Exotische Ursache einer Uveitis
Oft unbemerkt
Peer-review

Exotische Ursache einer Uveitis

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2023/45
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.1137076942
Swiss Med Forum. 2023;23(45):1426-1429

Affiliations
a Département de médecine interne, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne
b Hôpital ophtalmique Jules-Gonin, Université de Lausanne, Lausanne

Publiziert am 08.11.2023

Fallbeschreibung

Eine 53-jährige Patientin, bei der eine Adipositas, Hypercholesterinämie und Steatosis hepatis bekannt sind, wird von der ophthalmologischen Abteilung zur weiteren Behandlung überwiesen, da sich eine seit 2014 bestehende beidseitige Panuveitis (mit Gelenkschmerzen als extraokulärem Symptom) verschlimmert hat. Die Patientin sucht ärztlichen Rat wegen einer weiteren Verschlechterung der Sehschärfe des rechten Auges seit fünf Tagen sowie der Wahrnehmung eines schwarzen Schleiers, der die Sicht beeinträchtigt. Die Patientin berichtet von einer seit mehreren Monaten bestehenden ungewöhnlichen Kraftlosigkeit, verbunden mit nächtlichen Schweissausbrüchen ohne Fieber und einem ungewollten Gewichtsverlust von etwa 10 kg innert eines Monats. Sie beklagt nicht pulsierende Kopfschmerzen, Schmerzen bei der Palpation der Schläfenarterien, Hypakusis, Tinnitus und orthostatischen Drehschwindel mit leichten präsynkopischen Symptome. In Bezug auf die Gelenke beschreibt die Patientin chronische und stabile diffuse Schmerzen mit einer Schwellung hauptsächlich im Bereich der Metakarpophalangeal- und proximalen Interphalangealgelenke auf beiden Seiten. Diese Schmerzen würden ihren Schlaf beeinträchtigen und sich bei Mobilisierung verschlimmern. An der Haut der oberen Gliedmassen bemerkte die Patientin vor drei Monaten depigmentierte Stellen (Abb. 1).
Abbildung 1: Depigmentierte Stellen an der Hand vom Typ Vitiligo. Ein schriftlicher Informed Consent zur Publikation liegt vor.
Die Ergebnisse der ophthalmologischen Untersuchung sind in Abbildung 2 dargestellt.
Abbildung 2: Augenhintergrund mit Depigmentierung (A) und Aufnahmen der optischen Kohärenztomographie, die die massive Verdickung der Choroidea (B) und ein Ödem zeigen (C).
Frage 1
Welches der folgenden Elemente ist nicht hilfreich, um die Ätiologie einer Uveitis zu bestimmen?
a) Lokalisation der Uveitis (Uveitis anterior, intermedia, posterior oder Panuveitis)
b) Vorhandensein von Granulomen
c) Koinfektion mit SARS-CoV-2
d) Gleichzeitig vorliegende Hinweise auf eine systemische Erkrankung
e) Frühere Augenverletzungen oder -operationen
Eine Uveitis ist eine Entzündung der Uvea, die die Iris, den Ziliarkörper und die Choroidea umfasst. Es handelt sich um eine klinische Entität, die in der Ophthalmologie häufig vorkommt und ein breites ätiologisches Spektrum aufweist, das von einer infektiösen oder entzündlichen Ursache bis zu Autoimmun- oder systemischen Erkrankungen reichen kann. Die Augensymptome variieren je nach Lokalisation und Schwere der Entzündung. Die Uveitis äussert sich durch Augenschmerzen, Rötung, Photophobie und vermindertes Sehvermögen. Die ophthalmologische Differentialdiagnose ist je nach klinischem Bild breit gefächert und umfasst beispielsweise Keratitis, ein akutes Winkelblockglaukom oder ein intraokuläres Lymphom.
Mittels Spaltlampenuntersuchung und Ophthalmoskopie lässt sich die Uveitis nach ihrer anatomischen Lokalisation (anterior, intermedia, posterior oder Panuveitis), dem Typ der Entzündung (granulomatös oder nicht) (Tab. 1) sowie dem Vorhandensein spezifischer Anzeichen (Morphologie der Läsion) klassifizieren, um so Hinweise auf die Ätiologie zu erhalten. Traumatische und iatrogene Ursachen nach Augenoperationen müssen ausgeschlossen werden, bevor nach einer mit einer systemischen oder infektiösen Erkrankung assoziierten sekundären Uveitis gesucht wird.
Für im Spital tätige Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner sowie Internistinnen und Internisten ist es wichtig, die extraokulären Elemente zu erkennen, die eine Differentialdiagnose ermöglichen, um die Untersuchungen in die richtige Richtung zu lenken. Diese extraokulären Manifestationen können unbemerkt bleiben und zu einer verzögerten Diagnose führen.
Nach einer infektiösen Ursache, insbesondere Tuberkulose, Syphilis oder Herpes, muss aktiv gesucht werden (Tab. 1).
Bei Gelenkmanifestationen, die mit einer Uveitis einhergehen, sollten axiale oder periphere Spondylarthropathien (Morbus Bechterew, Psoriasis-Arthritis, chronisch-entzündliche Enteropathien, reaktive Arthritis oder juvenile Spondyloarthritis) in Betracht gezogen werden (Tab. 1).
Schliesslich kann eine uveitisartige Augenerkrankung auch im Rahmen von Multisystem- oder Autoimmunerkrankungen auftreten (Sarkoidose, Morbus Behçet, idiopathische juvenile Arthritis, retinale Vaskulitis, Polychondritis, Multiple Sklerose).
Bei unserer Patientin wird eine beidseitige, nicht granulomatöse Panuveitis festgestellt.
Frage 2
Welche Differentialdiagnose sollte angesichts des klinischen Bildes der Patientin erwogen werden?
a) Paraneoplastisches Syndrom
b) Spondylarthropathie
c) Autoimmunkrankheiten des Bindegewebes (systemischer Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis, Sklerodermie)
d) Infektiöse Ursache (Toxoplasmose, Syphilis, Herpes-simplex-Virus 1 oder 2, Zytomegalievirus, Epstein-Barr-Virus)
e) Alle vorgeschlagenen Antwortmöglichkeiten
Bei einer 2015 durchgeführten Untersuchung konnte der zugrunde liegende Ursprung dieser chronischen, beidseitigen Panuveitis nicht gefunden werden, seither sind allerdings weitere Symptome aufgetreten. Zur entzündlichen Augenerkrankung kommen nun auch extraokuläre Symptome hinzu, nämlich kutane und otorhinolaryngologische (Hypakusis, Tinnitus, Schwindel), weshalb eine möglicherweise zugrunde liegende systemische Erkrankung in Betracht gezogen werden muss.
Die Blutuntersuchung zeigt kein Entzündungssyndrom und ergibt für das C-reaktive Protein (CRP) einen Wert von 10 mg/l (Norm: <10 g/l) und eine Leukozytenzahl von 9,7 G/l (Norm: 4–10 G/l). Ausserdem verlaufen auf infektiologischer Ebene die serologischen Tests auf das humane Immundefizienz-Virus (HIV), Virushepatitiden, Lyme-Borreliose, Bartonella und Syphilis negativ. Der übrige serologische Befund ist mit einer früheren Toxoplasmose, Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), Zytomegalievirus (CMV), Varizella-Zoster-Virus (VZV) sowie einer Reaktivierung des Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1) vereinbar. Der Tuberkulosetest verläuft negativ.
Die Tests auf den Rheumafaktor, antinukleäre Antikörper (ANA) und antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA) erweisen sich als negativ.
Die Abklärungen werden mit der Durchführung einer Thorax-Abdomen-Becken-Computertomographie ergänzt, die keine Hinweise auf eine neoplastische Erkrankung oder verdächtige Lymphknotenschwellungen ergibt.
Bei einer Konzentration des Angiotensin-Converting-Enzyms von 19,3 nmol/ml/min (Norm: 8,5–25 nmol/ml/min), einem Kalziumspiegel im Normbereich und fehlendem Nachweis von Lymphknotenschwellungen im Computertomogramm erscheint eine Sarkoidose unwahrscheinlich, ebenso wie ein Morbus Behçet, da keine Aphtose, Pseudofollikulitis und kein Pathergiephänomen vorliegen.
Eine demyelinisierende Erkrankung, die mit Uveitis einhergehen kann, wird durch eine zerebrale Magnetresonanztomographie (MRT) ausgeschlossen, die keine verdächtigen Läsionen oder Hinweise auf eine Enzephalitis oder Vaskulitis ergibt.
Angesichts des klinischen Bildes der Patientin müssen alle vorgeschlagenen Ätiologien in Betracht gezogen werden.
Frage 3
Welche Untersuchung ist in dieser Phase am wenigsten angezeigt?
a) Biopsie einer Hautläsion
b) Lumbalpunktion
c) Arthrographie
d) Sonographie der Temporalarterien
e) Positronen-Emissions-Tomographie/Computertomographie (PET-CT) des ganzen Körpers
Wir vervollständigen die Abklärung durch eine Lumbalpunktion. Sie ergibt eine Pleozytose mit einem Leukozyten-Wert von 10 × 106/l (Norm: 0–4 × 106/l) und einer Lymphozyten-Prädominanz in Verbindung mit einer erhöhten Proteinkonzentration (548 mg/l, Norm: 150–450 mg/l). Der Test auf die üblichen Meningoenzephalitis-Keime verläuft negativ. Die Patientin wird dermatologisch untersucht und eine Hautbiopsie bestätigt den klinischen Verdacht auf Vitiligo. Angesichts der diffusen Arthralgien ergeben eine iliosakrale MRT und eine Röntgenaufnahme der Knie keine Zeichen, die auf eine entzündliche Schädigung des Bewegungsapparats hindeuten. Der HLA-B27-Test ist ebenfalls negativ.
Aufgrund der Hyperästhesie der Kopfhaut und der Schmerzen bei der Palpation der Temporalarterien wird die Diagnose einer Riesenzellarteriitis erwogen. Dies veranlasst uns zur Durchführung einer Dopplersonographie der Temporalarterien, deren Ergebnis indes im Normbereich liegt.
Angesichts dieses Bildes, das eine beidseitige Panuveitis, neurologische und kutane Symptome umfasst, wird das Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom (VKH) in Betracht gezogen. Da die Patientin die 2001 überarbeiteten Kriterien der Amerikanischen Uveitis-Gesellschaft (Tab. 2) [2] erfüllt, wird diese Erkrankung in ihrer kompletten Form diagnostiziert.
Frage 4
Welche Behandlung ist in dieser Situation am besten geeignet?
a) Orale Kortikosteroide und Methotrexat
b) Orale Kortikosteroide und Antikörper gegen den Tumornekrosefaktor-α (Anti-TNF-α)
c) Orale Kortikosteroide
d) Orale Kortikosteroide und Tocilizumab
e) Intravenöse Kortikosteroide
Es wird eine hochdosierte Kortikosteroidtherapie mit Methylprednisolon (1 g/Tag für drei Tage) begonnen, die dann durch Prednison in einer Dosierung von 1 mg/kg/Tag abgelöst wird. Der Verlauf ist gekennzeichnet durch die Verbesserung der Sehschärfe am rechten Auge und das beinahe vollständige Abklingen der neurologischen Symptome (Tinnitus und Schwindel).
Frage 5
Welche Aussage über das VKH-Syndrom ist nicht richtig?
a) Es handelt sich um eine Panuveitis oder granulomatöse Uveitis posterior.
b) Der Verlauf der Krankheit wird üblicherweise in vier Stadien eingeteilt (Prodromalstadium, akut uveitisches Stadium, chronisch uveitisches Stadium, chronisch-rezidivierendes Stadium).
c) Die Krankheit ist vor allem bei älteren Männern prävalent.
d) Häufig assoziierte Komplikationen sind: Glaukom, Katarakt und choroidale Neovaskularisation.
e) Eine ophthalmologische Untersuchung reicht nicht aus, um eine komplette Form zu diagnostizieren.

Diskussion

Das VKH-Syndrom ist eine seltene systemische Erkrankung, die melaninhaltiges Gewebe etwa der Augen, des Innenohrs, der Hirnhaut und der Haut betrifft. In ihrer kompletten Form ist sie durch eine nicht infektiöse und nicht traumatische, chronische, beidseitige Panuveitis gekennzeichnet, die mit mehreren extraokulären Manifestationen (auditiv, neurologisch, kutan) einhergeht. Die okuläre Form ist durch alleinige Augensymptome geprägt. Bei der inkompletten Form geht die beidseitige Augenerkrankung mit kutanen oder neurologischen respektive auditiven Symptomen einher [1].
Die Krankheit tritt häufiger bei Menschen asiatischer Herkunft und Frauen im Alter von 20–50 Jahren auf.
Ätiologie und Pathogenese sind derzeit noch ungeklärt, es wird jedoch vermutet, dass eine Autoimmunreaktion gegen Melanozyten eine Rolle spielt, begünstigt durch eine Infektion bei genetisch prädisponierten Personen [3].
Der Krankheitsverlauf ist typischerweise durch vier Phasen gekennzeichnet (Tab. 3): 1. Prodromalstadium, 2. akut uveitisches Stadium, 3. Rekonvaleszenzstadium und 4. chronisch-rezidivierendes Stadium.
Die Prodromalphase dauert 3–5 Tage und kann grippale Symptome nachahmen. Die Betroffenen leiden vor allem an Kopfschmerzen, Übelkeit, Photophobie und Hörstörungen. Andere neurologische Symptome wie Hemiparese und bestimmte Schädigungen der Hirnnerven wurden ebenfalls berichtet. In diesem Stadium wird bei der Lumbalpunktion eine Pleozytose nachgewiesen, die bis zu zwei Monate lang beobachtet werden kann.
Das akut uveitische Stadium ist von einer verminderten Sehschärfe im Rahmen einer diffusen Chorioiditis gekennzeichnet und kann mehrere Wochen andauern. In diesem Stadium sind die okulären Symptome prägend (seröse Netzhautablösung und Chorioiditis).
Die dritte Phase – das Rekonvaleszenzstadium – erstreckt sich über mehrere Monate oder Jahre und ist durch Hautdepigmentierung vom Typ Vitiligo, Alopezie oder Poliosis charakterisiert.
Das chronisch-rezidivierende Stadium ist durch Panuveitis und Episoden von Uveitis anterior gekennzeichnet, die nicht auf Kortikosteroide ansprechen. Häufige Komplikationen sind Katarakt, Glaukom oder subretinale Fibrose [4].
Das Ziel der Behandlung besteht darin, die intraokuläre Entzündung zu verringern und einer Verschlechterung des Sehvermögens vorzubeugen. Die Behandlung der Wahl ist eine aggressive Kortikosteroidtherapie, die in der akuten Phase begonnen wird. Bei schweren Fällen werden Kortikosteroid-Boli in einer Dosierung von 1 g Methylprednisolon über 3–5 Tage verabreicht, anschliessend orale Kortikosteroide in einer Dosierung von 1–2 mg/kg/Tag. Die Behandlung sollte mindestens sechs Monate lang fortgesetzt werden. Wegen der manchmal schleichenden Verschlechterung der Sehschärfe ist jedoch eine engmaschige ophthalmologische Überwachung erforderlich [5].
Die wichtigsten Biologika, die derzeit bei einer Verschlechterung oder Fortdauer der Symptome trotz Kortikosteroidtherapie eingesetzt werden, sind monoklonale Antikörper wie Anti-TNF-α (Infliximab oder Adalimumab) oder Ciclosporin.
Für Ärztinnen und Ärzte ist es wichtig, gegenüber dieser Krankheit aufmerksam und sich ihrer bewusst zu sein, da die frühzeitige Diagnose in Verbindung mit einer angemessenen Behandlung zu einer vollständigen Genesung führen kann [4, 6].
Antworten
Frage 1: c. Frage 2: e. Frage 3: c. Frage 4: e. Frage 5: c.
Dr. med. Tomas Lesko Département de médecine interne, Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne
Die Autorinnen und Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. Tomas Lesko
Département de médecine interne
Centre hospitalier universitaire vaudois
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne
tomas.lesko454[at]gmail.com
1 Nissen M, Guex-Crosier Y. Prise en charge des uvéites non infectieuses liées à une maladie systémique: guide pour les praticien.s Rev Med Suisse. 2020;16:2059–73.
2 Russel W, Gary N, Narsing A, Howard H, Masahiku U. Revised diagnostic criteria for Vogt-Koyanagi – Harada disease :report of an international committee on nomenclature. Am J Ophtalmol. 2001;131:647–52,

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