«The Bee or not the bee»

Akute Niereninsuffizienz als seltene Komplikation nach multiplen Bienenstichen

Der besondere Fall
Ausgabe
2023/24
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09113
Swiss Med Forum. 2023;23(24):53-55

Affiliations
Innere Medizin, Spital Region Oberaargau SRO AG, Spital Langenthal, Langenthal


Publiziert am 12.06.2024

Hintergrund

Jährlich werden der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) etwa 20 000 Schadensfälle durch Insektenstiche gemeldet. Die Hälfte entfällt hierbei auf Zeckenstiche. Wespen verursachen 3000, Bienen 2300 Meldungen. Vor allem ab Juli/August werden die Insekten aktiv. Bei Hymenopterenstichen werden normale und schwere Lokalreaktionen von systemisch-allergischen sowie systemisch-toxischen Reaktionen unterschieden. Die systemisch-toxischen Reaktionen umfassen neben Rhabdomyolyse, disseminierter intravasaler Gerinnung und intravaskulärer Hämolyse auch akutes Leber- und Nierenversagen und sind meist direkte Folge des Hymenopterengiftes [1]. Nach multiplen Bienenstichen (in der Regel 50 bis mehreren hundert) kann es in Folge einer toxischen Reaktion zu Multiorganversagen und sogar Tod kommen. Etwa 20 Stiche/kg Körpergewicht werden als potentiell tödlich angesehen [2], was bei kleinen Kindern schon weniger als 50 Stichen entsprechen kann. In diesem Beitrag stellen wir einen Patienten vor, der bei über 1500 Bienenstichen toxininduzierte Symptome entwickelte.

Fallbericht

Anamnese

Wir berichten über den Sturz eines 73-jährigen Imkers in seinem Bienenhaus. Der Patient hatte in den 70er Jahren ein Polytrauma mit schweren Verbrennungen an den Extremitäten erlitten, in dessen Rahmen damals eine Oberschenkelamputation erfolgte, ansonsten ist er gesund. Während besagten Sturzes im Bienenhaus hat der Patient seine Oberschenkelprothese verloren und konnte sich daher nicht mehr selbstständig mobilisieren. Der Bienenschwarm attackierte ihn, es kam zu zahllosen Bienenstichen am gesamten Integument, inklusive enoral, endonasal und in den Ohren. Es gelang dem Patienten mit Not, die Ambulanz zu avisieren. Der eintreffende Rettungsdienst fand ihn wach, hypotensiv (Blutdruck 95/64 mm Hg), normokard (92/min) mit normaler Sauerstoffsättigung (97%) vor. Es wurde weder über Bewusstlosigkeit, noch Dyspnoe oder Nausea berichtet, jedoch zeigten sich vor allem im gesamten Gesichtsbereich massive Schwellungen.
Bei präklinischem Verdacht einer allergischen Reaktion wurden 0,5 mg Adrenalin intramuskulär (i.m.), 125 mg Methylprednisolon intravenös (i.v.), 2 mg Clemastin i.v, kumuliert 1000 ml Ringerfundin® i.v sowie 3 mg Adrenalin und 2,5 mg Ipratropiumbromid per inhalationem verabreicht.

Status

Im Schockraum präsentierte sich der Patient weiterhin wach, vollständig orientiert, mit moderatem unwillkürlichem Muskelzittern. Er war normotensiv (119/84 mm Hg), leicht tachykard (112/min), die Sauerstoffsättigung betrug unter Sauerstoff 5 l/min 95%.
Im Gesichtsbereich zeigten sich massive Schwellungen der Augenlider und Lippen (Abb. 1). Auch enoral fanden sich Stacheln (circa zehn auf der Uvula und dem Gaumenbogen), einige auf der Zunge mit entsprechender Schwellung. In der Nase und an/in den Ohren wurden ebenfalls Stacheln entfernt.
Abbildung 1: Die vielen Bienenstiche führten unter anderem zu Weichteilschwellungen im Gesichtsbereich sowie enoral, sodass eine intensivmedizinische Überwachung erforderlich war. Ein schriftlicher Informed Consent zur Publikation liegt vor.
Pulmonal und kardial ergab sich ein normaler Auskultationsbefund, im Elektrokardiogramm zeigte sich ein tachykarder Sinusrhythmus mit vorbekanntem Blockbild.

Befunde

Am gesamten Integument konnten 1574 Stiche gezählt werden.
Laborchemisch zeigte sich innerhalb von 48 Stunden ein akutes Nierenversagen bei einem Kreatininanstieg von 62 auf 209 µmol/l (Abb. 2). Zudem fanden sich deutlich erhöhte Transaminasen (Aspartat-Aminotransferase [ASAT] 578 U/l, Norm: <51 U/l) sowie eine stark erhöhte Kreatinkinase (CK) von 26 492 U/l (Norm: 38–174 U/l).
Abbildung 2: Gegenüberstellung Kreatinin- und CK-Verlauf. Etwa 48 Stunden nach Toxinexposition ist die akute Niereninsuffizienz (KDIGO AKI 3) maximal ausgeprägt. An diesem Tag werden erstmals auch die Myoglobinurie (nicht abgebildet) und schwere Rhabdomyolyse diagnostiziert. Unter grosszügiger Volumentherapie und Urinalkalisierung fällt die CK rasch ab und die Nierenfunktion erholt sich sukzessive. Ab Tag 12 zeigten sich normale Nierenretentionsparameter.
CK: Kreatinkinase; d: Tag; KDIGO: Kidney Disease: Improving Global Outcomes; AKI: acute kidney injury.
Die Urinanalyse ergab die typische Konstellation einer Myoglobinurie (Hämoglobin vierfach positiv, mikroskopisch allerdings im Verhältnis kaum Erythrozyten).
Sonographisch zeigten weder Leber noch Nieren erklärende Pathologien.
Hämatologisch entwickelte sich eine hypoproliferative normozytäre, normochrome Anämie, ebenfalls am ehesten toxininduziert. Ein ursächlicher Substratmangel wurde bei normalen Vitamin-B12- und Folsäurewerten sowie normwertigem Retikulozyten-Hämoglobin-Äquivalent (RET-He) ausgeschlossen. Bei einer Serumtryptase in der Akutphase von 11,1 µg/l war eine massive Mastzellaktivierung (wie zum Beispiel während anaphylaktischer Reaktion) unwahrscheinlich.

Verlauf

Aufgrund der ausgeprägten Schwellung der Weichteile im Gesicht und enoral wurde der Patient zur Überwachung auf die Intensivstation aufgenommen und erhielt initial nochmals Adrenalin i.m., dann über drei Tage fortgeführt per inhalationem. Auf eine Schutzintubation konnte verzichtet werden. Zur Behandlung der Schwellungen wurden zudem Steroide und ein Antihistaminikum verabreicht. Die Rhabdomyolyse behandelten wir mit entsprechend hoher Volumengabe mit Ringerfundin® und Natriumbicarbonatlösung 1,4% zur Urinalkalinisierung. Sukzessive kam es zu einer Normalisierung der Nierenfunktion, sodass eine initial diskutierte Hämodialyse nicht notwendig wurde. Bei Austritt konnten normwertige Nierenretentionsparameter gemessen werden. Nebenbefundlich entwickelte der Patient zudem nach einigen Tagen ein hyperaktives Delir. Hier erfolgte eine symptomatische Therapie mit initial Quetiapin. Bei mangelndem Ansprechen wurde die Therapie nach vier Tagen auf Haloperidol und Pipamperon umgestellt. Ein interkurrenter Dauerkatheter-assoziierter Harnwegsinfekt wurde erst empirisch mit Ceftriaxon, im Verlauf resistenzgerecht mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol behandelt.

Diskussion

Gemäss unserem Wissen gibt es kaum publizierte Fälle mit derart vielen Stichen durch die einheimische Honigbiene (Apis mellifera lingustica). Etwas häufiger sind Fallberichte der als aggressiver geltenden afrikanischen Honigbienen, vorrangig ausserhalb von Europa.
Toxinvermittelte Nierenschädigungen sind eine mögliche und ernsthafte Folge einer hohen Toxinexposition. Das Bienengifttoxin besteht aus mehreren Komponenten, hierunter ist vor allem das die Zellmembran schädigende Melittin erwähnenswert, das den Hauptteil des Toxins ausmacht. Mellitin ist nicht nur für die nach Bienenstichen auftretenden Schmerzen verantwortlich, sondern wirkt darüber hinaus als lytisches Peptid, das Zellen zerstört und zu intravaskulärer Hämolyse führt [3]. An Enzymen kommen Hyaluronidase und Phospholipasen vor, weitere niedermolekulare Komponenten sind Histamin, Serotonin, Dopamin und Norepinephrin. Neben dem Schockzustand mit entsprechender arterieller Hypotension tragen Rhabdomyolyse, intravaskuläre Hämolyse und direkte Nephrotoxizität zu einer akuten Tubulusnekrose bei. Bei der Rhabdomyolyse spielt Myoglobin eine massgebliche Rolle. Begünstigt durch einen niedrigen Urin-pH und Hypovolämie bilden sich Myoglobin-Zylinder, die sich in den Tubuli ablagern. Zudem wirkt Myoglobin direkt zytotoxisch. Vasoaktive Bestandteile des Bienengiftes führen zu renaler Hypoperfusion, was eine Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems bewirkt. Letztlich wird somit eine Vasokonstriktion am Vas afferens und efferens herbeigeführt, wodurch es zur Ischämie und Entwicklung des akuten Nierenversagens kommt [4].

Das Wichtigste für die Praxis

Bei multiplen Bienenstichen (bei Erwachsenen ab 50 Stichen) sollten toxische Komplikationen bedacht und die Betroffenen grosszügig hospitalisiert werden.
Die anfänglichen Symptome der Toxizität sind oft unspezifisch und können verzögert auftreten. Sie umfassen Schwäche, Myalgien, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall [3].
Neben der akuten Niereninsuffizienz können als Folge der systemischen Toxizität unter anderem disseminierte intravasale Gerinnung, intravasale Hämolyse, akutes Leberversagen [1], Myokardinfarkt, Thrombozytopenie und Krampfanfälle auftreten [3]. Entsprechend orientieren sich die Laboruntersuchungen bei Patientinnen und Patienten mit massenhaften Bienenstichen an diesen möglichen Komplikationen.
Eine Hämaturie tritt in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach der Vergiftung auf, gefolgt von erhöhten Kreatinkinasewerten und klinischen Anzeichen einer Nierenschädigung innerhalb der nächsten 48 Stunden [3].
Bei Auftreten einer akuten Niereninsuffizienz soll eine Hämodialyse erwogen werden, zumal der Hauptbestandteil des Bienengifts, Melittin, so aus dem Kreislauf entfernt werden kann.
Isabel M. Hofer, dipl. Ärztin
Innere Medizin, Spital Region Oberaargau SRO AG, Spital Langenthal, Langenthal
Isabel M. Hofer
Innere Medizin
Spital Region Oberaargau SRO AG
Spital Langenthal
St. Urbanstrasse 67
CH-4900 Langenthal
isa.hofer[at]sro.ch
1 Bilò MB, Tontini C, Martini M, Corsi A, Agolini S, Antonicelli L. Clinical aspects of Hymenoptera venom allergy and venom immunotherapy. Eur Ann Allergy Clin Immunol. 2019;51(6):244–57.
2 Castagnoli R, Giovannini M, Mori F, Barni S, Pecoraro L, Arasi S, et al. Unusual Reactions to Hymenoptera Stings: Current Knowledge and Unmet Needs in the Pediatric Population. Front med (Lausanne). 2021;8:717290.
3 Constantino K, Pawlukiewicz AJ, Spear L. A Case Report on Rhabdomyolysis After Multiple Bee Stings. Cureus. 2020;12(7):e9501.
4 Silva GBD Junior, Vasconcelos AG Junior, Rocha AMT, Vasconcelos VR, Barros J Neto, Fujishima JS, et al. Acute kidney injury complicating bee stings – a review. Rev Inst Med Trop Sao Paulo [Internet]. 2017 [cited 2021 Jan 15];59:e25.

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