Vitamin B12 (B12) ist für die Hämatopoese und Myelinisierung unentbehrlich. Bei einer Person mit progressiver Koordinationsstörung fanden sich zirkulierende Autoantikörper (AAK) gegen den B12-Rezeptor CD320. Dieser AAK verhindert trotz normalen B12-Spiegeln im Blut den Eintritt von B12 in den Liquor. Nach Immunsuppression stieg der B12-Spiegel im Liquor an und die Symptome besserten sich. Da hämatopoetische Zellen einen alternativen B12-Rezeptor benutzen, war die Blutbildung normal. Bei 7 weiteren Patienten mit unklarer progressiver Neurologie liess sich der AAK gegen CD320 nachweisen. Diese Arbeit legt den Grundstein dazu, bei unklaren neurologischen Symptomen auch bei normalem B12 im Blut und normaler Hämatopoese einen zerebralen B12-Mangel durch AAK in Betracht zu ziehen.
Die Neovaskularisation ist ein wesentlicher Promotor der feuchten Maculadegeneration. Therapeutisch wird der anti-vascular endothelial growth factor (anti-VEGF) als wiederholte intravitreale Injektionen eingesetzt. In einer doppelblinden randomisierten Studie wurde geprüft, ob mit ionisierender Strahlung anti-VEGF Injektionen reduziert werden können. 359 Patientinnen und Patienten unter anti-VEGF Therapie wurden entweder einmalig mit 16 Gray stereotaktisch bestrahlt oder «schein»-bestrahlt. Nach 2 Jahren konnten – bei gleichem Therapieerfolg – in der Interventionsgruppe drei Injektionen (22%) gegenüber der Kontrollgruppe gespart werden. Bezüglich Nebenwirkungen bestand kein Unterschied. Mit einer einmaligen Bestrahlung können sowohl die anti-VEGF Injektionen als auch die Kosten signifikant verringert werden.
In unheilbaren Stadien solider Krebsleiden haben neue Therapieansätze für Lebensqualität und Lebensverlängerung neue Massstäbe gesetzt. Dazu zählen zielgerichtete Therapien gegen tumorspezifische Gene/Proteine und Immuntherapien wie Checkpoint-Inhibitoren und monoklonale Antikörper. Die zielgerichtete Therapie führt – auch bei fortgeschrittenen Leiden – oft zu einem raschen «Aufleben», das zeitlich aber begrenzt ist. Immuntherapien dagegen haben das Potenzial, lange anhaltende Remissionen zu induzieren. Nebenwirkungen und andere Effekte dieser Therapien gehen teils mit hohen psychischen und körperlichen Belastungen einher, weshalb die Autorinnen und Autoren dieser Übersicht die kritische Frage stellen, ob wir am Lebensende der Betroffenen nicht doch zu weit gehen.
Der Begriff «akutes Abdomen» umfasst Erkrankungen, die durch Obstruktion, Blutung, Ischämie, akute Entzündung oder Perforation intraabdominaler Organe entstehen. Die Diagnostik erfolgt mit Zeitdruck, da bei gewissen Erkrankungen die Prognose mit zunehmender Dauer sinkt.
Das universale Symptom sind Abdominalschmerzen, die diffus oder lokalisiert sein können.
Ärztinnen und Ärzte in der Hausarztmedizin und auf der Notfallstation beurteilen Patientinnen und Patienten mit akutem Abdomen als erste. Zu Beginn liefern Anamnese und körperliche Untersuchung – auch in der modernen Medizin – die zentralen Informationen für die nächsten Schritte.
Analgesie: Es ist nicht gerechtfertigt, bei starken Schmerzen auf die Verabreichung von Analgetika zu verzichten. Dies gilt auch für den Einsatz von Opiaten. Aufgrund der Studienlage behindern Analgetika weder die Diagnostik, noch verzögern sie eine zeitgerechte Therapie.
Bildgebung: Ultraschall (US) und Computertomografie (CT) sind erste Wahl.
Mit US können Appendizitis und biliäre Erkrankungen mit hoher Sicherheit erkannt werden. In der Schwangerschaft ist der US praktisch immer erste Wahl.
Mit CT + intravenösem Kontrastmittel (KM) ist die diagnostische Sicherheit für die meisten Pathologien am höchsten. Eine Niereninsuffizienz ist keine absolute Kontraindikation mehr, KM zu verwenden.
Konsil Chirurgie: Die Beurteilung aus chirurgischer Sicht als Zweitmeinung ist äusserst wertvoll. Sie sollte nach Erfassung der Datenlage ohne Zeitverzug erfolgen, da gewisse Interventionen notfallmässig durchgeführt werden müssen.
«Bias»: Es lohnt sich, die Daten aus Anamnese, Körperuntersuchung, Labor und Bildgebung in Ruhe kritisch zu analysieren und wiederholt auf kognitive Verzerrungen («bias») zu prüfen.
Klimaveränderung, Gesundheitsrisiken, Rolle der Spitäler
Anthropogene klimatische Veränderungen sind die Folge der Verbrennung fossiler Energieträger – Kohle, Öl, Gas – und der Luftverschmutzung. Gegenüber der vorindustriellen Zeit liegt die globale Temperatur im Mittel um 1,1 °C höher, bis Ende des Jahrhunderts wird eine Zunahme um 2,5–2,9 °C erwartet. Auch Frequenz und Dauer von Hitzewellen haben massiv zugenommen: in den USA sind die Perioden doppelt so häufig wie 1980 und dreimal länger als 1960.
Die Exposition gegenüber Hitze hat verschiedene Effekte auf den menschlichen Körper: akut auf die Haut (Sonnenbrand, heat rash), den Elektrolyt- und Wasserhaushalt (Hitzekrämpfe, Dehydratation, Ödeme) und die Kreislaufregulation (Hitzesynkope, Erschöpfung, Hitzeschlag) – im Extremfall mit fatalem Multiorganversagen. Extrem hohe Temperaturen führen zudem zu einer Zunahme der Konsultationen auf den Notfallstationen und zu gehäuften Hospitalisationen aufgrund kardiovaskulärer Probleme (akutes Koronarsyndrom, zerebrovaskuläre Ereignisse, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen), Nierenkrankheiten (akute Nierenschädigung, Nephrolithiasis), respiratorischen Entitäten (Atemnot, akute Exazerbation obstruktiver Ventilationsstörungen) und psychiatrischen Erkrankungen (Angst, Depression, Suizidalität). Auch Schwangerschaftskomplikationen (tiefes Geburtsgewicht, Aborte, kongenitale Herzfehler) sind gehäuft.
In den jeweiligen Artikeln werden sodann die Massnahmen zum Schutz vor Hitzeexposition und zur Reduktion des CO2-Abdrucks diskutiert («decarbonization»). Ein neuer Aspekt scheint mir dabei die Rolle der Gesundheitsinstitutionen: Sie sind Grossverbraucher und für 5–8% der Treibhausgasemissionen verantwortlich! Ein interessanter Vorschlag ist deshalb die Berücksichtigung des «carbon footprint» als sekundärer Endpunkt in klinischen Studien, eindrücklich illustriert am Beispiel von Narkosegasen: Sevofluran und Desfluran haben eine ähnliche Wirksamkeit. 1 kg Sevofluran entspricht dabei ungefähr der Emission von 130 kg CO2, 1 kg Desfluran hingegen von 2540 kg CO2!
Ein 61-jähriger Patient wird nach erstmaligem Krampfereignis intubiert und intensivmedizinisch hospitalisiert. Klinisch liegt ein anoxischer Hirnschaden vor. Im Labor erhöhte Nierenparameter und Muskelenzyme (Kreatinin 212 µmol/l, Kreatinkinase 38 400 U/l), ebenso eine Hyperamylasämie (1037 U/l, im Verlauf 1274 U/l). Die Serumlipase ist wiederholt normal. In der zerebralen Bildgebung findet sich ein Hirnödem mit intrazerebraler Blutung und mehreren metastasenverdächtigen Raumforderungen, in der thorakalen Computertomographie (CT) der Verdacht auf ein Lungenmalignom. Der Verlauf ist infaust.
Doch was ist die Ursache der Hyperamylasämie [1]? Eine akute ischämische Pankreatitis («Schock-Pankreas») nach Kreislaufstillstand scheint bei normaler Lipase und fehlenden Hinweisen im CT wenig wahrscheinlich. Auch eine Freisetzung aus den Speicheldrüsen wird ohne Trauma, Alkoholanamnese und bei bildmorphologischer Unauffälligkeit nicht weiterverfolgt. Liegt ein paraneoplastisches Phänomen vor? Die Produktion von Amylase durch Lungentumoren ist häufiger als vermutet. Im Erstbeschrieb (1951) wurde eine Expression von α-Amylase in 15/17 pulmonalen Adenokarzinomen nachgewiesen. Prospektive Studien haben erhöhte Serumwerte in bis zu 20% aller Lungenkrebserkrankten gefunden, histologisch meistens Adeno- oder Plattenepithelkarzinome. Ein interessanter Reminder!
Ein Fragezeichen darf allerdings hinter die Wertigkeit dieser Laboranalysen gesetzt werden. Offenbar wurde beim Patienten bereits in den Wochen zuvor im Rahmen einer Routinekontrolle eine erhöhte Serumamylase festgestellt – bei kompletter Symptomfreiheit. Der Wert wurde damals nicht weiterverfolgt. Ob ein diagnostischer Aktivismus am fatalen Verlauf etwas geändert hätte, darf allerdings bezweifelt werden. Auch der Stellenwert von wiederholten Bestimmungen von Amylase und Lipase im Verlauf der Akuthospitalisation muss hinterfragt werden. Of note: die Erstautorin des Fallberichts hatte kürzlich ein lesenswertes Pamphlet zu Sinn und Unsinn von Laboranalysen publiziert, es wurde hier ebenfalls besprochen [2, 3].
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