Weekly Briefing

Protonenpumpeninhibitoren

Gastrointestinale Blutung und Mortalität

Eine systematische Übersicht [1] – analysiert wurden 12 Studien mit insgesamt 9533 kritisch Kranken – liefert gute Evidenz («high certainty»), dass eine Protonenpumpenhemmer-Therapie die Inzidenz klinisch relevanter oberer gastrointestinaler Blutungsereignisse reduziert (relatives Risiko 0,51). Keine Effekte zeigten sich auf die Pneumonierate und Infektionen mit Clostridioides difficile (allerdings: «low certainty of evidence»). Kein Effekt fand sich zudem auf die 90-Tage-Mortalität in diesem schwerkranken Kollektiv. Die vermutlich gewichtigste Studie zu diesem Thema [2] wurde gleichentags (!) publiziert. Sie stammt von der teilweise identischen Autorenschaft und ihre Erkenntnisse sind in die Metaanalyse miteingeflossen. Tomorrow’s news, today …
1 NEJM Evid. 2024, doi.org/10.1056/EVIDoa2400134.
2 N Engl J Med. 2024, doi.org/10.1056/NEJMoa2404245.
Verfasst am 17.6.2024_HU

Diabetes mellitus Typ 1

Steigende Prävalenz, sinkende Mortalität

Diabetes Typ 1 – eine Krankheit mit drastischer Auswirkung auf die Lebenserwartung? Nicht mehr, konkludiert diese globale Populationsstudie mit ≥65-Jährigen aus über 200 Ländern: Im entsprechenden Kollektiv hat die Prävalenz seit 1990 zugenommen (400 vs. 504/100 000), gleichzeitig findet sich eine Abnahme der Mortalität (4,74 vs. 3,54/100 000). Ein Erfolg der medizinischen Entwicklung! Allerdings nicht weltweit: In Ländern mit hohem sozioökonomischen Status ist die Mortalitätsrate 13× schneller gefallen. Als Risikofaktoren für verlorene Lebensjahre durch gesundheitliche Einschränkungen wurden vor allem eine ungenügende Nüchternblutzuckerkontrolle und klimatische Temperaturextreme (Stichwort: Haltbarkeit und Wirksamkeit von Insulin) identifiziert.
BMJ. 2024, doi.org/10.1136/bmj-2023-078432.
Verfasst am 18.6.24_HU

Vintage Corner

Chronischer Hustern: prädiktiver Phänotyp

Diese kleine, elegante Studie – 88 Teilnehmende, davon 64 Frauen, mittleres Alter 53 Jahre – zeigte: Bei chronischem Husten (Dauer >8 Wochen) sind «postnasal drip», gastroösophagealer Reflux und Asthma bronchiale die häufigsten Gründe. Sie werden ursächlich bei rund 90% der Betroffenen gefunden, isoliert in rund 40% der Fälle, meistens in Kombination. Die Anamnese zu Charakter (z.B. paroxysmal, produktiv), Zeitpunkt (z.B. nachts, postprandial) und Komplikationen (z.B. Synkope) wirkt für einmal nicht diskriminativ. Engrammatisch ist aber folgender Phänotyp: negative Raucheranamnese, keine ACE-Hemmer-Therapie, normales Thoraxröntgen. In dieser Konstellation sind 99% der Fälle chronischen Hustens durch die drei oben erwähnten Entitäten erklärt.
Arch Intern Med. 1996, doi.org/10.1001/archinte.1996.00440090103010.
Verfasst am 17.6.24_HU
CME

Therapieresistente Hypertonie

  • Definition: ein Blutdruck (BD), der trotz gleichzeitiger Therapie mit drei Antihypertensiva aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen inkl. eines Diuretikums in maximaler (bzw. maximal tolerierter) Dosis über dem Zielwert liegt. Eine seltene Sonderform ist die refraktäre Hypertonie (HT) mit ungenügender BD-Kontrolle trotz ≥5 Medikamenten.
  • Auszuschliessen: ungenügende Adhärenz (50% der Fälle!), Weisskittel-HT, falsche Messtechnik (z.B. keine 5 min Ruhezeit vor Messung, inkorrekte Grösse/Position der Manschette).
  • Prävalenz: <10% aller Personen mit HT nach Ausschluss oben genannter Fehlerquellen.
  • Abklärungen: Bei Vorliegen einer «echten» resistenten HT müssen sekundäre Ursachen gesucht werden. In rund ¼ der Fälle liegt ein primärer Hyperaldosteronismus vor, weniger häufig eine renovaskuläre HT (atherosklerotisch >> fibromuskuläre Dysplasie). Seltenere Ursachen: obstruktives Schlafapnoesyndrom, Aortenisthmusstenose und endokrinologische Störungen wie Phäochromozytom, Morbus Cushing, Hyperthyreose.
  • Nichtmedikamentöse Therapie: Lebensstilmodifikation mit salzarmer Ernährung, Gewichtsreduktion, körperlicher Aktivität, Alkoholreduktion. Verzicht auf BD-steigernde Substanzen (z.B. nichtsteroidale Antirheumatika, trizyklische Antidepressiva, systemische Glukokortikoide, Ginseng, Lakritze).
  • Medikamentöse Therapie: 1. 3er-Kombination mit ACE-Hemmer/Sartan, Kalziumantagonist, Diuretikum (Thiazid, Indapamid); 2. Ergänzung mit Aldosteronantagonist (Spironolacton, Eplerenon); 3. zusätzliche Optionen: Betablocker, Alphablocker (in der CH: Doxazosin), zentraler Alphaagonist (Moxonidin). Zur Verbesserung der Adhärenz sollten Kombinationen «single pill» und eine 1× tägliche Dosierung präferiert werden.
  • Neue Ansätze: In der Pipeline sind diverse neue Wirkstoffe wie Aldosteronsynthasehemmer oder duale Endothelinrezeptorantagonisten. Interventionell ist die einzig zugelassene Methode die renale Denervation.
BMJ. 2024, doi.org/10.1136/bmj‐2023‐079108.
Verfasst am 22.6.24_HU

Rückblick Ausgaben 21–32

Welche Aussage ist falsch?

  1. Eine Raucher-assoziierte Polyglobulie verschwindet nach Sistieren des Rauchens.
  2. Auch eine 60-jährige Person soll zum Rauchstopp motiviert werden, da dadurch die respiratorische Mortalität halbiert wird.
  3. Respiratorische Infektionen: Das Erreger-Screening mittels Multiplex-Panel-Analyse (gleichzeitiger Nachweis von >20 pathogenen Bakterien und Viren) beeinflusst die Praxis der Antibiotikaanwendung nicht.
  4. Ambulant erworbene Pneumonie: Bei Hospitalisation ist die bisher üblich angewandte duale Antibiotikatherapie sinnvoll.
  5. Bei chronisch kompensierter Herzinsuffizienz (HI) wird eine liberale Salzzufuhr empfohlen (10–12 g, entsprechend 4–5 g Natrium).
  6. Schleifendiuretika bei HI: Sie sind nur bei Hypervolämie sinnvoll und sollten nach Erreichen einer Euvolämie wieder sistiert werden.
  7. Thiazid-Diuretika: Mit zunehmender Niereninsuffizienz verschwindet der diure­tische Effekt, während der antihypertensive ­erhalten bleibt.
  8. Skabies (Krätze): Wegen häufigen Therapieversagens unter Monotherapie wird eine Dualtherapie mit lokalem Permethrin und systemischem Ivermectin empfohlen.
  9. Statine steigern dosisabhängig die Inzidenz eines Diabetes mellitus Typ 2 und verschlechtern bei vorbestehendem Diabetes die glykämische Kontrolle.
  10. Intermittierendes Fasten führt gegenüber normalem Essverhalten zu einer besseren Gewichtsabnahme und einem verbesserten Glukosemetabolismus.
  11. Die Konversionsrate einer atrialen Tachykardie nach Valsalvamanöver wird deutlich erhöht, wenn die Patientin / der Patient nach dem Manöver in Trendelenburg-Lage gebracht wird.
  12. Flüssigbiopsie: Mit einer einfachen Blutentnahme lässt sich freizirkulierende Tumor-DNS nachweisen, die eine Früherkennung eines bisher unbekannten Malignoms ermöglicht.
  13. D-Mannose sollte nicht zur Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfekte eingesetzt werden, da die einzige doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Studie weder für Rezidive noch für Symptomdauer, Antibiotikaeinsatz oder Hospitalisation einen Vorteil zeigt.
  14. Beim Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom werden die Abdominalbeschwerden durch warmes Duschen oder Baden gelindert.
Die Antwort folgt in der nächsten Ausgabe.   
Verfasst am 30.6.24_HU und MK
Hepatitis-D-Virus
Das Hepatitis-D-Virus benötigt das HBs-Antigen des Hepatitis-B-Virus zur Replikation.
© 2015 The Second Affiliated Hospital of Chongqing Medical University. Published by XIA & HE Publishing Ltd . CC BY-NC 4.0 .

Kombinationstherapie besser

Eine Hepatitis-D-Virus-(HDV-)Infektion kommt nur beim Menschen vor. Weltweit sind circa 10–20 Millionen infiziert mit hoher Prävalenz in gewissen Gebieten von Südamerika, Westafrika und Zentralasien [1]. HDV ist ein kleines, 1,7 Kilobasen langes, einsträngiges, defektes RNS-Virus. Um intrazellulär zu replizieren, benutzt es die RNS-Polymerase der Hepatozyten. Der Befall weiterer Hepatozyten ist nur möglich, wenn gleichzeitig ein Hepatitis-B-Virus (HBV) anwesend ist, das überschüssiges Hepatitis-B-Surface-Antigen (HBsAg) als Hülle zur Verfügung stellt. Bei einer Erstinfektion gleichzeitig mit HBV und HDV (sog. Co-Infektion) entwickelt sich eine klinisch schwere akute Hepatitis, die nur selten chronisch wird. Findet die HDV-Erstinfektion aber bei vorbestehender HBV-Infektion statt (sog. Superinfektion), entsteht fast immer eine chronische HDV-Infektion. Es handelt sich um die schwerste Form einer chronisch viralen Hepatitis, die im Vergleich zur HBV-Infektion ein 2–6× höheres Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) und ein 2–3× höheres Todesrisiko aufweist.
Die Therapie gegen eine chronische HDV-Infektion ist frustran. Pegyliertes Interferon (Peg-IFN) ist nur wenig wirksam. Da HDV zur Replikation die synthetische Maschinerie der infizierten Hepatozyten benutzt, können die üblichen antiviralen Polymerasehemmer nicht verwendet werden. Hoffnung besteht aber mit Bulevirtid, das die Funktion von HBsAg hemmt. HDV benutzt HBsAg als Oberflächenprotein, um an den Rezeptor der Hepatozyten zu binden, der die Internalisierung von HDV einleitet. Bulevirtid ist ein Hemmer dieses Rezeptors und verhindert, dass weitere Hepatozyten infiziert werden. In einer Phase-2-Studie zeigte bei 50 Patientinnen und Patienten die subkutane Kombinationstherapie mit Peg-IFN-α-2a (180 µg/Woche, 48 Wochen) + Bulevirtid (10 mg täglich 48 Wochen, danach Monotherapie täglich weitere 48 Wochen) ein Jahr nach Therapieabschluss in 46% eine anhaltende Virussuppression [2]. Mit Peg-IFN-α-2a allein oder Bulevirtid allein war die Suppression signifikant weniger häufig. Parallel dazu normalisierten sich die erhöhten Leberenzyme. Einschränkende Nebenwirkungen traten nicht auf.
Der relativ eindrückliche und langanhaltende Effekt der Kombinationstherapie lässt einen Synergismus vermuten. Diese Firmen-gesponserte Arbeit ist allerdings durch die kleine Patientenzahl mit 50 Personen/Gruppe limitiert. Zudem bleibt offen, ob auch das Risiko eines HCC gesenkt wird.
1 Viruses. 2022, doi.org/10.3390/v14081749.
2 N Engl J Med. 2024, doi.org/10.1056/NEJMoa2314134.
Verfasst am 27.6.24_MK

@ Caroline Murphy

Mit der Kommentarfunktion bieten wir Raum für einen offenen und kritischen Fachaustausch. Dieser steht allen SHW Beta Abonnentinnen und Abonnenten offen. Wir publizieren Kommentare solange sie unseren Richtlinien entsprechen.