Update

Praktisches Vorgehen bei Penicillinallergien

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2023/24
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09437
Swiss Med Forum. 2023;23(24):44-48

Affiliations
a Poliklinik für Allergologie und klinische Immunologie, Universitätsklinik für Pneumologie und Allergologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern; b Praxisgemeinschaft Mörigen, Mörigen; c Allergieabteilung, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen; d Dermatologie und Allergologie, Kantonsspital Aarau, Aarau; e Allergiestation, Universitätsklinik für Dermatologie, Universitätsspital Zürich, Zürich; f Pädiatrische Allergologie, Klinik für Kinder und Jugendliche, Kantonsspital Baden, Baden; g Allergologie, Kinderspital Luzern, Luzern; h Allergologische Poliklinik, Universitätsklinik für Dermatologie, Universitätsspital Basel, Basel


Publiziert am 12.06.2024

Das «Label» Penicillinallergie ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Oft steht jedoch keine tatsächliche Allergie dahinter. Vermeintliche Penicillin- und Betalaktamantibiotikaallergien führen nicht selten zu Behandlungen, die schlechtere Therapieergebnisse erzielen. Zudem ist der Einsatz alternativer Antibiotika mit vermehrten Antibiotikaresistenzen und höheren Gesundheitskosten verbunden.

Einleitung

Die Penicillinallergie ist die häufigste in den Krankenakten vermerkte oder bei ärztlicher Konsultation geäusserte Medikamentenallergie. Das «Label» Penicillinallergie variiert je nach Land und Region zwischen 8 bis 25% [1]. Ein grosser Teil dieser Personen ist jedoch nicht allergisch und verträgt Penicilline: Oft sind es unklare oder milde Reaktionen (so unter anderem in der Kindheit) sowie Nebenwirkungen, die fälschlicherweise als Allergie klassifiziert werden. Nicht selten werden auch unspezifische, oft parainfektiöse Symptome als Allergie eingeordnet. Der eigentliche Prozentsatz der mittels Hauttesten, In-vitro-Laboranalysen oder Provokationstesten nachweisbaren Penicillinallergien liegt dagegen im Bereich von 1–3% [2]. Vor allem bei Kindern – jedoch auch bei Erwachsenen mit einer vermuteten allergischen Reaktion auf ein Penicillin im Kindesalter – besteht selten eine Allergie.
Die hohe Rate an vermeintlichen Penicillinallergien in der Bevölkerung ist problematisch und mit Komplikationen verbunden: sei dies der Einsatz von weniger effektiven Zweitlinienantibiotika, das unnötige Meiden anderer Betalaktamantibiotika oder die Entwicklung von Resistenzen, aber auch Nebenwirkungen auf die alternativ gewählten Antibiotika [3]. In der Akutsituation ist oft keine Abklärung verfügbar, was zu einem verzögerten Behandlungsbeginn oder zu einem negativen Einfluss auf den Ausgang einer Behandlung führen kann. Schliesslich kann dies eine längere Dauer einer intravenösen Therapie mit einem alternativen Antibiotikum, eine längere Hospitalisationsdauer und auch höhere Behandlungskosten zur Folge haben. Die Bestätigung oder der Ausschluss einer Penicillinallergie, ein sogenanntes «De-Labeling», ist somit zentral [4].
Nichtsdestotrotz sind Penicilline ein häufiger Grund für allergische Reaktionen auf Medikamente. Anaphylaxien auf Penicilline treten bei parenteraler Gabe circa bei 1/10 000 Verabreichungen auf, bei oraler Einnahme seltener (1/200 000) [5]. Epidemiologische Daten zu den häufigeren Spättypreaktionen, die unter anderem Arzneimittelexantheme wie das makulopapulöse Exanthem umfassen, sind hingegen schwierig erfassbar [6]. Nach Gabe von Betalactamantibiotika treten oft milde benigne Exantheme auf, insbesondere bei Kindern [7]. Auch hier handelt es sich nur bei einem deutlich kleineren Teil um tatsächliche Allergien. Der Eintrag «Penicillinallergie» in einen Allergiepass ist in diesen Situationen häufig wenig hilfreich. Je nach Reaktion und Komplexität ist eine genaue Dokumentation durch die verordnenden Ärztinnen und Ärzte mit Indikation, Angabe des Datums, zeitlichem Verlauf der Antibiotikumgabe, Angabe eines Wechsels der Antibiose, Beschrieb des Organbefalls (Präsentation des Exanthems, Dynamik der Hauteffloreszenzen, Leber- und Nierenwerte, Lymphadenopathie, kardiopulmonale Befunde) und Angabe der Laboruntersuchungen wie Bestimmung des C-reaktiven Proteins, der Tryptase und Eosinophilen, aber auch der Komedikation für die Beurteilung wertvoll.

Klinische Aspekte

Medikamentenallergien werden anhand der Latenzzeit von Medikamenteneinnahme bis zur Reaktion in Sofort- und Spättypreaktionen eingeteilt [8]. Etwa ein Viertel der Allergien auf Betalaktamantibiotika sind bei erwachsenen Personen Sofforttypreaktionen [9]. Diese umfassen alle Reaktionen, die innerhalb von einer Stunde nach Beginn einer Medikamentenbehandlung auftreten oder selten erst nach einer Stunde. Die typischen Symptome sind Juckreiz (zu Beginn meist an Handflächen, Fusssohlen und Kopfhaut), Urtikaria, Angioödeme und Dyspnoe, bronchiale Obstruktion, seltener auch gastrointestinale Symptome. Vor allem bei parenteraler Gabe von Betalaktamantibiotika sind schwere Anaphylaxien mit Hypotonie, Arrhythmien bis hin zu Asystolie, Bewusstseinseintrübung und Schockzustand möglich und können innert Sekunden/Minuten auftreten (Tab. 1) [10].
Tabelle 1: Gefahrenzeichen (adaptiert von [11])
SoforttypreaktionSpättypreaktion
Juckreiz palmoplantar, genital, am Kopf und im Ohrbereich
Rötung der Konjunctivae
Schwindel, Ohnmachtsgefühl
Keuchende Atmung
Atemnot
Heiserkeit
Schluckbeschwerden
Husten/Niesen
Beteiligung des Gesichts (Mittelgesichtsschwellung)
Blasen-/Pustelbildung/Purpura
Generalisiertes Exanthem
Nikolski-Zeichen
Schmerzhafte Haut
Befall der Schleimhäute (erosiv)
Lymphadenopathie
Fieber (>38,5 ºC)
Spättypreaktionen äussern sich zu einem grossen Teil auf der Haut, zum Beispiel als makulopapulöses Exanthem, das oft unter oder nicht selten auch erst nach einer Behandlung mit Betalaktamen auftritt (Abb. 1) [10]. Es weist typischerweise eine Latenzzeit von 5–12 Tagen auf.
Abbildung 1: Makulopapulöses Exanthem.
Auch verzögert auftretende urtikarielle Exantheme sind nicht selten und meist nicht Ausdruck einer Allergie, sondern eher parainfektiöser Genese. Schwere Spättypreaktionen umfassen unter anderem die akute generalisierte exanthematische Pustulose mit kurzer Latenzzeit von wenigen Tagen, blasenbildende Hypersensitivitätsreaktionen (zum Beispiel Stevens-Johnson-Syndrom / toxische epidermale Nekrolyse) und das «drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms» (DRESS) [10]. Vor allem Letzteres kann erst nach Wochen auftreten und ist schwierig zu diagnostizieren, da die Symptome mit Fieber, Lymphadenopathie und Organbeteiligungen (am häufigsten Leber- und Nierenbeteiligung) einen Infekt oder eine Autoimmunerkrankung imitieren können. Hinweise für eine schwere Spättypreaktion mit systemischen respektive bedrohlichem Verlauf sind Fieber, allgemeine Malaise, schmerzhafte Haut oder grossflächiger Befall, Blasenbildung, Schleimhautbeteiligung, Gesichtsschwellung, Lymphadenopathie sowie Persistenz der Klinik trotz Absetzen des auslösenden Medikaments (Tab. 1) [11]. Das Auftreten oder die Zunahme einer Eosinophilie nach Beginn eines neuen Medikaments ist immer verdächtig für eine Medikamentenallergie.

Anamnese und Dokumentation

Eine detaillierte Anamnese ist entscheidend bei der Abklärung von möglichen Penicillin- und Betalaktamallergien. Dazu gehören – wie in der Einleitung erwähnt – eine gute Dokumentation einer Reaktion durch die verordnende Arztperson und die Angabe, warum ein «Penicillinallergie-Label» vergeben wurde. Das Label der Penicillinallergie stammt allerdings häufig aus der Kindheit und die Betroffenen können sich oft nicht mehr an eine Reaktion erinnern. Hilfreiche Informationen sind neben dem Datum der Reaktion, den involvierten Medikamenten und den klinischen Symptomen auch die Indikation der antibiotischen Behandlung, ob ein Wechsel auf ein anderes Antibiotikum erfolgte und dieses toleriert wurde, wie die allergische Reaktion behandelt wurde, ob eine ärztliche Konsultation oder sogar Hospitalisation notwendig war und ob bereits frühere Behandlungen mit den inkriminierten Medikamenten stattgefunden hatten. Für die Diagnostik und das weitere Vorgehen sind zudem die Differenzierung in Sofort- und Spättypreaktion sowie die Schwere der Reaktion wesentlich. Oft kann bereits damit erfasst werden, ob eine Allergie, pharmakologische Nebenwirkungen oder unspezifische Symptome vorliegen.

Risikofaktoren

Auch Komorbiditäten sowie die Umstände einer antibiotischen Behandlung sollten erfragt werden. So sind unter anderem das Alter (20–49), häufige beziehungsweise repetitive Behandlungen mit Betalaktamantibiotika, eine parenterale Verabreichung, berufliche Exposition und virale Erkrankungen (zum Beispiel Infektionen mit humanem Immundefizienz- [HIV] oder Epstein-Barr-Virus [EBV]) Risikofaktoren für die Entwicklung einer Penicillinallergie [12]. Obwohl auch genetische Faktoren eine Rolle spielen können, ist ein Meiden von Betalaktamantibiotika bei Personen, die mit auf Penicillin allergischen Patientinnen und Patienten verwandt sind, nicht nötig. Personen mit atopischer Veranlagung wie zum Beispiel Heuschnupfen, Asthma oder Nahrungsmittelallergien haben kein höheres Risiko für eine Penicillinallergie.

Vorgehen bei Penicillinallergien in der Akutsituation

Angesichts der hohen Rate an vermeintlichen Betalaktamallergien kommt es in Akutsituationen immer wieder zu Unklarheiten, ob überhaupt Betalaktamantibiotika verabreicht werden können. Eine notfallmässige allergologische Abklärung ist meist nicht möglich. Für solche Situationen bietet sich daher eine Risikostratifizierung auf Basis von Anamnese und Klinik an [11]. Damit können in vielen Fällen (etwa bei pharmakologischen Nebenwirkungen) direkt Penicilline freigegeben oder zumindest Cephalosporine (bei milden Reaktionen) eingesetzt werden. Auch der direkte Einsatz von Carbapenemen und Aztreonam ist in vielen Situationen möglich. Eine mögliche De-Labeling-Strategie zeigt Abbildung 2 auf. Unabhängig davon empfiehlt sich im Verlauf eine weitergehende allergologische Abklärung.
Abbildung 2: Risikoeinschätzung und Vorgehensweise bei Personen mit Reaktionen auf Penicilline und Cephalosporine (adaptiert aus [11, 27–31]).
Schweres MPE: generalisiert, mit Beteiligung des Gesichts oder Dauer >7 Tage.
Mildes MPE: Dauer <7 Tagen, nicht generalisiert.
* Schema «Graded Challenge» für Carbapeneme und Aztreonam unter Überwachung: Gabe von 1/1000 der Zieldosis über einige Minuten, nach 30 min 1/100 der Zieldosis, nach 30 min 1/10 der Zieldosis, danach der Rest als reguläre Kurzinfusion (Steigerung nur bei guter Toleranz).
MPE: makulopapulöses Exanthem ; DRESS: «drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms»; AGEP: akute generalisierte exanthematöse Pustulose; SDRIFE: «symmetrical drug-related intertriginous and flexural exanthema».

Allergologische Abklärung

Die Abklärung einer vermuteten Penicillinallergie erfolgt in einer allergologischen Spezialsprechstunde und umfasst ein mehrstufiges Verfahren mit den folgenden Testmöglichkeiten: Hautteste (Prick-, Intradermal- und Epikutantest), In-vitro-Analysen (spezifische IgE, Basophilenaktivierungstest, Lymphozytentransformationstest) und Provokationsteste [11]. Letztere sind vor allem bei Soforttypreaktionen relevant. Eine Abklärung sollte frühestens 4–6 Wochen nach einer Reaktion erfolgen, eine frühere Testung kann zu falsch-negativen Befunden bei Soforttypreaktionen und zu falsch-positiven Befunden bei Spättypreaktionen führen. Andererseits sollte eine Austestung mit Zuweisung in eine allergologische Spezialsprechstunde möglichst innerhalb von einem Jahr erfolgen, da danach die Sensitivität der Hauttestung abnimmt [11].

Abklärung von Soforttypreaktionen

In den meisten Fällen mit Soforttypreaktionen wird eine Hauttestung vorgenommen [13]. Hierfür stehen Prick- und Intradermalteste zur Verfügung, die nach 15–20 Minuten abgelesen werden können. In der Regel werden für die Hauttestungen die parenteralen Produkte in einer standardisierten Verdünnung verwendet. Die Verdünnung soll gewährleisten, dass keine irritativen Hauttestreaktionen entstehen [14] und gleichzeitig muss die gewählte Verdünnung eine genügende Sensitivität der Testsubstanz sicherstellen. Getestet werden der Auslöser und ähnliche respektive potentiell kreuzreaktive Substanzen. Eine standardisierte Penicillinhauttestung umfasst meist Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure, Penicillin G und einzelne Cephalosporine. Oft wird bei der Abklärung von Soforttypreaktionen zusätzlich mit den beiden allergenen Determinanten des Penicillins Natrium-Benzylpenilloat und Penicilloyl-Polylysin getestet mit dem Ziel einer noch höheren Testsensitivität. Bei schweren Allgemeinreaktionen ist primär ein allenfalls sogar titrierter Pricktest angezeigt (bei negativem Befund anschliessend ein Intradermaltest), da der sensitivere Intradermaltest selten auch Anaphylaxien auslösen kann [11]. Der positiv prädiktive Wert der Hauttestung mit den oben erwähnten Substanzen liegt bei 83%. Patientinnen und Patienten, die einen positiven Hauttestbefund aufweisen, müssen Penicilline somit meiden [15]. Der negativ prädiktive Wert liegt in einem sehr hohen Bereich.
In-vitro-Teste können bei Soforttypreaktionen auf Penicilline den Hauttest nicht ersetzen, sind jedoch in ausgewählten Situationen hilfreich, beispielsweise bei sehr schweren oder unklaren Reaktionen auf mehrere mögliche auslösende Substanzen, jedoch auch bei nicht eindeutigen oder nicht verwertbaren Hauttestbefunden [11, 16]. Verfügbar sind die serologische Bestimmung von spezifischen IgE (zum Beispiel Penicillin V/G und Amoxicillin) sowie der Basophilenaktivierungstest, ein zelluläres Testverfahren.
Bei negativen Testen und je nach Schweregrad der Reaktion ist als nächster Schritt eine Provokationstestung zu diskutieren, um Aufschluss über eine zukünftige Medikation mit Betalaktamen zu erhalten [11, 17]. Beginnend mit einer geringen Dosis (wie 1/1000 oder 1/100 einer Einzeldosis) wird in Abständen von 30–60 Minuten das zu testende Betalaktamantibiotikum bis zur Volldosis unter ärztlicher Überwachung verabreicht. Provokationstestungen bergen immer das Risiko einer Anaphylaxie und sollten daher unter engmaschiger Überwachung in einer allergologischen Sprechstunde mit entsprechender Ausrüstung für die Notfallversorgung erfolgen.
Im Falle eines positiven Hauttests auf ein Penicillin können mit diesem Verfahren negativ getestete, potentiell kreuzreaktive Betalaktame wie zum Beispiel Cephalosporine auf ihre Verträglichkeit geprüft werden. Allerdings wird bei negativem Hauttestbefund, milder bis mässiger Indexreaktion und fehlenden Kontraindikationen oft mit dem auslösenden Medikament «provoziert», um beurteilen zu können, ob dieses Penicillin und damit auch alle anderen in Zukunft wieder verabreicht werden können. Es gilt zu beachten, dass einige Personen nach Haut- und Provokationstestungen eine sogenannte Resensibilisierung entwickeln können. Dies ist vor allem bei schweren Reaktionen der Fall, sodass sich in solchen Fällen nach erfolgter Testung nach einigen Wochen eine Reevaluation empfiehlt [18]. Wertvoll ist die Provokationstestung auch bei Personen mit unklarer und vager Anamnese, vor allem, wenn das Ereignis bereits länger zurückliegt. Bei Soforttypreaktionen nehmen die auf Penicillin gerichteten IgE über die Zeit hinweg ab, sodass nach 5–10 Jahren bei einem erheblichen Teil dieser Patientinnen und Patienten die Sensibilisierung nicht mehr nachweisbar ist [19] und sich allenfalls eine Reevaluation empfiehlt.

Abklärung von Spättypreaktionen

Auch bei Spättypreaktionen kann ein Intradermaltest mit den parenteralen Lösungen vorgenommen werden (Abb. 3). Die Ablesung der Hauttestung erfolgt in diesem Fall zusätzlich nach 24–48 Stunden [20].
Abbildung 3: Positiver Intradermaltest (Spätablesung nach 24 Stunden).
Pricktestungen sind hingegen nicht hilfreich und können einzig in seltenen Einzelfällen bei schwersten Reaktionen wie beim DRESS mittels Spätablesung bei der Beurteilung helfen. Neben der Intradermaltestung steht der Epikutantest zur Verfügung (Abb. 4), die Ablesung erfolgt nach 48 und 72 Stunden, selten auch noch später (zum Beispiel bei Allergien auf Kortikosteroide) [20].
Abbildung 4: Positiver Epikutantest auf Amoxicillin und Ampicillin.
Die Sensitivität der Hauttestung liegt bei 10–40% bei jedoch hoher Spezifität. Wenn möglich sollte bei Spättypreaktionen auch intradermal getestet werden, da diese Testung bezüglich Sensitivität dem Epikutantest überlegen ist [20].
Wie bei der Soforttypreaktion auch, ist bei direkter Testung mittels Intradermaltest Vorsicht geboten. Bei schweren Spättypreaktionen wie DRESS, Stevens-Johnson-Syndrom etc. sollte darauf verzichtet werden, da dadurch eine erneute Hypersensitivitätsreaktion ausgelöst werden kann [20]. Epikutantestungen hingegen können auch bei schweren Reaktionen eingesetzt werden. Bezüglich In-vitro-Diagnostik stehen zelluläre Verfahren zur Verfügung, insbesondere der Lymphozytentransformationstest, der die Proliferation, Oberflächenaktivitätsmarker oder die Zytokinausschüttung von T-Zellen nach Inkubation mit dem getesteten Medikament misst [16]. Dieser kann nur von wenigen spezialisierten Labors vorgenommen werden. Die Sensitivität und Spezifität sind je nach Substanz und technischer Durchführung unterschiedlich, können jedoch bei schweren oder unklaren Reaktionen zusammen mit der Hauttestung hilfreich sein.
Zunehmend werden auch bei Spättypreaktionen Provokationstestungen vorgenommen, auch wenn diese weniger standardisiert sind als bei Soforttypreaktionen, was Ausführung, Zieldosis und Dauer anbelangt [11]. Oft können alternative Betalaktame auch direkt reexponiert werden. Vor allem bei Kindern wird bei Spättypreaktionen mit mildem Verlauf oft auf Hauttestungen verzichtet und direkt eine Provokationstestung respektive eine Reexposition mit dem abzuklärenden Medikament vorgenommen [21]. Exantheme im Kindesalter lassen sich in weniger als 7% der Fälle mit einem Provokationstest reproduzieren [22].
Auch bei Erwachsenen sind entsprechende Studien im Gange, wenngleich die Datenlage aktuell weniger eindeutig ist [4]. Bei schweren Spättypreaktionen sind Provokationstestungen mit dem vermutlichen Auslöser kontraindiziert.

Penicilline und andere Betalaktamantibiotika

Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme und Monobaktame haben als gemeinsame Struktur einen Betalaktamring, jedoch unterschiedliche Seitenketten [23]. In Europa sind vor allem die Seitenketten für die Kreuzreaktion unter den Betalaktamen von Relevanz, der Betalaktamring ist dagegen nur selten von Belang. Obwohl die Daten über Kreuzreaktionen primär von Soforttypreaktionen stammen, zeigen neuere Studien, dass die Konstellation der Kreuzreaktionen bei Spättypreaktionen ähnlich ist [24].
Am häufigsten stellt sich die Frage, ob bei einer Penicillin-allergischen Person Cephalosporine eingesetzt werden dürfen. Frühere Studien bezifferten das Risiko meist in einem tiefen zweistelligen Bereich. Allerdings hängt die Rate entscheidend vom eingesetzten Cephalosporin ab. Penicilline und Cephalosporine haben beide eine R1-Seitenkette, die identisch, ähnlich oder unterschiedlich sein kann [23]. So kann ein Teil der Cephalosporine der ersten und der zweiten Generation (zum Beispiel Cefaclor) potentiell eine Kreuzreaktion auslösen. Cephalosporine ab der dritten Generation (zum Beispiel Ceftriaxon, Ceftazidim, Cefpodoxim, Cefepim, Ceftarolin) sowie auch Cefuroxim und Cefazolin weisen hingegen selten Kreuzreaktionen zu Penicillinen auf. Dies gilt es ebenfalls vice versa bei einer Allergie auf Cephalosporine zu beachten. Nichtsdestotrotz führen wir bei Soforttypreaktionen eine Provokationstestung durch, um die Toleranz eines Ausweichpräparats bestätigen zu können. Im Falle einer milden Spättypreaktion auf ein Penicillin ist ohne vorherige Testung eine Exposition mit einem Cephalosporin ab der dritten Generation (oder Cefuroxim/Cefazolin) im klinischen Alltag vertretbar (zum Beispiel lokalisierte Reaktion, mildes makulopapulöses Exanthem, verzögerte Urtikaria, siehe Risikostratifizierung gemäss Abb. 2). Dieses Vorgehen ist auch bei Carbapenemen üblich, da diese wegen differenter Seitenketten in weniger als 1% der Fälle kreuzreaktiv sind [20]. Das Monobaktam Aztreonam weist meist keine Kreuzreaktion zu Penicillinen auf (nur Einzelfälle beschrieben).
Die Seitenkette von Aztreonam ist jedoch ähnlich zu Ceftazidim, sodass zwischen diesen beiden Substanzen Kreuzreaktionen möglich sind [23].

Ist die Verabreichung von Penicillinen bei nachgewiesener Allergie möglich?

Aus verschiedenen Gründen gibt es Situationen, in denen die Verabreichung eines Penicillins trotz nachgewiesener Allergie dringend nötig ist. Hierfür bietet sich die Toleranzinduktion mittels Desensibilisierung an, die primär bei Soforttypreaktionen zur Anwendung kommt [25]. Hierfür wird in 12–16 Stufen, beginnend mit einer Dosis im Zehntausendstel-Bereich, eine langsame Steigerung über 5–6 Stunden vorgenommen, sodass eine vorübergehende Toleranz erreicht wird. Die Desensibilisierung muss unter Überwachung (Monitoring, intravenöse Leitung) erfolgen, da jederzeit mit Reaktionen gerechnet werden muss. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die erreichte Toleranz nur so lange anhält, wie das Medikament weiterhin regelmässig täglich eingesetzt wird. Auch bei Spättypreaktionen gibt es inzwischen bei milderen Arzneimittelexanthemen Beschreibungen und Schemata von Desensibilisierungen, vor allem wenn nur limitierte Möglichkeiten bestehen, auf eine andere Substanz auszuweichen (zum Beispiel Lues oder Listerien bei Schwangeren) [26]. Bei schweren Spättypreaktionen sollte keine Reexposition vorgenommen werden.

Ausblick

Die konsequente Abklärung von vermeintlichen Penicillin- und Betalaktamallergien mit Aufhebung des entsprechenden Labels rückt vermehrt in den Mittelpunkt von Diskussionen und ist sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch das Gesundheitswesen von wichtiger Bedeutung. Zunehmend wird eine standardisierte Risikostratifizierung anhand von anamnestischen Angaben relevant sein, die es nicht nur bei Kindern, sondern auch bei einem grösseren Teil der Erwachsenen mit unwahrscheinlicher Allergie oder milder Reaktion erlaubt, direkt mit einem Penicillinantibiotikum eine Provokationstestung vorzunehmen oder direkt andere Betalaktamantibiotika einzusetzen (Abb. 2). Dies ermöglicht es, rascher und effizienter zu klären, ob bestimmte Antibiotika wirklich gemieden werden müssen und welche Alternativen eingesetzt werden können. Haut- und In-vitro-Teste werden bei Soforttypreaktionen sowie mittelschweren und schweren Spättypreaktionen weiterhin entscheidend sein.

Das Wichtigste für die Praxis

Die meisten Patientinnen und Patienten mit vermeintlicher Penicillinallergie in der Vorgeschichte vertragen Penicilline gut.
Die Anamnese mit Unterscheidung von Sofort- und Spättypreaktion sowie das Erfassen des Schweregrads der Reaktion sind wichtig für die Planung der allergologischen Abklärung.
Die Kreuzreaktivität zwischen Betalaktamantibiotika basiert zu einem grossen Teil auf der strukturellen Ähnlichkeit der Seitenketten. Daher sind Cephalosporine ab der dritten Generation und auch einige Cephalosporine der ersten und zweiten Generation wie Cefuroxim und Cefazolin selten kreuzreaktiv zu Penicillinen.
Zur Prüfung alternativer (zum Beispiel potentiell kreuzreaktiver) Antibiotika bietet sich der orale Provokationstest an. Im Falle von milden Spättypreaktionen kann auch direkt mit einem nicht kreuzreaktiven Cephalosporin behandelt werden.
Bei einer IgE-vermittelten Betalaktamallergie kann bei dringender Indikation mit einer Desensibilisierung eine vorübergehende Toleranz erreicht werden.
Dr. med. Isabel Morales
Poliklinik für Allergologie und klinische Immunologie, Universitätsklinik für Pneumologie und Allergologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern
PD Dr. med. Lukas Jörg
Poliklinik für Allergologie und klinische Immunologie
Universitätsklinik für Pneumologie und Allergologie
Universitätsspital Bern
Haus 5/Inselspital
Freiburgstrasse 16p
CH-3010 Bern
lukas.joerg[at]insel.ch
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