätswertes der im Serum vorkommenden Isoenzyme in Units pro Liter. Diese Messung ist im Labor leicht durchführbar und kostet etwa 2,50 CHF (ohne allgemeine Tarifpositionen).
Das Referenzintervall des CK-Wertes liegt in unserem Hause bei 25–140 U/l für Frauen und 25–190 U/l für Männer. Diese Werte liegen nahe an den Normwerten, die ursprünglich von der Schweizerischen Gesellschaft für Klinische Chemie vorgeschlagen wurden. Die Gesellschaft definierte 1988 eine Standardmethode für die Messung der CK-Werte und schlug im Folgenden Referenzwerte zwischen 38 und 160 U/l für Frauen und zwischen 50 und 200 U/l für Männer vor [1]. Dieser ­Vorschlag gründete vermutlich auf der Basis mehrerer existierender Quellen, wobei ausser dem Geschlecht keine weiteren charakterisierenden Eigenschaften der Population, welche die Etablierung des Referenzintervalls ermöglichte, präzisiert wurden.
So wie das Referenzintervall geschlechtsabhängig ist, wissen wir, dass der CK-Wert auch mit dem Alter und der Ethnie variiert. Eine Beobachtungsstudie [2], in der der CK-Wert von 10 000 Nordamerikanern gemessen wurde, dokumentierte signifikant höhere CK-Werte bei Afroamerikanern verglichen mit Kaukasiern, wobei der Unterschied bei den Männern deutlicher ausfiel. Dies scheint nicht durch Unterschiede in der Muskelmasse erklärbar. So hatten 5,6% der Männer und 5% der Frauen kaukasischer Herkunft einen CK-Wert oberhalb des Referenzbereiches dieser Beobachtungsstudie, bei den Probanden mit afroamerikanischer Herkunft waren es 29,8% der Männer und 19,3% der Frauen. Die Individuen asiatischer oder spanischer Herkunft zeigten ebenfalls gegenüber der kaukasischen Population erhöhte CK-Werte, jedoch war der Unterschied gering. Der CK-Wert scheint ausserdem mit dem Alter abzusinken, einem Abbau der Muskelmasse entsprechend.
Selbst innerhalb einer kaukasischen Population werden die Referenzbereiche disputiert. Norwegische Forscher haben in einer Studie [3] CK-Messungen bei knapp 13 000 Probanden durchgeführt, wobei die Population zu 90% aus Kaukasiern bestand. Die Referenzintervalle waren hierbei grösser als die in unserer Institution verwendeten; 35–210 U/l bei den Frauen und 50–400 U/l bei den Männern bis 50 Jahre, 40–280 U/l ab 50 Jahren. Mit diesen Referenzwerten hatten mehr als 5% der Teilnehmer einen erhöhten CK-Wert und bei 1,3% wurde eine persistierende Erhöhung nach drei Tagen ohne körperliche Belastung festgestellt. Eine Myopathie wurde bei lediglich zwei der betroffenen Probanden dia­gnostiziert.
Den aktuellen Leitlinien folgend legen die Labore die Referenzintervalle zwischen der 2,5. und 97,5. Perzentile fest. Zahlreiche Studien legen nahe, dass die Variabilität der CK-Werte innerhalb der gesunden Population wahrscheinlich grösser ist, als die von unseren Laboratorien vorgeschlagenen Referenzbereiche. Man findet in der Literatur verschiedene Versuche, die Referenzintervalle nach Alter, Geschlecht, Ethnie oder Muskelmasse neu zu definieren. Jedoch besteht kein klarer Konsens. 2010 schlug die «European Federation of Neurological Societies» (EFNS) [4] in ihren Guidelines die Etablierung der Obergrenze des Referenzbereiches bei der 97,5. Perzentile der beobachteten Werte in vier verschiedenen Gruppen vor, eingeteilt nach Ethnie und Geschlecht, wie in Tabelle 1 dargestellt.
Tabelle 1: Oberer Grenzwert (97,5. Perzentile) des Referenzbereichs der Kreatinkinase (CK).
 Nicht afroamerikanische FrauNicht afroamerikanischer MannAfroamerikanische FrauAfroamerikanischer Mann
CK U/l217336414801
Zusätzlich legen dieselben Guidelines nahe, eine Erhöhung lediglich dann als klinisch signifikant zu betrachten, wenn sie das 1,5-Fache des oberen Grenzwertes der Norm (etabliert nach oben genannten Kriterien) übersteigt. Die hieraus resultierenden oberen Grenzwerte siehe Tabelle 2.
Tabelle 2: Schwellenwerte der Kreatinkinase (CK) nach klinischer Signifikanz.
 Nicht afroamerikanische FrauNicht afroamerikanischer MannAfroamerikanische FrauAfroamerikanischer Mann
CK U/l3255046211200

Vorgehen bei asymptomatischer CK-Erhöhung

Eine Erhöhung des CK-Wertes bietet eine grosse Bandbreite an Differentialdiagnosen:
– Ursachen rein muskulären Ursprungs wie mechanische Schäden oder Myopathien;
– neuromuskuläre Ursachen wie verschiedene Muskeldystrophien;
– endokrine Ursachen (Hypothyreose; Hyperthyreose; Hyperparathyreoidismus; Morbus Cushing) oder metabolische Ursachen (Hyponatriämie; Hypokaliämie; Hypophosphatämie);
– medikamentöse Ursachen, vor allem Statine;
– kardiale Ursachen;
– die CK können ausserdem mit Immunglobulinen oder anderen Proteinen Komplexe bilden, sogenannte Makro-CK, deren langsamere Clearance eine Erhöhung des CK-Wertes bewirkt; diese Komplexe können unter pathologischen Umständen auftreten (zum Beispiel onkologisch oder autoimmun), aber auch physiologischerweise; sofern keine andere klinische Ursache bei konstanter und persistierender CK-Erhöhung eruierbar ist, muss diese Möglichkeit in Betracht gezogen und durch eine Elektrophorese identifiziert werden.
Im Rahmen einer Schädigung CK-reichen Gewebes ­erhöht sich der Blutwert progredient. Im Falle einer Rhabdomyolyse steigt der CK-Wert in den ersten 12 Stunden an und fällt in den folgenden drei bis fünf Tagen nach der Muskelschädigung wieder ab, mit einer geschätzten Halbwertszeit von 1,5 Tagen [5].
Aufgrund der Eliminationskinetik der CK wird in den Richtlinien meist eine Kontrolle der Werte nach drei Tagen ohne körperliche Anstrengung empfohlen, was in der Mehrzahl der Fälle ausreicht, um eine Normalisierung der Werte zu beobachten [3].
Moghadam-Kia et al. [6] schlagen eine pragmatische Herangehensweise bei asymptomatischer Erhöhung der CK-Werte vor. Es geht darum, zunächst herauszufinden, ob die Erhöhung unter Beachtung der Normen gemäss Geschlecht und Ethnie signifikant ist, bevor die Messung nach siebentägiger Vermeidung körperlicher Belastung wiederholt wird. Wenn die Erhöhung persistiert, sollte eine nicht neuromuskuläre Ursache ausgeschlossen werden. Einer kardialen Ursache muss gleich bei der Erstvorstellung nachgegangen werden. Die Laboruntersuchung wird durch Abklärung einer Schilddrüsenfehlfunktion oder Elektrolytstörung vervollständigt. Auch eine medikamentöse Ursache muss in Betracht gezogen werden. Sollten trotz fehlender klinischer Symptome die CK-Werte konstant und persistierend erhöht sein, kann abschliessend eine Suche nach Makro-CK im Labor in Auftrag gegeben werden.
Schliesslich ist wichtig, die Notwendigkeit einer Überweisung des Patienten zur Abklärung neuromuskulärer Ursachen zu diskutieren, nachdem eine detaillierte Ana­mnese bezüglich Intoleranz körperlicher Anstrengung, Verlust an Muskelkraft oder positiver Familienanamnese für neuromuskuläre Erkrankungen erfolgt ist.

Rückkehr zu unserem Fall

Die bei unserem Patienten ivorischer Herkunft beobachteten Werte können also mit Rücksicht auf Geschlecht und Ethnie als klinisch nicht signifikante Erhöhung betrachtet werden. Es ist daher vernünftig, keine weiteren Abklärungen durchzuführen. Nach Ausbleiben körperlicher Belastung seit zehn Tagen ist eine Wiederholung der Wertmessung nicht zielführend. Sollte der Patient Symptome wie einen Verlust der Muskelkraft, generelle Intoleranz körperlicher ­Anstrengungen, Muskelschmerzen oder eine positive Familienanamnese für neuromuskuläre Erkrankungen aufweisen, so sollte eine Elektromyographie durchgeführt werden. Die Statinbehandlung des Patienten im Rahmen der Sekundärprävention betreffend ist eine Erhöhung unterhalb des Vierfachen des oberen Grenzwertes als gering einzustufen. Gemäss den Empfehlungen der «European Society of Cardiology» (ESC) [7] kann eine statinassoziierte CK-Erhöhung bei einem kardiovaskulären Hochrisikopatienten unter regelmäs­siger Kontrolle der Werte auch jenseits des Vierfachen des oberen Grenzwertes toleriert werden. Bei einer zehnfachen Überschreitung des oberen Grenzwertes des Referenzbereiches sollte die Statintherapie ausgesetzt werden, es ist jedoch möglich, ein neues Statin in geringerer Dosierung nach einer Pause und Normalisierung der CK-Werte einzuführen. Im Falle einer Rhabdomyolyse sollte ein Statin ohne fachärztliches Konsil nicht wieder eingesetzt werden.

Hauptbotschaften

• Die Messung der Kreatinkinase-(CK-)Werte ist günstig und einfach durchführbar, kann jedoch durch Fehlinterpretationen zu teuren und unnötigen Abklärungen führen sowie zur unangemessenen Absetzung einer Statinbehandlung.
• Die Verwendung angepasster Schwellenwerte, eine sorgfältige persönliche und Familienanamnese sowie eine Laborkontrolle nach einigen ­Tagen helfen meistens, unnötige Zusatzuntersuchungen zu vermeiden.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Dr. med.
Céline Dumans-Louis
Département de médecine
Centre hospitalier universitaire vaudois
Rue du Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
celine.dumans-louis[at]chuv.ch
1 Bulletin der Schweizerischen Vereinigung für Klinische Chemie von 1987/88, 28+29.
2 George MD, McGill NK, Baker JF. Creatine kinase in the U.S. population: Impact of demographics, comorbidities, and body composition on the normal range. Medicine (Baltimore). 2016;95(33):e4344.
3 Lilleng H, Abeler K, Johnsen SH, Stensland E, Løseth S, Jorde R, et al. Variation of serum creatine kinase (CK) levels and prevalence of persistent hyperCKemia in a Norwegian normal population. The Tromsø Study. Neuromuscul Disord. 2011;21(7):494–500.
4 Kyriakides T, Angelini C, Schaefer J, Sacconi S, Siciliano G, Vilchez JJ, Hilton-Jones D; European Federation of Neurological Societies. EFNS guidelines on the diagnostic approach to pauci- or asymptomatic hyperCKemia. Eur J Neurol. 2010;17(6):767–73.
5 Huerta-Alardín AL, Varon J, Marik PE. Bench-to-bedside review: Rhabdomyolysis – an overview for clinicians. Crit Care. 2005;9(2):158–69.
6 Moghadam-Kia S, Oddis CV, Aggarwal R. Approach to asymptomatic creatine kinase elevation. Cleve Clin J Med. 2016;83(1):37–42.
7 Stroes ES, Thompson PD, Corsini A, Vladutiu GD, Raal FJ, Ray KK, et al.; European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Statin-associated muscle symptoms: impact on statin therapy – European Atherosclerosis Society consensus panel statement on assessment, aetiology and management. Eur Heart J. 2015;36(17):1012–22.