Lymphogranuloma venereum

Zeitlicher Shift von Chlamydia-trachomatis-Genovariante L2b zu L2 nicht bestätigt

Aus der Forschung
Ausgabe
2023/35
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09353
Swiss Med Forum. 2023;23(35):58-59

Affiliations
a Klinische Bakteriologie/Mykologie, Labormedizin, Universitätsspital Basel, Basel; b Applied Microbiology Research, Department Biomedizin, Universität Basel, Basel

Publiziert am 30.08.2023

Kürzlich wurden in Zusammenarbeit mit mehreren internationalen Forschungsgruppen wichtige epidemiologische Daten zum Lymphogranuloma venereum publiziert. Der vorliegende Beitrag fasst die Ergebnisse zusammen und gibt einen Überblick über die aktuelle Datenlage dieser bei uns im Jahr 2003 wieder neu aufgetretenen Krankheit.

Hintergrund

Die Infektionskrankheit Lymphogranuloma venereum (LGV) tritt seit dem epidemischen Auftreten im Jahre 2003 ganz überwiegend bei Männern, die Sex mit Männern haben, (MSM) auf. Im Vordergrund steht die hämorrhagische Proktitis/Proktokolitis mit eitrigem anorektalem Ausfluss, rektalen Schmerzen und Tenesmen [1–3]. Die klassische Präsentation mit einem Ulkus im Primärstadium und der schmerzhaften Lymphadenopathie als Sekundärmanifestation ist heute selten anzutreffen. Die Infektion tritt seit ihrem Neuauftreten im Jahre 2003 weiterhin gehäuft bei Männern mit einer Infektion mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) und sexuellem Risikoverhalten auf. Neuere Daten zeigen jedoch, dass immer mehr Männer ohne eine HIV-Infektion LGV erwerben [1, 4, 5]. Die Diagnose LGV ist in der Schweiz wie auch in den meisten anderen Ländern nicht meldepflichtig, daher werden epidemiologische Daten nicht systematisch erfasst. Vor allem aufgrund von Publikationen aus mehreren europäischen Ländern geht man aber in den letzten Jahren von einer klaren Zunahme der LGV-Fälle aus. Die Dunkelziffer ist erheblich, da zusätzlich, wie bei den mukokutanen Chlamydiosen, bei LGV mit bis zu 25% asymptomatischen Patienten zu rechnen ist [1, 4–8].

Zielsetzung und Hypothese

Nach dem Wiederauftreten von LGV im Jahre 2003 wurde Chlamydia-(C.-)trachomatis-Genovariante L2b als ursächlicher Keim der Erkrankung identifiziert. Für diese Analyse wurde das Outer-membrane-protein-A-(ompA-)Gen mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und Sequenzierung direkt aus klinischen Proben charakterisiert. Die Genovariante L2b unterscheidet sich nur durch eine einzige Basenmutation von L2 innerhalb des etwa 1200 Basenpaare langen ompA-Gens [9]. In den letzten Jahren wurde nun von verschiedenen Forschungsgruppen ein klarer Shift von L2b zu L2 als Agens der laufenden LGV-Epidemie festgestellt [10–12]. Unterschiede von L2 und L2b bezüglich beispielsweise der Pathogenität oder der Übertragbarkeit konnten jedoch nicht beobachtet werden.
Eine Alternative zur Bestimmung der Genovariante L2b ist die Ausnutzung einer L2b-typischen Deletion von 9 Basenpaaren innerhalb des polymorphic-protein-H-(pmpH-)Gens von C. trachomatis. Eine von unserer Arbeitsgruppe daraus entwickelte L2b-spezifische PCR konnte aber dieses Phänomen des Shifts von L2b zu L2 in unseren Proben nicht bestätigen [13]. Alle unsere LGV-positiven Proben zeigten die Genovariante L2b. Da wir vermuteten, dass dieser L2b-L2-Shift mit dem ompA-Gen zusammenhängen könnte, haben wir nachträglich unsere gesammelten Proben ompA-sequenziert. Dabei konnten wir eine sehr ähnliche Entwicklung von L2b zu L2 in den letzten Jahren auch in unseren Proben nachweisen (Abb. 1).
Abbildung 1: Vermeintlicher Shift von Genotyp L2b zu L2.
Verteilung der Lymphogranuloma-venereum-(LGV-)Genotypen L2 und L2b von 2011 bis 2016 mithilfe der Outer-membrane-protein-A-(ompA-)Sequenzierung (n = 49). All diese Proben zeigten mit der Polymorphic-protein-H-(pmpH-)basierenden Polymerase-Kettenreaktion (PCR) Chlamydia-trachomatis-Genovariante L2b. Die Proben stammten von einsendenden Labors aus der ganzen Schweiz sowie vom Universitätsspital Basel.

Methodik

Um die Ursache dieser Diskrepanz zwischen Genotyp L2 im ompA-Gen und Genovariante L2b im pmpH-Gen aufzuklären, haben wir in Zusammenarbeit mit Chlamydia-Forschungsgruppen aus weiteren acht Ländern (Spanien, Frankreich, Niederlande, Schweden, Ungarn, Tschechien, Slovenien und Australien) eine grosse Anzahl an LGV-positiven Proben in unserem Labor untersucht. Bei allen Proben wurden die ompA-Gensequenzierung und die L2b-spezifische Real-time-PCR durchgeführt. Anschliessend wurde bei ausgewählten Proben das ganze Genom mit einer speziellen Sequenzierungstechnologie (SureSelect target capture) ohne kulturellen Zwischenschritt direkt aus dem klinischen Material charakterisiert. Die Resultate konnten kürzlich im renommierten Fachjournal «Microbial Genomics» publiziert werden [14].

Ergebnisse

Die Charakterisierung des ompA-Gens zeigte bei 180 dieser Studienproben Genotyp L2, bei 83 die Genovariante L2b, bei 52 weitere Genovarianten und bei 6 gemischte Varianten. Die L2b-spezifische PCR, basierend auf dem pmpH-Gen, aber war bei allen untersuchten Proben positiv (n = 321).
Bei 42 der Proben wurde das gesamte bakterielle Genom sequenziert. Dabei zeigte sich, dass alle 42 Genomsequenzen mit dem L2b-Referenzgenom zu einem sehr hohen Anteil übereinstimmten, dass aber innerhalb des ompA-Gens, verglichen mit anderen Genen, sehr häufig Mutationen feststellbar waren. Diese Mutationen führten bei einer grossen Anzahl der Fälle zu einem nicht korrekt identifizierten Genotyp L2.
Es handelt sich aufgrund unserer Resultate bei diesen vermeintlichen L2-LGV-Chlamydien um im ompA-Gen mutierte L2b-Genovarianten, die in den letzten Jahren die ursprüngliche Genovariante L2b wahrscheinlich aufgrund eines Selektionsvorteils zurückgedrängt haben. Signifikante Unterschiede nach Länderherkunft scheint es bei der Verteilung der verschiedenen L2b-Genovarianten nicht zu geben.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Es ist davon auszugehen, dass heute nach wie vor C.-trachomatis-Genovariante L2b das Agens der allermeisten LGV-Infektionen in der westlichen Welt darstellt. Mutationen innerhalb dieser Genovariante sind vor allem im ompA-Gen aufgrund des Selektionsdrucks bei diesem Oberflächenprotein zu finden. Die heute noch international anerkannte Genotypisierung des ompA-Gens zur Bestimmung des C.-trachomatis-Genotyps führt entsprechend zu nicht korrekten Ergebnissen (L2 anstelle von L2b). Eine alternative genombasierende Methode zur Bestimmung der C.-trachomatis-Genotypen A bis L sollte daher unbedingt ins Auge gefasst werden [14, 15]. Die pmpH-basierte Typisierung mithilfe der Real-time-PCR, die in unserem Labor routinemässig durchgeführt wird, liefert jedoch aufgrund dieser Forschungsergebnisse nach wie vor eine verlässliche Identifikation von Genovariante L2b.
PD Dr. sc. nat. Daniel Goldenberger
Klinische Bakteriologie/Mykologie, Labormedizin, Universitätsspital Basel, Basel
Wir bedanken uns bei Dr. Fabrizio Dutly, Analytica Medizinische Laboratorien AG, Zürich, und Dr. med. vet. Vladimira Hinić, Universitätsspital Basel, für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.
Der Ko-Autor des Originalartikels [14], Juan Carlos Galán, wurde durch das «Instituto de Salud Carlos III» (Plan Estatal de I+D+i 2013–2016), Grant PI16-01242, unterstützt.
Die Autoren der vorliegenden Publikation haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
PD Dr. sc. nat. Daniel Goldenberger
Klinische Bakteriologie/Mykologie
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
daniel.goldenberger[at]usb.ch
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