Erektile Dysfunktion

Erektile Dysfunktion

EBM-Flash
Ausgabe
2019/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08266
Swiss Med Forum. 2019;19(2122):368-369

Publiziert am 22.05.2019

Dieser Beitrag ist ein Nachdruck aus der Online-Version der «EbM-Guidelines: Evidenzbasierte Medizin für Klinik und Praxis». https://www.ebm-guidelines.ch

Wichtiges in Kürze

Die erektile Dysfunktion (ED) ist eine Sexualstörung, bei der es einem Mann über einen längeren Zeitraum hinweg nicht gelingt, eine für einen zufriedenstellenden Sexual­akt ausreichende Erektion des Penis zu erzielen und beizubehalten.
Eine ED ist oft organisch bedingt. Mangelndes Selbstvertrauen und partnerschaftliche Pro­bleme spielen jedoch immer auch eine Rolle und müssen bei der Behandlung berücksichtigt werden. Sie beeinträchtigt oft die Lebensqualität des Patienten beträchtlich.
Eine ED kann das erste Anzeichen für eine kardiovaskuläre Erkrankung sein.
Eine primäre erektile Dysfunktion bei einem jungen Mann muss von einem Urologen abgeklärt werden. Ältere Männer, deren Dysfunktion sich langsam entwickelt hat, können vom Hausarzt behandelt werden.

Epidemiologie

Etwa die Hälfte der Männer zwischen 40 und 70 Jahren berichtet zu irgendeinem Zeitpunkt über Erektionsstörungen .
Eine erektile Dysfunktion gilt als schwer, wenn mehr als 75% der Versuche, Geschlechtsverkehr zu haben, scheitern.

Ursachen

Chronische Krankheiten:
− Systemische Erkrankungen: Diabetes, Hypertonie, Adipositas, Dyslipidämien, kardiovaskuläre Erkrankungen
− Erkrankungen der Region: systemische Sklerose (Sklerodermie) [1], fortgeschrittene Peyronie-Krankheit [2]
Vaskuläre Faktoren:
– Atherosklerose, Rauchen, venöse Leckage
Endokrine Ursachen:
− Testosteronmangel: Ältere Männer können eventuell einen Testosteronmangel haben, der mit Testosteron- oder Dihydrotestosterongaben behandelt werden kann. Die Prävalenz des Hypogonadismus bei Männern mit erektiler Dysfunktion wird jedoch sehr unterschiedlich angegeben (4–35%). Kleine Hoden und Unfruchtbarkeit gehören zum Klinefelter-Syndrom (ein zusätzliches X-Chromosom).
− Hyperprolaktinämie, Erkrankungen der Schilddrüse oder Hypophyse, Störungen der Kortisol-Produktion.
Medikamente:
− Unter den Antihypertensiva sind Kalziumkanalblocker, ACE-Hemmer und AT-II-Blocker selten die Ursache für eine erektile Dysfunktion, aber sie können ebenfalls Erektionsprobleme verursachen. Andererseits ist auch eine unbehandelte Hypertonie mit erektiler Dysfunktion assoziiert.
− Digoxin, Diuretika vom Thiazid-Typ, Spironolacton, Betablocker
− Die meisten Psychopharmaka: Abnahme der Libido und verzögerte Ejakulation sind typische Wirkungen von SSRI.
− Testosteron-5-Alpha-Reduktasehemmer (Finasterid, Dutasterid) können die Ursache für eine erektile Dysfunktion sein, aus­ser­dem reduzieren sie das Volumen des Ejakulats.
− Antiandrogene (Hormontherapie bei Prostatakarzinom)
Neurologische Ursachen:
− Neuropathien: diabetische Neuropathie, Alkohol-induzierte Neuropathie, autonome Neuropathie, Multiple Sklerose
− Verletzungen: Folgen von Traumen oder Operationen im Bereich des Beckens (vor allem Prostatachirurgie), Rückenmarksverletzungen, usw.
− Radfahren: vor allem bei Langstreckenfahrern sind oft sensible Ausfälle und passagere Erektionsstörungen zu finden. Genaue Daten zu den Auswirkungen von Radfahren als Freizeitsport (<3 Stunden pro Woche) gibt es nicht.
Übermässiger Alkoholkonsum: Bei Verzicht auf Alkohol bessert sich die Erektionsfähigkeit in 50% der Fälle.
Psychische Ursachen (etwa 20%): Depression, Stress, Unsicherheit in Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr, Beziehungsprobleme

Untersuchungen bei erektiler ­Dysfunktion

Anamnese

Erhoben wird die Art der Beschwerden und mögliche Einflüsse darauf:
− War der Symptombeginn plötzlich oder allmählich?
− Wie ausgeprägt ist das Problem? Ist Geschlechtsverkehr nie möglich?
− Treten Morgenerektionen auf (Blutversorgung wahrscheinlich ausreichend)?
− Gibt es an bestimmte Situationen gebundene Faktoren, Schwierigkeiten in der Partnerschaft?
− Medikamente, Alkoholkonsum, Rauchen
− Bewertung des kardiovaskulären Risikos. Eine erektile Dysfunktion kann das erste Zeichen einer Gefässerkrankung sein.
Wenn sich die erektile Dysfunktion langsam entwickelt hat, liegt oft eine organische Ur­sache vor.
Wenn die erektile Dysfunktion nur bei einem bestimmten Partner auftritt, wenn es Mor­gen­erektionen gibt und eine Masturbation ­erfolgreich möglich ist, dann liegen wahrscheinlich psychische Ursachen vor.

Klinische Befunde

− Blutdruck, Durchblutung (femorale und periphere Pulse)
− Schilddrüse
− Sehnenreflexe
− Prostata
− Penis (Peyronie-Erkrankung)
− Anzeichen eines Hypogonadismus: Grösse und Konsistenz der Hoden, Scham- und Achselbehaarung, Bartwuchs, Gynäkomastie usw.

Laboruntersuchungen

Blutuntersuchungen werden in Abhängigkeit von den konkreten Umständen durchgeführt: komplettes Blutbild inkl. Thrombozyten, CRP, Nüchtern-Blutzucker, GGT, Gesamt-Plasma-Cholesterin, HDL-Cholesterin, Triglyzeride, TSH, Kreatinin, PSA, Testosteron. Bei niederem Testosteronwert sollen zusätzlich Serum-Prolaktin, luteinisierendes Hormon (LH) und follikelstimulierendes Hormon (FSH) bestimmt werden. Siehe auch [3].
Untersuchungen der Erektion durch einen Spezialisten sind bei jungen Patienten notwendig, wenn die Ursache nicht klar ist und die Symptome deutlich sind.

Untersuchungsgang in der Allgemeinpraxis

Mögliche Grundkrankheiten werden diagnostiziert und behandelt. Die Medikation des Patien­ten wird überprüft und entsprechend modifiziert, wenn der Verdacht besteht, dass sie mit der erektilen Dysfunktion in Zusammenhang steht. Ein Diabetes und ein Bluthochdruck werden möglichst gut eingestellt. Dem Patienten wird empfohlen, wenigstens für einen Testzeitraum auf Alkohol- und Nikotinkonsum zu verzichten. Ein neuer Kontrolltermin wird für 2–3 Monate später fixiert.
Wenn sich dann die erektile Dysfunktion noch nicht gebessert hat (oder wenn der Patient nicht mehr weiter zuwarten und sofort eine Medikation versuchen will), werden folgende Untersuchungen durchgeführt:
− Serumtestosteron oder freies Testosteron immer;
− Serumprolaktin, wenn auch das sexuelle Verlangen gering ist, und das Serumtesto­steron erniedrigt;
− weitere der oben erwähnten Bluttests je nach vermuteter Ätiologie.
Jüngere Männer (unter 40–50 Jahre) ohne syste­mische Erkrankungen werden nach den Basis­untersuchungen an einen Urologen überwiesen (die Ursache könnte operativ behebbar sein, wie etwa eine venöse Leckage). Oft sind keine weiteren Untersuchungen notwendig. Ein Therapieversuch mit einem Phosphodiesterase-5-Hemmer ist dann empfehlenswert. ­Ältere Männer können auch weiterhin vom Hausarzt betreut werden.

Behandlung

Geht die erektile Dysfunktion mit einem niedrigen Serumtestosteronspiegel, einer normalen Prostata bei der Palpation, normalen PSA-Werten und unauffälligen Blutfettwerten (die immer mitbestimmt werden sollten) einher, kann mit der Testosterontherapie begonnen werden. Es ist aber zu beachten, dass eine erektile Dysfunktion nur selten durch einen niedrigen Testosteronspiegel verursacht ist, auch wenn in der Laboruntersuchung ein solcher gefunden wurde.
− Testosteronester, 1 Amp. i.m. alle 3 Wochen (in der Schweiz nicht im Handel).
− Testosteronundecanoat: oral: 3–5 × 40 mg (Anmerkung: Testosteronundecanoat: übliche Dosierung in der Schweiz initial 120 bis 160 mg, Erhaltungsdosis 40 bis 120 mg; Tagesdosis in 2 ED); als Injektion: 1 Amp. alle 10–14 Wochen i.m.
− transdermales Gel in der empfohlenen ­Dosierung.
− Kontrollen: Kontrolle der Grösse der Prostata (sonografisch) und PSA-Bestimmung anfangs halbjährlich, dann zumindest jährlich. Regelmässige Kontrollen von Hämo­globin, Hämatokrit (wegen einer Polyzy­thämie), Leberfunktion und Lipidprofil. Reizbarkeit, Nervosität, Gewichtszunahme, verlängerte oder gehäufte Erektionen können Zeichen eines übermässigen Androgeneffekts sein. In diesem Fall muss die ­Dosis reduziert werden. Wenn sich die erektile Dysfunktion nicht innerhalb einiger Wochen bessert, wird die Therapie ­abgebrochen und eine andere Ursache bzw. Behandlungsmethode in Betracht gezogen.
Phosphodiesterasehemmer (PDE-5) sind wirksam in der Behandlung von erektiler Dysfunktion unterschiedlicher Ursachen.
− Aktive Substanzen: Sildenafil, Vardenafil, Tadalafil und Avanafil
− Zwischen den Wirkstoffen gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Tadalafil wirkt länger.
− PDE-5-Inhibitoren verstärken den blutdrucksenkenden Effekt von Nitraten, sie dürfen nicht gleichzeitig angewendet ­werden.
− Kontraindikationen sind schwere kardiovaskuläre Erkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz, Angina pectoris), schwere Leberfunk­tionsstörungen, sehr niedriger Blutdruck, rezenter Schlaganfall oder Herzinfarkt, oder angeborene Netzhauterkrankungen.
− Die häufigsten Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Flush, Dyspepsie, verstopfte Nase, passagere Sehstörungen, bei Tadalafil auch Muskelschmerzen zu Beginn der Anwendung.
− Manche Männer möchten trotz normaler sexueller Funktion PDE-5-Inhibitoren für ihre Freizeitgestaltung. Die Refraktionszeit nach einer Ejakulation wird auch bei gesunden Männern verkürzt, d.h., sie sind rascher zu neuerlichem Verkehr in der Lage. Über mögliche schädliche Wirkungen bei der Verwendung nur zur Optimierung ist wenig bekannt. Schlaganfälle bei Überdosierung sind für Sildenafil beschrieben.
− PDE-5-Inhibitoren sind die grösste Gruppe der im Internet illegal gehandelten verschreibungspflichtigen Medikamente. Sie enthalten zwischen 0% und 200% des Wirkstoffes und variable Mengen diverser Verunreinigungen.
Intrakavernöses Prostaglandin oder intraurethrale Prostaglandin-Zubereitungen sind geeignet für Männer, bei denen sich orale Präparate nicht bewährt haben oder bei denen diese kontraindiziert sind.
− Zunächst wird durch den Spezialisten ein Test durchgeführt, der der Überprüfung der Wirksamkeit des Medikaments und der Dosisfindung dient. Ist das Ergebnis positiv, werden sodann der Patient und gegebenenfalls auch seine Partnerin in der Injektionstechnik instruiert. Diese wird auch in einer Broschüre erläutert, die dem Patienten ausgefolgt wird und ihn auch darüber aufklärt, was er bei einer Dauererektion (4–6 Stunden) tun soll.
− Injektionstechnik: Die Initialdosis bei jungen Männern mit neurogener Impotenz beträgt 0,25 ml (5 µg), bei älteren Männern 0,5–1,0 ml (10–20 µg). Bei Bedarf kann die Dosis auf 2 ml (40 µg) erhöht werden. Die Wirkstofflösung wird in den Schwellkörper (ins proximale Drittel) gespritzt. Die Nadel wird von schräg oben (dorso-lateral) eingeführt. Auf diese Weise wird ein Anstechen der Harnröhre vermieden. Intraurethrales Alprostadil kann dann verwendet werden, wenn die Injektion mit einer Nadel Pro­bleme bereitet.
− Nebenwirkungen: bei jedem 2. Mann Schmerzen im Penis, die aber nur selten stark ausgeprägt sind; prolongierte Erektion (4–6 Stunden) in 5% der Fälle; Priapismus (über 6 Stunden therapiebedürftig) bei 1%
− Behandlung einer Dauererektion: körperliche Bewegung, zum Beispiel Stiegensteigen, kühle Dusche; Aspiration von Blut (100–200 ml) aus dem Penis mit einer Spritze; ein alpha-adrenerger Wirkstoff (wie Etilefrin, 5 mg, oder Noradrenalin, 0,02–0,04 mg) kann in den Schwellkörper injiziert werden, bei Bedarf auch mehrmals; niedrigschwellige Einweisung an eine urologische Abteilung
Penisprothese
− Bei der Implantation einer Penisprothese wird das Gewebe des Corpus cavernosus durch künstlich expandierbare Materialien ersetzt, die die mechanische Erzeugung einer Erektion ermöglichen.
− Sorgfältige Prüfung der Indikation!
− Die Methode ist teuer.
1 Feldman HA, Goldstein I, Hatzichristou DG, Krane RJ, McKinlay JB. Impotence and its medical and psychosocial correlates: results of the Massachusetts Male Aging Study. J Urol. 1994;151(1):54–61.
2 Earle CM, Stuckey BG. Biochemical screening in the assessment of erectile dysfunction: what tests decide future therapy? Urology. 2003;62(4):727–31.
3 Araujo AB, Esche GR, Kupelian V, O’Donnell AB, Travison TG, Williams RE, et al. Prevalence of symptomatic androgen deficiency in men. J Clin Endocrinol Metab. 2007;92(11):4241–7.
4 Andersen KV, Bovim G. Impotence and nerve entrapment in long distance amateur cyclists. Acta Neurol Scand. 1997;95(4):233–40.
5 Marceau L, Kleinman K, Goldstein I, McKinlay J. Does bicycling contribute to the risk of erectile dysfunction? Results from the Massachusetts Male Aging Study (MMAS). Int J Impot Res. 2001;13(5):298–302.
6 Kim KK, Kim DG, Ku YH, Lee YJ, Kim WC, Kim OJ, et al. Bilateral cerebral hemispheric infarction associated with sildenafil citrate (Viagra) use. Eur J Neurol. 2008;15(3):306–8.
7 Jackson G, Arver S, Banks I, Stecher VJ. Counterfeit phosphodiesterase type 5 inhibitors pose significant safety risks. Int J Clin Pract. 2010;64(4):497–504.