«To be or not to be … pregnant»
In der Differentialdiagnose nicht vergessen

«To be or not to be … pregnant»

Coup d'œil 1
Ausgabe
2021/1112
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08646
Swiss Med Forum. 2021;21(1112):199-200

Affiliations
Universitätsspital Basel: a Notfallzentrum; b Abteilung für Gynäkologie

Publiziert am 16.03.2021

Eine 29-jährige, bis dato gesunde, schlanke Patientin stellte sich aufgrund seit vier Tagen progredienter diffuser Bauchschmerzen mit Punctum maximum im rechten Unterbauch auf dem Notfall vor.

Hintergrund

Bauchschmerzen gehören zu den häufigsten Vorstellungsgründen auf Notfallstationen (Universitätsspital Basel: 12,1% der Notfallpatienten [1]) und in der Hausarztpraxis. Dahinter kann sich eine Reihe von viszeralchirurgischen, internistischen, gynäkologischen, urologischen oder auch psychosomatischen Krankheitsbildern verbergen. Eine gründliche Ana­mnese, eine gute körperliche Untersuchung sowie eine gezielte Diagnostik (Labor, Urinstatus, Bildgebung) sind für die richtige Diagnosestellung essentiell.

Fallbeschreibung

Eine 29-jährige, bis dato gesunde, schlanke Patientin stellte sich aufgrund seit vier Tagen progredienter diffuser Bauchschmerzen mit Punctum maximum im rechten Unterbauch auf dem Notfall vor. Im Alter von 20 Jahren war sie appendektomiert worden, ansonsten hatten keine chirurgischen oder gynäkologischen Eingriffe am Abdomen stattgefunden. Seit dem Vortag bestand eine vaginale Blutung in gewohnter Menstrua­tionsstärke. Seit Absetzen eines oralen Kontrazeptivums zwei Jahre zuvor war die Periode unregelmässig, bei latentem Kinderwunsch war es bis anhin zu keinen Schwangerschaften gekommen. Die Miktion wurde als normal beschrieben, am Vortag bestand einmaliger dünnflüssiger Stuhlgang ohne Blutbeimengung. Zu Erbrechen war es nicht gekommen. Fieber oder Gewichtsverlust wurden negiert. Die Umgebungsanamnese war negativ hinsichtlich enteritischer Erkrankungen, rezente Auslandsaufenthalte hatten nicht stattgefunden. Die Patientin nahm keine regelmässigen Medikamente. Es bestand eine bekannte Pollenallergie, weitere Allergien, insbesondere gegen Nahrungsmittel, waren nicht bekannt. Die Familienanamnese hinsichtlich abdomineller und gynäkologischer Malignome war negativ.
Bei Eintreffen im Notfallzentrum präsentierte sich die Patientin in schmerzbedingt reduziertem Allgemeinzustand (7/10 auf der visuellen Analogskala), normoton mit einem Blutdruck von 112/69 mm Hg, normofrequent mit 76 Schlägen/Minute sowie normopnoeisch mit 18 Atemzügen/Minute bei einer Sauerstoffsättigung von 100% unter Raumluft. Die Patientin war afebril (36,8 °C).
Klinisch zeigte sich ein diffus druckschmerzhaftes Abdomen mit Punctum maximum der Beschwerden bei Palpation im rechten Unterbauch mit lokaler Abwehrspannung sowie Klopfschmerzhaftigkeit im rechten Nierenlager. Die Darmgeräusche waren normal, die rektale Untersuchung unauffällig. Der kardiopulmonale Auskultationsbefund ergab keine Pathologien.
Im Aufnahmelabor imponierten eine normochrome, normozytäre Anämie (Hämoglobin: 103 g/l; Normwert 120–160 g/l) sowie eine leichtgradige Leukozytose (11,0/µl; Norm 3,5–10/µl). C-reaktives Protein (CRP), Nierenwerte und Elektrolyte, Transaminasen, γ-Glutamyltransferase (GGT), pH, Laktat, Kreatinkinase (CK) sowie Amylase lagen im Normbereich. Der Urin­status zeigte sich unauffällig, der Schwangerschaftstest im Urin war negativ.
Abdomensonografisch fand sich freie Flüssigkeit (Abb. 1) in allen vier Quadranten sowie eine 7 × 3 × 7 cm grosse inhomogene Weichteilformation (Abb. 2) im rechten Unterbauch.
Abbildung 1: Abdomensonografie mit Darstellung von freier Flüssigkeit zwischen Milz und linker Niere (Pfeile).
Abbildung 2: Sonografisch zeigt sich eine 7 × 3 × 7 cm gros­­se, inhomogene ­Weichteilformation im rechten Unterbauch.
In Anbetracht dieses Befundes erfolgte eine ergänzende transvaginale Sonografie, die eine solide, gut perfundierte Raumforderung von 35 × 36 mm neben dem rechten Ovar ergab. Es bestand die Indikation zur Notfalllaparoskopie. Hier fand sich ein Hämato­peritoneum mit diffuser Blutverteilung in Ober- und Unterbauch sowie Blut mit Koageln im Douglas-Raum. Die rechte Tube zeigte sich deutlich aufgetrieben, livide verfärbt und durch eine Extrauterinschwangerschaft (EUG) destruiert, sodass eine Salpingektomie durchgeführt werden musste.
Der weitere Verlauf gestaltete sich komplikationslos, sodass die Patientin am dritten postoperativen Tag in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden konnte.

Diskussion

Die EUG (d.h. Nidation der Blastozyste ausserhalb des Cavum uteri) ist ein lebens- und fertilitätsbedrohender Notfall. Sie betrifft 1–2% aller Schwangerschaften mit in den letzten Jahren zunehmender Inzidenz. Häufigster Ort der Fehleinnistung sind mit über 95% der Fälle die Eileiter, in selteneren Fällen die Ovarien, Bauchhöhle oder Uteruswand. Risikofaktoren stellen vorausgegangene genitale Infektionen, insbesondere stattgehabte Infektionen mit Chlamydien oder Gonokokken, vormalige gynäkologische Eingriffe wie zum Beispiel Curettagen oder Fertilitätsbehandlungen, eine Endometriose, Rauchen oder ein Lebensalter über 35 Jahre dar. Während das Risiko einer EUG bei Frauen mit Intrauterinpessaren (IUP) im Vergleich zu Frauen ohne diese Verhütungsmethode aufgrund der hohen Zuverlässigkeit von IUP zur Verhinderung von Schwangerschaften deutlich geringer ist, sind zirka die Hälfte ­aller Schwangerschaften, die trotz Verwendung eines IUP entstehen, extrauterin. Bei über 50% der betroffenen Frauen wird jedoch kein Risikofaktor gefunden ­[2, 3].
Zu beachten ist, dass, wie bei unserer Patientin, trotz negativem Schwangerschaftstest im Urin (bereits) eine Schwangerschaft/EUG bestehen kann. Bei Frauen im gebärfähigen Alter mit Unterbauchschmerzen muss daher auch bei negativem Schwangerschaftstest im Urin eine EUG in Erwägung gezogen werden; die Bestimmung von humanem Choriongonadotropin (β-hCG) im Blut kann aufgrund höherer Sensitivität bei der Differentialdiagnose oft hilfreich sein (im vorliegenden Fall: 13 IU/l; Normwert <3,0 IU/l; herkömmliche Schwangerschaftsurintests haben in der Regel eine Sensitivität ab 20–50 IU/l). Die vaginale Blutung im Rahmen einer EUG (Abbruchblutung durch fallenden Progesteronspiegel bei fehlendem Wachstum der Schwangerschaft) kann irreführend sein und darf nicht zur Fehlannahme «Schwangerschaft aufgrund bestehender Menstruation ausgeschlossen» führen.
Wir bedanken uns bei Herrn Dr. Victor Schulze-Zachau, Radiologische Abteilung, Universitätsspital Basel, für die freundliche Genehmigung zur Verwendung der Sonografiebilder.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med.
Elisabeth ­Ratzenböck
Notfallzentrum
Universitätsspital Basel
Petersgraben 2
CH-4051 Basel
Elisabeth.Ratzenboeck[at]usb.ch
1 Bingisser R, Dietrich M, Nieves Ortega R, Malinovska A, Bosia T, Nickel CH. Systematically assessed symptoms as outcome predictors in emergency patients. Eur J Intern Med. 2017;45:8–12.
2 Barnhart KT, Franasiak JM. Committee on Practice Bulletins –Gynecology. ACOG Practice Bulletin No. 191: Tubal Ectopic Pregnancy. Obstet Gynecol. 2018;131(2):e65–e77.
3 Maass/Schiessl: Gynäkologie und Geburtshilfe ... in 5 Tagen. 1. Auflage. Springer-Verlag Berlin Heidelberg; 2012.