Weekly Briefing
Journal Club CME Auf Symptome fokussieren!

Weekly Briefing

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2023/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09486
Swiss Med Forum. 2023;23(34):30-31

Affiliations
Wissenschaftliche Redaktion Swiss Medical Forum


Publiziert am 23.08.2023

Wertvoll

HIV-Übertragung bei diskordanten Paaren

Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) wurde überprüft bei 7762 serodiskordanten Paaren mit unterschiedlicher HI-Viruslast im Blut [1]. Das Resultat war überzeugend. Bei einer Viruslast <600 Kopien/ml fand keine Übertragung statt. Bei einer Viruslast <1000 Kopien/ml fanden zwei Transmissionen statt. Bei beiden war die Viruslast zum Infektionszeitpunkt aber vermutlich höher. Eine Infektion zwischen diskordanten Paaren trat nur auf, wenn die infizierte Person keine stabile Virus-Suppression aufwies. Unter Therapie und anhaltender Virus-Unterdrückung im Blut auf <1000 Kopien/ml ist das Risiko einer Ansteckung also praktisch Null. Die Botschaft ist wertvoll, aber nicht neu: Sie wurde bereits vor 15 Jahren in der SÄZ veröffentlicht [2](!).
2 Schweiz Ärzteztg. 2008, doi.org/10.4414/saez.
2008.13252
. Verfasst am 9.8.2023_MK

Memo

Methotrexat und Stomatitis

Zwei Patienten wurden wegen rheumatoider Arthritis und Psoriasis mit niedrig dosiertem oralen Methotrexat (MTX) 1×/Woche behandelt. Beide entwickelten eine schwere ulzeröse Stomatitis, welche die Nahrungsaufnahme verhinderte. Beide hatten nur eine leichte Neutropenie, die Polymerase-Kettenreaktions(PCR)-Tests für oralen Herpes simplex Typ 1 (HSV-1) waren positiv. Hierzu die wesentlichen Lernpunkte: 1. Eine Stomatitis kann jederzeit während einer MTX-Behandlung auftreten, 2. sie tritt dosisunabhängig auf, ist aber bei hoher Dosis häufiger, 3. sie ist das erste Zeichen einer MTX-Toxizität, unabhängig von einer Panzytopenie, 4. therapeutisch wird Leucovorin verabreicht, das zusätzlich eine Panzytopenie verhindert und 5. es empfiehlt sich, eine orale Reaktivierung von HSV mitzubehandeln, um eine Aggravierung zu verhindern.
Verfasst am 19.7.2023_MK

Fettleber

Neue Namen für Altbekanntes

Die Diagnose «nicht-alkoholische Fettleber» beruht auf einer Histologie mit makrovesikulärer Verfettung von >5% der Hepatozyten. Durch den Begriff werden die Mischformen mit der zusätzlichen Noxe Alkohol ausgeschlossen und der Begriff «fett» diskriminiert möglicherweise. Die Nomenklatur wurde deshalb angepasst. «Steatotic liver disease» (SLD) ist der Überbegriff für eine Fettleber unabhängig von der Genese. Mit Risikofaktoren wie Diabetes und Adipositas steht die Abkürzung «MASLD» für «metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease». Ist Alkohol ursächlich, gilt «alcohol related liver disease» (ALD). Die Mischformen von «metabolic» und «alcohol» werden mit «MetALD» («metabolic and alcohol related liver disease») bezeichnet. Dieser Konsensus dauerte drei Jahre und beschäftigte 236 Teilnehmende aus 56 Ländern.
Verfasst am 18.7.2023_MK
CME
Trigeminusneuralgie (tic douloureux)
Symptomatik: Unilaterale, wiederkehrende Schmerzattacken im Trigeminusareal, die abrupt auftreten, nach wenigen Sekunden (max. zwei Minuten) wieder sistieren und extrem schmerzhaft sind. Sie werden wie elektrische Schläge beschrieben. Manchmal begleiten faziale Spasmen die Schmerzattacken.
Epidemiologie: Die Inzidenz beträgt etwa 10 pro 100 000 Personen pro Jahr. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Das Alter liegt meist >50 Jahren.
Lokalisation: Rechts > links, sehr selten bilateral. Nervus trigeminus: maxillärer und mandibulärer Ast > ophthalmischer Ast.
Auslöser der Schmerzattacken: Bewegungen oder Berührungen im Gesichtsbereich: Essen, Trinken, Reden, Zähneputzen, Rasieren. Die Lebensqualität ist einschneidend reduziert.
Ätiologie: Meist bleibt die Ursache unklar. Grundsätzlich wird aber eine Kompression der Nervenwurzel durch die Arteria cerebelli superior vermutet, die mittels Magnetresonanztomographie (MRT) dargestellt werden kann. Selten liegt eine extrakranielle, tumorbedingte Kompression im Nervenverlauf vor. Auch eine Multiple Sklerose kommt infrage.
Diagnostik: Die Diagnose wird klinisch gestellt. Die klinische Untersuchung ist normal. Gelegentlich besteht eine Hyposensibilität im betroffenen Areal. Eine Bildgebung (MRT) ist zur Ursachenabklärung sinnvoll. Eine neurologisch-konsiliarische Mitbeurteilung ist initial zu empfehlen.
Therapie: In erster Linie werden Carbamazepin (anfänglich 200 mg, steigerbar bis 1200 mg/Tag) oder Oxcarbazepin (600–1800 mg/Tag) eingesetzt. Bei ungenügender Schmerzkontrolle wird die Therapie mit Lamotrigin oder Pregabalin oder Topiramat erweitert. Auch Baclofen (40–80 mg/Tag) kann versucht werden. Falls die medikamentöse Therapie versagt, kommen Botulinum-Injektionen und verschiedene chirurgische Interventionen infrage. Dabei ist die mikrovaskuläre Dekompression heute noch Goldstandard. Bei guter Schmerzkontrolle soll nach mehreren Wochen versucht werden, die Medikation zu reduzieren und zu sistieren. Rezidive sind nicht ungewöhnlich.
Verfasst am 8.8.2023_MK

Nach rekompensierter Herzinsuffizienz

Nutzlose Beobachtung der Diuretikastrategie

Nach erfolgreicher Behandlung einer akut dekompensierten Herzinsuffizienz wird die diuretische Therapie oralisiert, und dann im Spital die klinische Entwicklung über die nächsten Tage beobachtet. Beeinflusst diese Praxis die Diuretikadosierung bei Austritt? Reduziert sich dadurch die Rehospitalisationsrate? Weder noch! In dieser multizentrischen Kohortenstudie in einem Spitalnetzwerk mit viel klinischer Erfahrung in der Behandlung von Herzinsuffizienten korrelierte die Diuretikadosierung bei Spitalentlassung einzig mit der Dosis vor Spitaleintritt – nicht aber mit dem Gewichtsverlauf, dem effektiven Volumenstatus oder dem Urinoutput während der Beobachtungsphase nach Umstellung der intravenösen Schleifendiuretika auf eine orale Therapie. Auch die Rehospitalisationsrate nach 30 Tagen wurde nicht beeinflusst. Entgegen der gängigen klinischen Praxis scheint eine Beobachtungsperiode rekompensierter Herzkranken nach Umstellung auf eine orale diuretische Therapie keinen Nutzen zu bringen – sie verlängert nur die Hospitalisationsdauer.
Circulation. 2023, doi.org/10.1161/CIRCHEARTFAILURE.122.010206. Verfasst am 13.7.2023_HU

Neue Analgetika-Ära angebrochen?

Natriumkanal Nav1.8 selektiv inhibiert

Natrium(Na)-Kanäle in der Zellmembran von Muskel- und Nervenzellen ermöglichen den Influx von Na-Ionen. Periphere Nerven beginnen durch den Na-Einstrom zu «feuern» und senden den peripheren Schmerz zentralwärts. Gelingt es, diese Kanäle zu blockieren, wird der Schmerz gelindert. Na-Kanalblocker wie Carbamazepin oder Phenytoin sind wenig effizient, da sie nicht selektiv sind und wegen gleichzeitiger Blockade der Na-Kanäle von Muskeln und Gehirn zu wenig hoch dosiert werden können. Es existieren mindestens neun Subtypen von Na-Kanälen, drei davon im peripheren Nervensystem: Nav1.7, Nav1.8 und Nav1.9. Obwohl alle eine ähnliche Struktur haben, gelang es, einen gegen Nav1.8 hoch selektiven Inhibitor zu produzieren (VX548), der in Phase-II-Studien erfolgreich eingesetzt wurde. Man erwartet kaum Nebenwirkungen, kein Abhängigkeitspotential, Intensivierung in Kombination mit selektiven Nav1.7- und Nav1.9-Inhibitoren.
N Engl J Med. 2023, doi.org/10.1056/NEJMe2305708.
Verfasst am 9.8.2023_MK
Auf Symptome fokussieren!
Ankerheuristik und der diagnostische Prozess
Der diagnostische Prozess muss häufig mit begrenzten Informationen und in limitierter Zeit zu einem Ziel – zu einer Diagnose! – führen. Kognitive Verzerrungen («cognitive biases») beeinflussen diesen Prozess. Bei der Präsentation von Krankengeschichten zum Beispiel werden bestimmte Charakteristika besonders erwähnt, hingegen werden als weniger relevant beurteilte Informationen weggelassen. Durch das selektive Hervorheben gewisser Informationen besteht das Risiko für einen «Ankerbias» – also die Tendenz, sich bereits früh im diagnostischen Prozess auf diese einzelnen Informationen zu beschränken [1, 2].
Bislang fehlten grössere Studien zu diesem Thema. Umso bemerkenswerter ist eine Querschnittstudie aus den USA [3]: Untersucht wurden die Krankengeschichten von über 100 000 Patientinnen und Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz, die sich mit «Kurzatmigkeit» auf der Notfallstation vorgestellt hatten. In diesem Kollektiv wurden zwei Gruppen verglichen, die initial unterschiedlich triagiert worden waren: Konkret eine Gruppe mit und eine ohne den expliziten Vermerk «chronische Herzinsuffizienz». War bereits bei der initialen Triage durch das Notfallpflegepersonal dokumentiert worden, dass eine chronische Herzinsuffizienz bekannt war, kam es in der Folge zu weniger Untersuchungen für eine Lungenembolie (8,8% vs. 13,4%), auch wurde die Diagnose verzögert gestellt (90 min vs. 75 min). Im Langzeitverlauf (30 Tage) zeigte sich zwar kein Unterschied in der Inzidenz von Lungenembolien zwischen den beiden Gruppen – in der akuten Notfallsituation wurde die Diagnose Lungenembolie aber mit dem Anker «chronische Herzinsuffizienz» deutlich seltener gestellt (0,08% vs. 0,23%).
Ankerheuristik: Frühe Informationen können unbewusst zu voreiligen Schlüssen führen.
© Manuel Keusch / Pexels
Die explizite Etikette «chronische Herzinsuffizienz» scheint damit einen kognitiven Anker zu setzen, der für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte die Diagnose Lungenembolie weniger wahrscheinlich macht. Dies ist nachvollziehbar und – insbesondere im Notfallsetting bei hohem Patientenandrang – plausibel: Sind die mentalen Ressourcen erschöpft, bleibt man näher beim Anker. Vor dem Hintergrund, dass eine chronische Herzinsuffizienz einen Risikofaktor für eine venöse Thromboembolie darstellt, ist das Ausmass dieses kognitiven Bias aber doch einigermassen erstaunlich. Zur Minimierung der Ankerheuristik schlagen die Autoren vor, bei der Fallvorstellung stärker auf Symptome und weniger auf explizite (Vor-)Diagnosen zu fokussieren.
2 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMcpc2115846.
3 JAMA Intern Med. 2023, doi.org/10.1001/jamainternmed.2023.2366. Verfasst am 13.7.23_HU

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