Welcher Harnsäurespiegel soll nach einem Gichtschub erreicht werden, um weitere Schübe zu verhindern? In einer retrospektiven Studie erlitten 3613 Patientinnen und Patienten mit Gicht (Durchschnittsalter 60 Jahre, 86% Männer) während einer Beobachtungszeit von 8,3 Jahren 1773 erneute Gichtattacken. Bei 95% dieser Attacken lag die Harnsäure in einer vorangegangenen Messung >357 µmol/l. Die Wahrscheinlichkeit eines Schubes pro Jahr nahm mit steigender Harnsäure zu, bei <357 µmol/l trat ein Schub in 1%, bei >595 µmol/l in 13,3% der Fälle auf. Entsprechend stieg auch die Hospitalisationsrate an. In der Schweiz wird empfohlen, den Spiegel <360 µmol/l zu halten. Die Allopurinoldosis kann dazu sehr hoch (bis 800 mg/Tag) gewählt werden («treat to target»).
Der Barrett-Ösophagus (BO) entsteht durch gastroösophagealen Reflux und ist eine Präkanzerose des Adenokarzinoms (AK). Kann eine chirurgische Refluxsanierung die Entstehung eines AK aus einem BO verhindern? In einer Kohorte von 33 939 Patientinnen und Patienten mit BO wurden 542 wegen Refluxbeschwerden operiert. Während einer Beobachtungsdauer bis zu 32 Jahren war die Häufigkeit einer AK-Entstehung nach Chirurgie höher als in der Protonenpumpenblocker-Kontrollgruppe (Hazard Ratio 1,9). Zudem nahm das Krebsrisiko über die Jahre im Vergleich zur Kontrolle weiter zu. Zur Krebsprophylaxe muss von einem chirurgischen Eingriff abgeraten werden. Nach wie vor gilt: BO regelmässig endoskopisch überwachen und Dysplasien rechtzeitig entfernen.
In China wurden in einer Phase-3-Studie intragastrische expandierbare Kapseln (IEK) auf ihre Wirkung, Gewicht abzunehmen, überprüft. Diese IEK enthalten circa 10 000 Hydrogel-Partikel, die durch Wasseraufnahme auf etwa 200 ml expandieren und so ein Sättigungsgefühl vermitteln. 280 Personen mit Body Mass Index von 24–40 kg/m2 wurden 1:1 randomisiert, entweder IEK oder Placebo über 24 Wochen 2×/Tag einzunehmen. Die Einnahme erfolgte jeweils 30 min vor dem Mittag- und Abendessen mit 500 ml Wasser. In der IEK-Gruppe wurden eine signifikant bessere Gewichtsreduktion von −4,9% des Ausgangsgewichtes und Verkleinerung des Bauchumfanges von −5,6 cm erzielt. Die Nebenwirkungen waren mild ohne signifikanten Unterschied gegenüber der Placebogruppe.
Das Behçet-Syndrom (BS) ist eine rezidivierende, multisystemische, chronisch-entzündliche Erkrankung, die zwischen 15–45 Jahren auftritt und Frauen und Männer gleich häufig befällt.
Die Entstehung des BS ist mit dem HLA-B*51-Subtyp assoziiert. Zahlreiche Trigger (z.B. veränderte Darm- und Mundflora) lösen eine systemisch-entzündliche Reaktion aus, die durch Th1- und Th17-T-Lymphozyten sowie zytotoxische CD8+- und Killerzellen aufrechterhalten wird.
Die Prävalenz ist in der Türkei mit 420 Fällen pro 100 000 Personen am höchsten. In Europa ist sie deutlich tiefer (<10/100 000).
Am häufigsten präsentieren sich rezidivierende Aphthen der Mundhöhle, Ulzera an Labien oder Skrotum und akneähnliche Läsionen der Haut. Bei Hautbiopsien sind perivaskuläre Infiltrate von Neutrophilen und Lymphozyten typisch.
Arthralgien der Knie-, Fuss- und Handgelenke und Ellbogen sowie ein Augenbefall, meist eine Panuveitis beidseits, kommen in rund der Hälfte der Fälle vor.
Vaskuläre Phänomene umfassen Thrombophlebitiden, tiefe Venenthrombosen, Thrombosen der Zerebralvenen sowie arterielle Aneurysmen und Thrombosen.
Zum neurologischen Befall gehören die Retrobulbärneuritis, Hirnnervenlähmungen und entzündliche Läsionen in Hirnstamm oder Basalganglien.
Es gibt keinen diagnostischen Test. Die klinische Präsentation mit der Kombination verschiedener typischer Manifestationen ist entscheidend. Eine unterstützender Punkte-Score existiert dazu. Der Pathergietest hat an seiner Bedeutung verloren.
Die Therapie für leichteren Befall (Haut/Schleimhaut) erfolgt mit Colchicin. Bei Augen-, Gefäss- und Zentralnervensystembefall sind Glukokortikoide und Immunsuppressiva indiziert. Ob venöse Thrombosen antikoaguliert werden sollen, ist unklar.
Bekannt ist: Die Dosis von Apixaban muss bei chronischer Nierenkrankheit (CKD) mit Kreatininwert von ≥132 µmol/l angepasst werden, wenn zusätzlich ein weiteres Kriterium (Alter ≥80 Jahre, Körpergewicht ≤60 kg) vorliegt. Bei der Indikation venöse Thromboembolie wird in keinem Fall eine Anpassung empfohlen.
Unklar ist jedoch die korrekte Dosis von Apixaban und anderen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) bei akuter Nierenschädigung (AKI). Aus Registerdaten ist bekannt, dass Off-Label-Anpassungen der Dosis in der Hälfte aller Verschreibungen vorkommen – in den allermeisten Fällen handelt es sich um Unterdosierungen. Dies führt zu einem fünffach erhöhten Risiko für zerebrovaskuläre Insulte respektive zu einer signifikant erhöhten Rate thromboembolischer Ereignisse (Hazard Ratio [HR] 1,2). Die eigentliche Intention dieser Dosisanpassung, nämlich das Verhindern von grösseren Blutungsereignissen, wird aber verfehlt (HR 1,0)!
Die Sicherheit und Wirksamkeit von Apixaban in einer Standarddosis ist bei Patientinnen und Patienten mit CKD gut belegt. Für die AKI gibt es hingegen nur wenig Daten. Die Empfehlungen werden aus retrospektiven Daten und Studien zu CKD abgeleitet. Diese bestätigen Sicherheit und Wirksamkeit der Standdarddosis gegenüber der althergebrachten oralen Antikoagulation bis zu einer glomerulären Filtrationsrate von 25 ml/min. Selbst bei abnehmender Nierenfunktion besteht mit der Standdardosis ein besseres Nutzen-Risiko-Profil.
Die aktuelle Datenlage unterstreicht die gängige Praxis. Zusammenfassend lässt sich festhalten: 1. zur korrekten Apixabandosis sind Indikation, Baseline-Kreatinin, Gewicht und Alter zu berücksichtigen; 2. eine Dosisreduktion (konkret: 2× 2,5 mg) nur bei Indikation Vorhofflimmern und Vorliegen von ≥2 Kriterien vornehmen; 3. keine Dosisanpassung bei venöser Thromboembolie; 4. keine routinemässige Dosisreduktion bei AKI; 5. bei potentieller Interaktion (Komedikation mit P-Glykoprotein- und CYP3A4-Hemmern, z.B. Itraconazol) lohnt es sich, die Kolleginnen und Kollegen der klinischen Pharmakologie beizuziehen.
Das fundamentale Prinzip in der Medizin – als Tätigkeit und als Ziel! – ist die Diagnosestellung. Dieser iterative Prozess basiert auf Anamnese, körperlicher Untersuchung und weiteren Tests: Labor, Bildgebung, Spezialuntersuchungen. Der Gebrauch dieser Modalitäten ist so hoch wie nie zuvor. Die Anzahl von Fehldiagnosen hat sich darunter aber kaum verbessert. Gemäss Schätzungen unterläuft jährlich bei rund 5% der Erwachsenen ein diagnostischer Fehler [1]. Häufig passieren diese Fehler, wenn die korrekte Diagnose gar nicht erst in Betracht gezogen wird.
Werden hier künftig grosse Sprachmodelle (Large Language Models [LLM]) eine Rolle spielen? LLM werden mit einer Unmenge von Textkomponenten so trainiert, dass sie Texte selbständig erkennen, zusammenfassen oder auch neu erstellen. In einer elegant konzipierten Studie – publiziert als Preprint [2] – wurden die diagnostischen Fähigkeiten von LLM anhand von >300 Fallberichten aus dem New England Journal of Medicine (Case Records) untersucht. Diese Fälle werden zweiwöchentlich als klinisch-pathologische Konferenz publiziert und von einer Expertenperson präsentiert: diese führt durch den Fall und formuliert eine Differentialdiagnose – die Diagnose wird am Schluss pathologisch bestätigt.
In der Studie analysierten 20 Klinikerinnen und Kliniker mit durchschnittlich 11,5 Jahren Berufserfahrung die entsprechenden Fallpräsentationen: zu zweit, jeweils randomisiert in eine Gruppe, die Zugang zum Internet und anderen medizinischen Nachschlagewerken hatte, und in eine zweite Gruppe, die zusätzlich von LLM assistiert wurde. Eine erste Liste von mindestens drei Differentialdiagnosen musste unmittelbar nach der Lektüre des Falles und vor Konsultation jeglicher Hilfsmittel erstellt werden. Auch LLM erstellte eine Liste – und übertraf hinsichtlich diagnostischer Treffsicherheit die Klinikerinnen und Kliniker deutlich (59,1 vs. 33,6%). Die Qualität der Diagnoselisten (das heisst: korrekte Diagnose enthalten, Brauchbarkeit und Umfang der Liste?) war im Vergleich der beiden Studienarme bei denjenigen Klinikerinnen und Klinikern höher, die durch LLM unterstützt wurden. Das Potential von LLM für ein exzellentes diagnostisches Reasoning und als Unterstützung bei der akkuraten Diagnosestellung – insbesondere bei komplizierten Fällen – ist riesig!
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