Eine seltene Ursache für Dyspnoe
Komplikation einer Vertebroplastie
Peer-review

Eine seltene Ursache für Dyspnoe

Der besondere Fall
Ausgabe
2024/25
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2024.1244988827
Swiss Med Forum. 2024;24(25):330-332

Affiliations
a Service de néphrologie, Réseau Hospitalier Neuchâtelois (RHNe), Neuchâtel
b Service des urgences, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne
c Service de chirurgie, Hôpital du Jura bernois (HJBE), Moutier

Publiziert am 19.06.2024

Hintergrund

Osteoporose ist eine Erkrankung, die aufgrund der Bevölkerungsalterung häufig auftritt und ein grosses Problem für die öffentliche Gesundheit darstellt. Zu den Komplikationen gehören Wirbelkörperfrakturen, die sich infolge der Schmerzen, die oftmals zu einer eingeschränkten Mobilität führen, auf die Lebensqualität und -erwartung auswirken [1].
Die Vertebroplastie und die Kyphoplastie sind heutzutage zwei gängige Techniken, die die wirksame Bekämpfung der durch eine Sinterung verursachten Schmerzen ermöglichen. Komplikationen sind selten. Allerdings kann gelegentlich Zement austreten, was zu asymptomatischen Läsionen des angrenzenden Gewebes, Nervenreizungen durch Wurzelkompression und pulmonaler Zementembolie führen kann [2]. In dem von uns vorgestellten klinischen Fall geht es um eine Patientin mit Dyspnoe, bei der einige Zeit zuvor eine Vertebroplastie durchgeführt worden ist.

Fallbericht

Anamnese

Die 72-jährige Patientin sucht die Notfallabteilung auf, weil sie an einem produktiven Husten leidet, der sich seit drei Tagen verschlechtert, ohne dass es zu einer Zunahme der Eiterbildung oder des Auswurfvolumens gekommen ist. Ausserdem berichtet sie über eine seit einigen Monaten bestehende Dyspnoe im Stadium 2 laut Klassifikation der «New York Heart Association» (NYHA). Sie leidet an einer pneumologisch regelmässig kontrollierten chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) im Stadium 2C gemäss Klassifikation der «Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease» (GOLD). Wegen einer Dekompensation der Lungenerkrankung wurde die Patientin bisher noch nicht stationär aufgenommen.
Nach zwei unprovozierten tiefen Venenthrombosen vor 6 respektive 13 Jahren und einer Lungenembolie, die vor 6 Jahren diagnostiziert wurde, erhält die Patientin eine Antikoagulation mit einem Faktor-Xa-Inhibitor.
Aufgrund einer Osteoporose mit mehreren Frakturen und osteoporotischen Sinterungen wurden Vertebroplastien der mittleren und unteren Brust- sowie der Lendenwirbelkörper (Th4–Th12 und L1–L5) durchgeführt, zuletzt rund 18 Monate zuvor (Abb. 1).
Abbildung 1: Computertomogramm der Lenden- (A) und Brustwirbelsäule (B), Sagittalschnitte: Vertebroplastien (*) der Wirbelkörper Th4–Th12 und L1–L5.

Status

In der Notfallabteilung ist die Patientin asthenisch mit Tachypnoe in Verbindung mit supraklavikulären Einziehungen. Die Sauerstoffsättigung bei Raumluft beträgt 80%. Hämodynamisch ist sie stabil und afebril. Bei der Auskultation der Lunge sind ein diffuses Pfeifen und ein basales Brummen auf der linken Seite festzustellen. Die übrige klinische Untersuchung ist unauffällig.

Befunde

Das Elektrokardiogramm weist nicht auf ein akutes Koronarsyndrom hin. Im Blutbild liegen die Leukozyten und das C-reaktive Protein im Normbereich. Die Blutgasanalyse ergibt eine globale respiratorische Insuffizienz.
Der Röntgen-Thorax zeigt ein Emphysem ohne Herde oder Anzeichen von kardialer Dekompensation. Die radiologische Abklärung wird durch eine Computertomographie des Thorax ergänzt, die ein mässiges Emphysem sowie Zementemboli in einer Segmentarterie des rechten Mittellappens und einer der basalen Segmentarterien des rechten Unterlappens ergibt (Abb. 2).
Abbildung 2: Computertomogramm des Thorax: A) Transversalschnitt: Zementembolus (Pfeil) in einer Segmentarterie des rechten Mittellappens; B) Sagittalschnitt: Zementemboli in einer Segmentarterie des rechten Mittellappens (*) und einer der basalen Segmentarterien des rechten Unterlappens (Pfeile).

Diagnose

Angesichts dieses klinischen Bilds werden zwei Differentialdiagnosen in Betracht gezogen: Exazerbation der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung mit einem von drei Anthonisen-Kriterien sowie Dyspnoe, die durch pulmonale Zementemboli verursacht ist.

Therapie

Wir behandeln die Patientin mit einer peroralen Kortikosteroidtherapie und Inhalationen mit Budesonid, Ipratropiumbromid und Salbutamol. Ausserdem erhält sie eine nichtinvasive Beatmung und Atemphysiotherapie.

Verlauf

Mit einer für die Exazerbation einer COPD optimalen Behandlung ist der Verlauf nur teilweise günstig, da die Patientin bei Belastung weiterhin unter Dyspnoe leidet mit einer niedrigen Sauerstoffsättigung von bis zu 80% bei Raumluft. In diesem Zusammenhang ergänzen wir die Untersuchungen durch eine transthorakale Sonographie. Diese ergibt eine pulmonale Hypertonie (35 mm Hg) ohne Anzeichen einer Linksherzerkrankung. Die letzte Echokardiographie, die fünf Jahre zuvor durchgeführt wurde, ergab einen pulmonalarteriellen Druck von 25 mm Hg. Als wahrscheinlichste Ursache der Symptome unserer Patientin vermuten wir folglich die Zementemboli.

Diskussion

Die Vertebroplastie wurde 1984 entwickelt, um durch die Konsolidierung destruktiver Wirbelsäulenläsionen eine schmerzlindernde Wirkung zu erzielen. Die Indikationen, die zunächst auf Knochenveränderungen infolge aggressiver vertebraler Angiome ausgerichtet waren, wurden später auf andere Erkrankungen ausgeweitet, die die Wirbelkörper angreifen, etwa Osteoporose und Knochenmetastasen [1]. Die Methode besteht in der perkutanen Injektion von Polymethylmethacrylat (PMMA) in den betroffenen Wirbelkörper mittels einer oder zweier Knochenbiopsienadeln. Das Verfahren wird unter Fluoroskopie durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Nadeln nicht im Venensystem platziert sind. Die Vertebroplastie behandelt nicht die Wirbeldeformation und die damit verbundene Morbidität und erfordert einen hohen PMMA-Injektionsdruck mit dem Risiko einer Leckage.
Die Kyphoplastie ist eine von der Vertebroplastie abgeleitete Technik, bei der ein Ballon unter radiologischer Kontrolle in den Wirbelkörper eingeführt wird. Durch Aufblasen des Ballons wird die Spongiosa verdichtet, sodass der gebrochene Wirbelkörper wieder aufgerichtet werden kann. In der Regel werden zwei Ballons verwendet, die eine gewisse Korrektur der kyphotischen Verformung ermöglichen, indem sie den gebrochenen Wirbel wieder ausdehnen. Der von den Ballons geschaffene Hohlraum erleichtert die Injektion von PMMA unter niedrigem Druck. Dies führt zur besseren Stabilisierung des Wirbelkörpers [3], die Injektion von PMMA bei niedrigem Druck verringert das Risiko von Zementemboli, die bis in die Lunge gelangen können [4].
Das Austreten von Zement ist die häufigste Komplikation der perkutanen Vertebro- und Kyphoplastie. Als Folge können eine asymptomatische Schädigung des angrenzenden Gewebes, Radikulalgie durch Kompression der Nervenwurzeln sowie pulmonale Zementembolien auftreten. Es wird angenommen, dass Zementemboli in vielen Fällen unentdeckt bleiben, wobei das Lungenembolierisiko zwischen 3,5 und 23% schwankt. Bei der Vertebroplastie ist dieses Risiko höher als bei der Kyphoplastie [2]. Tumorläsionen wie das multiple Myelom erhöhen das Risiko aufgrund der häufigeren kortikalen Zerstörung des Wirbelkörpers und der erhöhten Vaskularisierung. Eine Studie, bei der die Röntgenaufnahmen von 64 Patientinnen und Patienten mit multiplem Myelom nach Vertebroplastie analysiert wurden, zeigte bei 4,6% der Studienpopulation asymptomatische Zementemboli [5]. Vertos II, eine multizentrische, prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie, ergab bei Personen, die einer Vertebroplastie unterzogen worden waren, eine Inzidenz von Zementemboli von 26%. Alle Patientinnen und Patienten waren asymptomatisch [6]. Drei Studien, bei denen Personen mit diagnostizierter pulmonaler Zementembolie langfristig beobachtet wurden (5 Jahre bzw. 1 Jahr), ergaben, dass die Mehrheit asymptomatisch blieb [7, 8].
In symptomatischen Fällen entspricht das klinische Bild jenem einer Thromboembolie, das heisst unter anderem Dyspnoe, Husten, retrosternale Schmerzen und Hämoptyse. Die Symptome treten in den Tagen oder Wochen nach dem Eingriff auf und können sich sogar während des Eingriffs manifestieren. Es wurden auch Fälle beschrieben, in denen die Symptome erst Monate oder gar Jahre später auftraten [9]. In einigen berichteten Fällen von verzögerten Symptomen und Diagnosen betrug das Intervall nach dem Eingriff zwei bis fünf Jahre [10, 11].
Bei asymptomatischen Personen mit peripher-pulmonaler Zementembolie wird ausser der klinischen Überwachung keine Behandlung empfohlen. Bei symptomatischer oder zentraler Embolie sollte eine anfängliche Antikoagulation mit intravenösem Heparin und anschliessend eine Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten für sechs Monate eingeleitet werden. Lediglich in seltenen Fällen von zentraler Lungenembolie ist eine chirurgische Embolektomie angezeigt [2].
Wir haben in der Fachliteratur keine Studien oder klinischen Fälle gefunden, in denen über eine pulmonale Hypertonie infolge von Zementemboli berichtet wurde. Angesichts des klinischen Bildes vermuten wir jedoch, dass die respiratorischen Symptome unserer Patientin eine Folge der durch die Zementemboli verursachten pulmonalen Hypertonie waren. Wir folgten bei der Behandlung den Empfehlungen der Fachliteratur: Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin und anschliessend mit einem Cumarin-Derivat über einen längeren Zeitraum aufgrund der Vorgeschichte der Patientin.
Laut Fremdanamnese, die ein Jahr nach der Behandlung beim Hausarzt erhoben wurde, berichtete die Patientin nicht mehr über Atembeschwerden. Da keine Indikation vorlag, wurde keine erneute transthorakale Sonographie durchgeführt, es wäre jedoch interessant gewesen, die Entwicklung der pulmonalen Hypertonie zu beobachten.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Die am häufigsten auftretenden Erkrankungen, die Dyspnoe verursachen, sind Asthma, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Herzinsuffizienz, myokardiale Ischämie, körperliche Dekonditionierung und Pneumonie.
  • Die pulmonale Zementembolie ist eine bekannte Komplikation der Vertebroplastie und der Kyphoplastie. Die meisten Patientinnen und Patienten sind asymptomatisch und aufgrund eines fehlenden Konsenses hinsichtlich des Screenings nach dem chirurgischen Eingriff bleibt diese Komplikation unterdiagnostiziert. Die langfristigen Auswirkungen sind noch nicht ausreichend bekannt.
  • Über pulmonale Hypertonie infolge von Zementemboli liegen keine Studien vor, da die Zahl symptomatischer Patientinnen und Patienten gering ist.
  • Das Ziel dieser Fallpräsentation ist es, Ärztinnen und Ärzte für diese Komplikation zu sensibilisieren, deren Symptome auch erst verzögert auftreten können.
Cyril Derouet, dipl. Arzt Service de néphrologie, Réseau Hospitalier Neuchâtelois (RHNe), Neuchâtel
Cyril Derouet
Service de néphrologie
Réseau Hospitalier Neuchâtelois
Rue de la maladière 45
CH-2000 Neuchâtel
cy.derouet[at]gmail.com
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Verdankung
Die Autorin und die Autoren danken Dr. Paul Martinez (Radiologie, Hôpital du Jura bernois, Standort Moutier) herzlich für das Gegenlesen und die Befundung der Radiologie-Bilder.
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Die Autorin und die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.

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