Ein Vater bringt nach Jahresbeginn seinen 2-jährigen Buben zum Arzt, um eine runde, randbetonte Rötung am Rücken zu zeigen, die bereits 25 cm Durchmesser hat. Die Mutter hat am 2. Weihnachtstag eine dicke Zecke entfernt. Zweifellos liegt ein Erythema chronicum migrans vor. Die Zecke stammt vom Christbaum, unter den der Bub mehrmals gekrochen ist. Der Vater ist erbost. Beim Kauf habe man Anspruch auf einen Zecken-freien Christbaum. Er meldet dies dem Verkäufer, der ihm sofort den Preis zurückerstattet. Der Vater ist Jurist. Der Bub wird wieder gesund [1]. Und wir lernen, dass auch nach Weihnachten akute Lyme-Erkrankungen auftreten können, die durch Zecken vom Weihnachtsbaum übertragen werden, die in der warmen Stube aus ihrem Kälteschlaf erwacht sind [2].
«Mit den Tannenbäumen begann es» heisst es in einer Weihnachtserzählung bei Walter Benjamin [1]. Dies trifft bisweilen auch auf die Osteoporose zu. Die Vortestwahrscheinlichkeit für eine Osteoporose nimmt mit dem Vorliegen eines Tannenbaumphänomens nämlich zu: Bei fast der Hälfte der Frauen >80 Jahre finden sich klinisch okkulte Wirbelkörperfrakturen. Diese Kompressionsfrakturen führen zu einem Verlust der Körpergrösse; eine Abnahme um >4 cm wiederum ist suggestiv für das Vorliegen von Wirbelkörperfrakturen [2]. Die Haut über dem Rücken verläuft dann in Falten von der Mitte nach aussen und abwärts – wodurch sie einem Tannenbaum gleicht. Zur Prävalenz dieses klinischen Zeichens bei der Osteoporose ist nichts bekannt.
Der Kometenschweif findet sich als computertomographisches Zeichen im Lungenparenchym. Es beschreibt eine kurvilineare Opazität aus verdrehten Bronchien und Blutgefässen, die von einer subpleuralen Raumforderung – in der Regel einer Rundatelektase – zum ipsilateralen Hilus zieht. Rundatelektasen werden in erster Linie im Zusammenhang mit einer pulmonalen Asbestexposition beobachtet, seltener auch postspezifisch nach Tuberkulose, bei Lungeninfarkt und Pleuraergüssen. Diese Rundatelektase zieht den Schweif nach sich durch den dunkleren Hintergrund des Lungenparenchyms wie der Halleysche Komet durch die Nacht über dem Stall von Bethlehem.
Bei der Psoriasis finden sich scharf begrenzte, erythematöse Plaques und eine charakteristische silberglänzende Schuppung mit talgartiger Konsistenz. Die Diagnose kann durch diese typische Morphologie und eine familiäre Häufung meist gestellt werden. Zusätzliche diagnostische Hinweise geben diverse Kratzphänomene, unter anderem das Kerzenwachsphänomen («candle wax spot sign», «signe de la tache de bougie»). Dieses bezeichnet die helle Aufrauung der parakeratorischen Hornschicht, wenn sie mit einer Kürette bestrichen wird: die Schuppung lässt sich dann wie Wachs abschilfern – ähnlich, wie wenn man mit dem Fingernagel in einem erkalteten Kerzentropfen auf dem Tischtuch kratzt.
Dermatologie. Thieme: 2003, ISBN 3-13-126685-6
Schneegestöber
Snow-Syndrom
Das visuelle Snow-Syndrom äussert sich als Wahrnehmung sich bewegender Punkte im gesamten Gesichtsfeld, die wie ein «Schneegestöber» das klare Bild trüben und dem Syndrom den Namen gaben [1]. Es ist bilateral, persistiert, auch bei Dunkelheit und geschlossenen Augen. Phänomene wie Lichtempfindlichkeit, schlechte Nachtsicht, Nachbilder und farbige Lichtblitze begleiten es. Die Ursache ist ungeklärt, das Syndrom wird aber von einer Migräne-Aura abgegrenzt [2]. Da Halluzinogene persistierende visuelle Wahrnehmungsstörungen verursachen können, gehören diese zur wichtigsten Differentialdiagnose [1]. Zur Behandlung wird Lamotrigin versucht, doch sind pharmakologische Therapien leider meist frustran.
Hämophilie B ist eine hereditäre Koagulopathie aufgrund einer Genmutation im Faktor IX der Gerinnungskaskade. Sie ist wesentlicher seltener als die Hämophilie A und wurde erst 1952 als eigene Entität entdeckt – und in der Weihnachtsausgabe (!) des British Medical Journal publiziert [1]: «The condition described in these seven patients – Christmas disease – resembles haemophilia so closely that until recently cases of the disease were undoubtedly classified as haemophilia.»
Die Krankheit ist nach dem ersten Patienten der Fallserie (Stephen Christmas) benannt. Stephen Christmas wiederum verstarb mit nur 46 Jahren – ironischerweise wenige Tage vor Weihnachten – an AIDS, angesteckt durch seine Behandlung mit Blutprodukten [2].
Zum Weihnachtsmahl wird häufig ein feiner Rotwein serviert. Warum gibt es Personen, die bereits nach geringen Mengen Rotwein über Kopfschmerzen klagen?
Es ist bekannt, dass Azetaldehyd, das erste Abbauprodukt von Ethanol, bei Genuss von grossen Mengen Alkohol relativ langsam abgebaut wird, akkumuliert und dadurch Kopfweh verursacht – dies sowohl bei Rot- als auch bei Weisswein. Kürzlich wurde entdeckt, dass im Rotwein Quercetin und sein Metabolit, Quercetin-3-Glucuronid, in viel höheren Mengen als im Weisswein vorkommen. Man konnte zeigen, dass die hohen Konzentrationen von Quercetin-3-Glucuronid den Abbau von Azetaldehyd hemmen. Dadurch akkumuliert Azetaldehyd bereits nach wenig Rotwein, was erklärt, weshalb empfindliche Personen bereits beim Weihnachtsessen über Kopfschmerzen klagen.
Gicht, die Krankheit der Könige … Schon lange nicht mehr: Gicht ist als Wohlstandskrankheit in allen Bevölkerungsschichten angekommen und ihre Inzidenz ist signifikant mit dem Vorliegen eines metabolischen Syndroms und mit Alkoholkonsum assoziiert [1]. Über das allfällige Vorhandensein einer Gicht bei den drei Königen, die wir aus der Weihnachtsgeschichte kennen, berichtet der Evangelist – sie kommen nur bei Matthäus vor als «magi ab oriente», als Magier, Zauberer, Sterndeuter aus dem Morgenland [2] – nichts. Als Geschenke bringen sie dem Christkind Weihrauch, Gold und Myrrhe. Gold wird zur Therapie der Gicht vor allem bei Hildegard von Bingen erwähnt. Aufgrund entzündungshemmender Eigenschaften wurden Goldverbindungen aber auch über viele Jahre als Basistherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eingesetzt.
Während eines Jahres durften wir Sie nun im Journal Club des Swiss Medical Forum begleiten. Anfänglich «kurz und bündig» in den Fussstapfen von Reto Krapf, anschliessend eigenständig mit «weekly briefing». Wir haben uns sehr bemüht, Aktuelles, Informatives, Praktisches, Überraschendes, Altbekanntes und Ungewöhnliches zu mischen und verständlich in Kurzform zu übermitteln. Wir hoffen, dass wir mit unserem Format und unserer Auswahl Ihren Ansprüchen gerecht wurden. Bitte lassen Sie uns Ihre Meinung dazu wissen (office[at]medicalforum.ch)!
Mit dieser Spezialausgabe zu einer Selektion weihnachtlicher Eponyme und Phänomene in der Medizin wünschen wir Ihnen eine herrliche Festtagszeit und ein aufregendes Neues Jahr 2024!
Mit der Kommentarfunktion bieten wir Raum für einen offenen und kritischen Fachaustausch. Dieser steht allen SHW Beta Abonnentinnen und Abonnenten offen. Wir publizieren Kommentare solange sie unseren Richtlinien entsprechen.
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