Fulminanter Kreislaufkollaps während einer Sectio
Überraschende Dynamik

Fulminanter Kreislaufkollaps während einer Sectio

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2023/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09208
Swiss Med Forum. 2023;23(41):48-49

Affiliations
Kantonsspital Winterthur, Winterthur: a Klinik für Anästhesiologie; b Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe

Publiziert am 11.10.2023

Fallbericht

Eine 30-jährige Patientin (ASA II nach der «American Society of Anesthesiologists»-Klassifikation, Gravida 2 / Para 1, Grösse 177 cm, Gewicht 80 kg) in der 39+0 Schwangerschaftswoche (SSW) wurde für eine elektive Sectio bei persistierender Beckenendlage geplant. Abgesehen von einer zurückliegenden Fehlgeburt war die Patientin völlig gesund und hatte keinerlei medizinische Vorgeschichte.
Bei Ankunft im Operationssaal wies die Patientin folgende Vitalwerte auf: Herzfrequenz 80/min, Blutdruck 140/90 mm Hg und periphere kapilläre Sauerstoffsättigung (SpO2) 98% unter Raumluft. Die fetale Herzfrequenz wurde von einer Hebamme mittels Dopplermessung kontrolliert und für normwertig befunden.
Die Patientin erhielt zwei intravenöse Zugänge (16 und 20 Gauge) und wurde zur Anlage der Spinalanästhesie in Linksseitenlage positioniert. Es erfolgte ein «co-loading» mit 500 ml Ringerfundin®. Nach problemloser Anlage der Spinalanästhesie mit 11 mg hyperbarem Bupivacain 0,5% sowie 20 µg Fentanyl wurde die Patientin wieder in Rückenlage gebracht und der Operationstisch um 15 Grad nach links gekippt. Zeitgleich wurden prophylaktisch 100 µg Phenylephrin intravenös (i.v.) als Bolus appliziert.
Unmittelbar nach der Positionierung in Rückenlage klagte die Patientin über plötzlich aufgetretene Vertigo sowie Nausea, weshalb nochmals 100 µg Phenylephrin sowie fraktioniert 20 mg Ephedrin i.v. verabreicht wurden. Es wurde eine hohe Spinalanästhesie vermutet, die sensorische Blockade reichte zu diesem Zeitpunkt jedoch lediglich bis zu einer Höhe von Segment Th 10. Innerhalb der nächsten zwei Minuten entwickelte die Patientin einen hämodynamischen Kollaps und zeigte sich nicht mehr reagibel. Die peripheren Pulse waren nicht mehr tastbar, lediglich zentral an der Arteria carotis konnte ein schwacher Puls palpiert werden. Der Blutdruck war oszillatorisch nicht messbar, am Monitor wurden eine Herzfrequenz von 105/min und eine SpO2 von 98% angegeben. Unmittelbar vor dem Ereignis wurde ein sensorisches Niveau von Th 4 gemessen.
Welche medikamentöse Therapie ist in dieser Situation einer therapierefraktären Hypotonie am ehesten indiziert?
a) Lipidlösung
b) Adrenalin i.v.
c) Wiederholung von Phenylephrin
d) Ringerfundin®-Bolus
e) Clemastin 2 mg i.v.
Da die Ephedrin-Gabe keinen Effekt zeigte, wurde repetitiv Adrenalin i.v. verabreicht (insgesamt 60 µg) und der Operationstisch um weitere 15 Grad nach links gekippt. Die folgende Blutdruckmessung ergab einen Wert von 46/25 mm Hg, sodass die Operateure über die protrahierte Periarrestsituation informiert wurden und interdisziplinär der Entscheid zur sofortigen Notfallsectio gefällt wurde.
Aufgrund des fulminanten Verlaufs wurde im Sinne einer «fast forward»-Strategie auf erweitertes hämodynamisches Monitoring und die Einleitung einer Allgemeinanästhesie verzichtet. Diese wäre zudem im Rahmen des akuten Kreislaufversagens sicherlich mit einem erhöhten Risiko einhergegangen.
Die Patientin erhielt zusätzlichen Sauerstoff (6 l /min via Maske) und der Kaiserschnitt wurde zügig begonnen. Eine Minute nach Hautschnitt (und insgesamt 12 Minuten nach Anlage der Spinalanästhesie) wurde ein lebensfrisches Mädchen (3470 g) entbunden.
Unmittelbar nach der kindlichen Entwicklung erholte sich der Blutdruck auf 108/70 mm Hg, periphere Pulse waren wieder tastbar und die Patientin erlangte rasch wieder ihr volles Bewusstsein.
Im Rahmen der Sectio stellten die Operateure eine Plazentationsstörung (Plazenta accreta) fest, weshalb eine manuelle Plazentalösung sowie eine uterine Curretage vorgenommen wurden. Der APGAR-Score des Neugeborenen betrug 7/8/8 bei einem arteriellen Nabelschnur-pH von 7,24. Nach Abnabelung wurden 100 µg Carbetocin i.v. verabreicht. Der Kreislauf der Patientin blieb in der Folge bei geringem Vasopressorbedarf (fraktioniert 35 mg Ephedrin i.v.) stabil und die Sectio konnte mit einem geschätzten Blutverlust von 600 ml beendet werden.
Die maximal gemessene kraniale Ausbreitung der Spinalanästhesie war Th 4, in Summe wurden 200 µg Phenylephrin, 55 mg Ephedrin, 60 µg Adrenalin und 2700 ml Ringerfundin® verabreicht.
Bei der einige Stunden später durchgeführten interdisziplinären postoperativen Visite äusserte die Patientin Wohlbefinden und gab an, sich gut erholt zu haben. Auf gezielte Nachfrage erklärte sie, dass sie in den letzten Monaten nicht mehr auf dem Rücken habe schlafen können und eine Rückenlage generell vermieden habe. Nach einem weiter unkomplizierten Verlauf konnte die Patientin vier Tage später mit ihrem Neugeborenen nach Hause entlassen werden.
Welche Diagnose erklärt die Dynamik des beschriebenen Falles am ehesten?
a) Anaphylaxie
b) Hohe sensorische Blockade
c) Lokalanästhetika-Intoxikation
d) Aortokavales Kompressionssyndrom
e) Orthostatische Hypotonie

Diskussion

Der hier beschriebene Fall zeigt einen fulminanten und in seiner Dynamik überraschenden Verlauf eines hämodynamischen Kollapses nach Spinalanästhesie und der anschliessenden Lagerung der Patientin in Rückenlage. Ätiologisch kommen ein aortokavales Kompressionssydrom (ACC), ein distributiver Schock im Rahmen einer Anaphylaxie oder ein hoher sensorischer Block infrage. Letzteren erachteten wir durch den Nachweis einer maximalen Blockadehöhe von Th 4 als sehr unwahrscheinlich.
Symptome einer Anaphylaxie beinhalten neben einer hämodynamischen Reaktion (Vasoplegie, Hypotonie, Tachykardie) in den meisten Fällen eine mukokutane Reaktion (Angioödem, Urtikaria, Erythem) sowie eine bronchiale (Husten, Stridor, Bronchospasmus) oder gastrointestinale (Nausea, Vomitus) Mitbeteiligung. Hepner et al. verglichen auslösende Faktoren für eine anaphylaktische Reaktion während einer Kaiserschnittentbindung unter Spinalanästhesie, wobei allen voran Antibiotika, Latex und Oxytocin für eine IgE-vermittelte Immunantwort verantwortlich waren [1]. Im vorliegenden Fall war die Patientin zwar mit allen genannten Substanzen in Kontakt, es liess sich jedoch kein klarer zeitlicher Zusammenhang herstellen, zudem war es gemäss der Patientin noch nie zu einer allergischen Reaktion oder Unverträglichkeit gekommen. Neben der Hypotonie und Tachykardie zeigte die Patientin keine weiteren Zeichen einer anaphylaktischen Reaktion, ausserdem war die ausgeprägte Hypotonie in keiner Weise auf Adrenalin reagibel. Daher betrachteten wir die Anaphylaxie ebenfalls nicht als wahrscheinlichste Ursache und führten keine weiterführende Diagnostik (zum Beispiel Tryptasebestimmung, spezifische IgE-Messung) durch.
Folglich interpretierten wir die katecholaminrefraktäre Kreislaufreaktion als schweres ACC.
Das ACC ist eine bekannte Komplikation der Spätschwangerschaft, pathophysiologisch kommt es dabei zu einer Kompression der inferioren Vena cava (IVC) sowie partiell der abdominalen Aorta durch den graviden Uterus. Dadurch wird der venöse Rückstrom zum Herz reduziert, was wiederum ein vermindertes Herzzeitvolumen und somit eine Verschlechterung der utero-plazentaren Perfusion zur Folge hat. Selbst bei gesunden, asymptomatischen Frauen in der Spätschwangerschaft wurde in Rückenlage eine durchschnittliche Verringerung des Herzzeitvolumens um 16% beobachtet [2].
Was ist kein Risikofaktor für die Entwicklung eines ACC?
a) Maternales Alter
b) Polyhydramnion
c) Mehrlingsschwangerschaft
d) Fetale Makrosomie
e) Maternale Adipositas
Die Risikofaktoren umfassen Mehrlingsschwangerschaften, Polyhydramnion, maternale Adipositas, fetale Makrosomie und Multiparität [3]. Besonders in Rückenlage und unter neuraxialer Anästhesie kann es zu dramatischen Verlaufsformen des ACC kommen [4, 5].
Was gehört nicht zu den Symptomen eines ACC?
a) Hypotonie mit Kreislaufzentralisation
b) Übelkeit und Erbrechen
c) Unwohlsein in Rückenlage
d) Bewusstlosigkeit
e) Hypertonie
Neben den beschriebenen Risikofaktoren hängt der Schweregrad des ACC auch vom maternalen Volumenstatus und dem Kollateralkreislauf über das Vena-azygos-System sowie den Plexus venosus ab [2]. Eine frühzeitige Risikostratifizierung, die Teil jeder präoperativen Beurteilung sein sollte, ist für das Management eines potentiellen ACC von entscheidender Bedeutung. «Red flags» wie Schwindel, Übelkeit oder Unwohlsein in Rückenlage können entscheidende Hinweise auf die Entwicklung eines ACC unter neuraxialer Anästhesie sein [3]. Diese sind in unserem Fall sicherlich nicht genügend beachtet worden.
Was ist die wichtigste prophylaktische Massnahme zur Verhinderung eines ACC bei Schwangeren?
a) Adäquate Volumengabe und der Einsatz von Vasopressoren
b) Linkslaterale Kippung des Operationstisches um 5–10 Grad
c) Allgemeinanästhesie statt Spinalanästhesie
d) Trendelenburg-Lagerung
e) Sauerstoffgabe
Perioperativ sind die Zufuhr von kristalloiden Flüssigkeiten sowie die Verwendung vasoaktiver Substanzen die wichtigsten Massnahmen zur Vermeidung eines ACC [6]. Ein Kippen des Operationstisches nach links wird in internationalen Leitlinien empfohlen und ist weit verbreitet [3, 7], wobei aktuelle Studien gezeigt haben, dass eine Neigung von weniger als 15 Grad keine signifikante Auswirkung auf den Fluss in der IVC hat [8–10]. Zudem mehren sich kritische Stimmen zu einem Lagerungsmanöver nach links, da ein Tischneigung von 30 Grad für schwangere Frauen am Termin praktisch kaum zu tolerieren ist und bereits Fallberichte zu lagerungsbedingten Ischiadicusneuropathien existieren [11].
Die komplette Linksseitenlage verhindert ein ACC ebenfalls, wenngleich dadurch ein Kaiserschnitt chirurgisch deutlich anspruchsvoller ist [5]. Auch die manuelle Linksverlagerung des graviden Uterus kann bei Versagen der genannten Lagerungsmanöver eine Entlastung der aortokavalen Kompression bewirken [4]. Beide Varianten werden ebenfalls in den aktuellen «European Resuscitation Council»-(ERC-)Guidelines zur Reanimation schwangerer Frauen empfohlen [12].
In unserem Fall fiel der Entscheid aufgrund des fulminanten Verlaufs für eine sofortige Notfallsectio, um den maternalen Kreislauf schnellstmöglich wiederherzustellen. Ein Versuch der vorherigen manuellen Linksverlagerung des Uterus wäre jedoch ebenfalls eine valide Option gewesen. Eine alternative Vorgehensweise bei Patientinnen mit hohem Risiko für die Entwicklung eines schweren ACC ist die Anwendung einer kombinierten Spinal-Epidural-Anästhesie (CSE) oder Epiduralanästhesie, um das Risiko einer Hypotonie durch die schnell eintretende Sympathikolyse zu verringern [3, 6].
Frage 1: b. Frage 2: d. Frage 3: a. Frage 4: e. Frage 5: a.
Dr. med. univ. (AT) Nikola Rajic
Klinik für Anästhesiologie,
Kantonsspital Winterthur, Winterthur
Die Autorin und die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. univ. Nikola Rajic
Department für Anästhesie und Intensivmedizin
Kantonsspital Baden AG
Im Ergel 1
CH-5404 Baden
nikola.rajic[at]outlook.com
1 Hepner DL, Castells M, Mouton-Faivre C, Dewachter P. Anaphylaxis in the clinical setting of obstetric anesthesia: a literature review. Anesth Analg. 2013;117(6):1357–67.
2 Humphries A, Mirjalili SA, Tarr GP, Thompson JMD, Stone P. The effect of supine positioning on maternal hemodynamics during late pregnancy. J Matern Fetal Neonatal Med. 2019;32(23):3923–30.
3 Kiefer RT, Ploppa A, Dieterich HJ. [Aortocaval compression syndrome]. Anaesthesist. 2003;52(11):1073–83; quiz 1084.
4 Kundra P, Khanna S, Habeebullah S, Ravishankar M. Manual displacement of the uterus during Caesarean section. Anaesthesia. 2007;62(5):460–5.
5 Lyons G, Kranke P. Uterine tilt for caesarean section. Eur J Anaesthesiol. 2019;36(1):6–7.
6 Mercier FJ, Augè M, Hoffmann C, Fischer C, Le Gouez A. Maternal hypotension during spinal anesthesia for caesarean delivery. Minerva Anestesiol. 2013;79(1):62–73.
7 Soltanifar S, Russell R. The National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) guidelines for caesarean section, 2011 update: implications for the anaesthetist. Int J Obstet Anesth. 2012;21(3):264–72.
8 Fujita N, Higuchi H, Sakuma S, Takagi S, Latif MAHM, Ozaki M. Effect of Right-Lateral Versus Left-Lateral Tilt Position on Compression of the Inferior Vena Cava in Pregnant Women Determined by Magnetic Resonance Imaging. Anesth Analg. 2019;128(6):1217–22.
9 Tsai SE, Yeh PH, Hsu PK, Tsao SL, Chang YJ, Hsieh YJ. Continuous haemodynamic effects of left tilting and supine positions during Caesarean section under spinal anaesthesia with a noninvasive cardiac output monitor system. Eur J Anaesthesiol. 2019;36(1):72–5.
10 Kinsella SM. Lateral tilt for pregnant women: why 15 degrees? Anaesthesia. 2003;58(9):835–6.
11 Massoth C, Chappell D, Kranke P, Wenk M. Supine hypotensive syndrome of pregnancy: A review of current knowledge. Eur J Anaesthesiol. 2022;39(3):236–43.
12 Perkins GD, Graesner JT, Semeraro F, Olasveengen T, Soar J, Lott C, et al. European Resuscitation Council Guidelines 2021: Executive summary. Resuscitation. 2021;161:1–60.

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