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Publiziert am 13.02.2019
Dieser Artikel zeigt auf, wie Fachpersonen, die im Erstkontakt mit psychosegefährdeten Menschen zu tun haben, den klinischen Verlauf und die Prognose konkret verbessern können.
Tabelle 1: Anhaltspunkte für die Zuweisung zur spezialisierten Psychosen-Früherkennungsdiagnostik. |
Änderungen des sozialen Verhaltens ohne erkennbaren Grund, z.B. sozialer Rückzug, seltsame Verhaltensweisen, «Wesensänderung» |
Übermässige Beschäftigung mit ungewöhnlichen, übernatürlichen, esoterischen, philosophischen, religiösen etc. Inhalten |
Änderungen in der Wahrnehmung, der Denkabläufe, -inhalte oder der kognitiven Fähigkeiten, die subjektiv von der Person als belastend erlebt werden (s. auch Tabelle 2, Basissymptome) |
Störungen des Denkens (z.B. Misstrauen, Verfolgungs- oder Grössenideen) oder der Wahrnehmung (Illusionen, Halluzinationen, Ich-Störungen), die häufiger vorkommen und die Person beunruhigen oder das Verhalten beeinträchtigen (s. auch Tabelle 3, Ultrahochrisiko-Symptome) |
Neu auftretende, subjektive oder objektivierbare, formale Denkstörungen |
Leistungsknick bei Personen mit einer genetischen Veranlagung für Schizophrenie |
Tabelle 2: Relevante Symptome für die Definition eines Risikostatus mit Basissymptomen gemäss den «Schizophrenia Proneness Instruments» (SPI-A und SPI-CY). Zwei mit diesen Instrumenten erfasste Symptomen-Cluster gelten als prädiktiv für eine zukünftige psychotische Entwicklung [69]: (a) kognitive Basissymptome («cognitive disturbances» [COGDIS]): Präsenz von mindestens 2 der Symptome 1–9 innerhalb der letzten 3 Monate; (b) kognitiv-perzeptive Basissymptome («cognitive-perceptive disturbances» [COPER]): mindestens 1 der Symptome 5–14 für einen Zeitraum länger als 12 Monate. |
Allgemeine Kriterien |
Für die Bewertung als Basissymptome müssen die Symptome: • mit voller Einsicht als Abweichung vom normalen Zustand erlebt werden und • mit subjektivem Leidensdruck verbunden sein. |
Der Schwerpunkt liegt beim subjektiven Erleben; eine Beobachtung durch Dritte ist nicht nötig. |
Diagnoserelevante Basissymptome |
1. Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit zu spalten zwischen einfachen Aufgaben (z.B. während eines Telefonats etwas notieren oder beim Fahren Radio hören) |
2. Störung der Symbolerfassung: Konkretismus |
3. Fesselung, Bannung durch optische Wahrnehmungsdetails: die Aufmerksamkeit wird von optischen Details gefesselt, bestimmte Objekte oder Details scheinen hervorzustechen |
4. Störung der expressiven Sprache: Gefühl, dass man sich nicht mehr so akkurat ausdrücken kann wie früher bzw. nicht mehr die richtigen Worte findet |
5. Gedankeninterferenz: der Gedankengang oder die Konzentration wird von Gedanken unterbrochen, die (im Gegensatz zum Grübeln) unwichtig, irrelevant und nicht emotional gefärbt sind |
6. Gedankendrängen: plötzliches Aufspringen von vielen unverbundenen oder ungeordneten Gedanken |
7. Gedankenblockaden: subjektives plötzliches Gefühl der Gedankenleere oder Gedankenunterbrechung |
8. Störung der rezeptiven Sprache: subjektive Schwierigkeit, einfache Gespräche oder Text zu verfolgen |
9. Eigenbeziehungstendenzen: flüchtige Beziehungsideen, welche die Person unmittelbar nach ihrem Erscheinen als unrealistisch erkennt |
10. Zwanghaftes Perseverieren: übermässige und störende Beschäftigung mit emotional neutralen Gedanken, welche die Person nicht stoppen kann |
11. Störung der Diskriminierung zwischen Vorstellungen und Wahrnehmungen bzw. zwischen Phantasie- und Erinnerungsinhalten |
12. Derealisation |
13. Optische Wahrnehmungsstörungen, z.B. Wahrnehmungsveränderungen am Gesicht oder an der Gestalt anderer Leute oder am eigenen Gesicht, Veränderungen der Wahrnehmung von Farbe, Bewegung, Entfernung, Form und Grösse von Objekten |
14. Akustische Wahrnehmungsstörungen: Veränderung der Intensität bzw. Qualität von Gehörswahrnehmungen |
Tabelle 3: Kriterien für die Definition eines Ultrahochrisikostatus (UHR) und der psychotischen Transition/Erstmanifestation Psychose anhand des «Structured Interview of Prodromal Syndromes» (SIPS) und des «Comprehensive Assessment of At-Risk Mental States» (CAARMS). | |
Allgemeine Kriterien | Definition |
Diagnoserelevante Symptome | Ungewöhnliche Denkinhalte: perplexe und wahnhafte Stimmung, Ich-Störungen, Telepathie, überwertige Überzeugungen (Aberglaube, Philosophie, Religion, Politik), somatische, nihilistische oder Schuldideen, Beziehungsideen |
Misstrauen/Verfolgungsideen, z.B. Idee, ausgegrenzt, beobachtet oder verfolgt zu werden | |
Grössenideen, z.B. Idee, besonders talentiert oder begabt zu sein, unrealistische Pläne und Ziele | |
Abweichungen in der Wahrnehmung, Illusionen, Halluzinationen | |
Desorganisierte Sprache, z.B. Vorbeireden, Abschweifen, seltsame Denk- und Sprechweise, Gedankenblockaden, assoziative Lockerung oder Zerfahrenheit | |
Substanzinduzierte Symptome | Symptome mit einem starken zeitlichen Zusammenhang zum Konsum von psychotropen Substanzen werden nicht für die Diagnose eines Hochrisikostatus berücksichtigt |
Ultrahochrisikostatus | |
Attenuierte Psychotische Symptome (APS): Vorliegen diagnoserelevanter Symptome in abgeschwächter Form. Der Schweregrad wird anhand der subjektiven Belastung, der Auswirkung auf das Alltagsleben sowie der Bedeutungszuschreibung bzw. des Ausmasses des Realitätsverlustes definiert. | |
Beispiele | Ideen, die von den kulturellen Normen klar abweichen (z.B. abergläubische oder philosophische Überzeugungen), jedoch das Verhalten wenig beeinflussen |
Ideen (z.B. Verfolgungs-, Beziehungs-, Grössenideen), die nicht leicht verworfen werden können, jedoch mit noch intakter Skepsis oder Offenheit für gegenteilige Beweise oder Meinungen | |
Wahrnehmungsänderungen, welche die Person beängstigen, jedoch als nicht real erkannt werden | |
Halluzinationen, die von der Person als möglicherweise real erlebt werden, wobei Zweifel noch hervorgerufen werden können | |
Sprachumständlichkeit, Vorbeireden, Sprachstereotypien o.Ä. mit resultierender Schwierigkeit, auf den Punkt zu kommen, jedoch ist eine Gesprächsstrukturierung durch den Interviewer (z.B. durch kürzere Fragen) möglich. | |
Kurz anhaltende selbstlimitierende psychotische Symptome («brief limited intermittent psychotic Symptoms»): Vorliegen diagnoserelevanter Symptome in voller psychotischer Ausprägung (s.u. für Definition und Beispiele), die innerhalb von maximal einer Woche spontan remittieren. | |
Genetisches Risiko mit Leistungsknick: Vorliegen einer psychotischen Störung bei Angehörigen 1. Grades oder Erfüllung der Kriterien für eine schizotype Persönlichkeitsstörung beim Patienten selbst und zusätzlich signifikanter Abfall des sozialen oder beruflichen Funktionsniveaus im letzten Jahr. | |
Psychotische Transition / Erstmanifestation Psychose | |
Vorliegen diagnoserelevanter Symptome in voller psychotischer Ausprägung, die für einen Zeitraum länger als eine Woche mit nahezu täglicher Frequenz vorhanden sind und nicht spontan remittieren. Die psychotische Ausprägung wird vorwiegend anhand des Realitätsverlustes definiert, für formale Denkstörungen anhand der Ansprache auf die Gesprächsstrukturierung. In der SIPS gelten schwer desorganisierende Symptome oder Symptome mit resultierender Eigen- und Fremdgefährdung unabhängig von ihrer Dauer als psychotische Transition/Erstmanifestation. | |
Beispiele | Wahnhafte Überzeugungen, gegen die keine Zweifel hervorgerufen werden können und die in der Regel das Funktionsniveau stark beeinträchtigen |
Halluzinationen, die ohne Zweifel als real erlebt werden, wahnhaft interpretiert werden oder das Verhalten eindeutig beeinflussen | |
Zerfahrene Sprache, die nicht auf Gesprächsstrukturierung anspricht |
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